Friedrich Wilhelm Jähns an Marie Lipsius in Leipzig
Berlin, Sonntag, 23. April 1871

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Mein sehr verehrtes Fräulein

Mit herzlichster Freude habe ich Ihren sehr lieben Brief empfangen, der mir so vieles Interessante und Liebe bringt. Haben Sie den innigsten und allerinnigsten Dank dafür!!! Ich werde denselben heut meinem Sohne mittheilen, der Ihnen in Bezug auf das, was Sie über das, was ich Ihnen sendete, sagen in gleicher Weise verpflichtet sein muß und wird. In dem beikommenden Liede "Deutschland 1871"* werden Sie wieder ein gutes Gedicht von ihm kennen lernen; meinerseits habe ich mich bemüht, ihm nachzukommen; von einer kräftigen begeisterten Männerstimme vorgeführt, müßte es, so denke ich, wirksam sein. Nun Sie werden es mit Freundlichkeit beurtheilen!

Mit großem Interesse erfahre ich aus Ihrem inhaltreichen Briefe, wie vielfältige literarische Unternehmungen | Sie wiederum fesseln und ich nehme daran den lebhaftesten Antheil, namentlich an Ihrer Arbeit über "Cherubini". der meiner Ansicht noch lange nicht hoch genug gestellt wird weil man ihn lange nicht genug studirt und kennt. Mich interessirt noch ganz besonders, weil Weber ihn ganz außerordentlich hoch stellte, ja ein glühender Verehrer von ihm war; redendes Zeugniß dafür ist W’s Aufsatz über Ch’sLodoiska, den er am 13. Juli 1817 schrieb (vgl. Tagebuch), als die Aufführung dieser Oper in Dresden unter seiner Leitung bevorstand, die dann auch am 7. Aug. d. J. zum erstenmal daselbst in Scene ging.–* W. hat selbst eine seiner schönsten Arien zu dieser Lodoiska componirt (op. 56) „Was sag ich? Schaudern macht mich der Gedanke!" (Berlin, Schlesinger) und zwar zur Aufführung dieser Oper in Berlin 1818. Mein | Buch giebt darüber ausführlich *; leider wird es noch nicht versendet, da es, obwohl fertig, so eben bei Breitk. u. Härtel cartonnirt wird; was einige Wochen aufhält; in 3–4 Wochen hoffe ich, wird es versendet sein und dann ist es auch Ihnen zugänglich, da ich mir denke, daß Frau GeneralConsul Sie bitten dürfte, Ihr, manches daraus mitzutheilen. Vielleicht bedürften Sie jedoch das über diese Arie zu Lodoiska von mir Gesagte zu Ihrer Arbeit noch früher, so sende ich Ihnen denn einen Correctur-Bogen, den ich noch fand und der sie enthält, erbitte denselben aber gelegentlich zurück. Das Sie in der Arie besonders Interessirende habe ich angestrichen; vielleicht lesen Sie auch das über andere Webersche Dinge in dem Bogen von mir Markirte; kennen Sie Weber’s 8 Pièces à 4 m.? Das unbedeutendste Stück wird pag 251 u. 252 besprochen, aber ein Urtheil über alle 8 im Allgemeinen hätte ich gern von Ihnen gelesen gesehen; es steht unter Anmerkung a u. b. –

Was nun aber die Arie zu Lodoiska von W. anlangt, so sehen Sie schon daraus seine große Verehrung für Cherubini; noch deutlicher u. ausführlicher ausgesprochen finden Sie diese aber in Weber’s hinterlassenen Schriften, 3 Bde. Dresden u. Leipzig bei Arnoldi 1828 in Bd. III p. 116, ebenso in Max v. Weber’sC. M. v. Weber" Lebensbild Bd. III p. 153. Eins von beiden Werken werden Sie gewiß in Leipzig zu Gesicht bekommen können; das letztere ist bei E. Keil daselbst heraus.–

Aber noch eine für Cherubini wichtige Notiz kann ich Ihnen geben. Maurice Schlesinger, früher Musikhändler in Paris, der jetzt eben in Baden-Baden verstorben ist, wo er wohnte, hat eine große Correspondenz mit Cherubini als dessen Editor geführt u. hinterlassen, ebenso eine Menge musikalischer Werke (Autographe.) Diese alle hat er seiner Tochter in Baden Baden vererbt. Sie lebt bei ihrer Mutter daselbst. | Vielleicht setzen Sie sich gern mit dieser Dame in Correspondenz; sie wohnt, so viel ich weiß, in der Schloßstraße oder auf dem Schloßberg. – Ich erhielt diese Nachrichten von dem alten Geschäftsführer der Berliner A. M. Schlesingerschen Handlung, die jetzt an meinen Verleger Lienau hier übergegangen ist. Sollten Sie noch Genaueres wissen wollen, so will ich mich noch an den früheren Besitzer der Schlesingerschen Handlung hier, Hrn: Heinrich Schlesinger (Sohn von A. Martin S.) wenden, der bei seines Bruders Maurice Schl. Tode vor kurzem in Baden-Baden war. –

Daß Ihnen die Märsche* zusagen, freut mich sehr; besonders daß Sie N. 1 den Vorzug geben. Doch das konnte ich mir eigentlich denken, nach Allem, was ich von Ihnen gelesen. Können Sie sie mal unserer theuren Freundin, der Frau Gen. Consul zu hören geben, | so thun Sie es, ich bitte darum. Ich kenne wenige Frauen, denen ich eine so tiefe Verehrung zolle wie grade dieser Dame und ich habe wenige Häuser kennen gelernt, die mir einen solchen Eindruck von wahrhafter Würde von deutschem Geistesadel gemacht haben. – Wenn Sie die edle Frau sehen, bitte, so wiederholen Sie derselben die innige Verehrung, die für dieselbe in mir lebt. – Wenn ich, so Gott will, in diesem Jahre wieder nach Leipzig komme, so müssen Sie, sehr geehrte Freundin, mich aber auch Ihrer Frau Mutter vorstellen, damit ich derselben nicht fremd bleibe. Ich habe dabei zugleich die eigennützige Absicht, auch mit Ihnen zu spielen, denn ich habe mancherlei zu 4 Hdn. | in Manuscript, was ich Ihnen gern mitgetheilt hätte und ich würde mich hocherfreut fühlen, wenn Sie manches nicht von der Hand wiesen, was von meinen neueren Arbeiten mir mehr Werth ist, als so manches andre. –

Daß Sie mir die besondere Ehre erweisen wollen, mich in die mir bezeichnete Arbeit von Ihnen aufzunehmen, ist zwar etwas mich hoch Erfreuendes, ja es ist dazu angethan, mich sehr glücklich und Ihnen in hohem Grade noch mehr verbunden zu machen – aber haben Sie Ihren Entschluß auch geprüft?? – Ich muß warlich meine Hände daber in Unschuld waschen – und wenn Sie mich näher ansehen, dann stehen Sie wohl noch schließlich von dem Entschlusse ab, weshalb ich so kühn bin – und zwar von der Pflsicht gegen Sie und mich getrieben – Sie angelegentlikch zu bitten, | eben diesen Entschluß mnochmals strengster Prüfung zu unterziehen.

Und Nun, mein sehr verehrtes Fräulein leben Sie wohl. Wie sehr wünschte ich, Ihnen bei Ihren Arbeiten dienen zu können. Ich bitte darum, wünschten Sie etwas hier in der Bibliothek nachgesehen zu sehen zu Ihren Zwecken, daß [Sie] mir dann schreiben, so weit es in meinen Kräften steht, sollen Ihre Wünsche treustens erfüllt werden. In herzlicher Verehrung
Ihr
sehr ergebener
F. W. Jähns.

Apparat

Zusammenfassung

Reflektiert ihre weiteren biographischen Vorhaben und geht ein auf Cherubini, schickt ihr Korrekturbogen mit seinen Erwähnungen von ihm leihweise, informiert, dass sich die Auslieferung des Werkverzeichnisses wegen der Buchbinderarbeiten um 3–4 Wochen verzögere. Weist sie auf die Tochter des unlängst verstorbenen Maurice Schlesinger in Baden Baden hin, die über Cherubini-Autographe, die ihr Vater besessen hat, Auskunft geben könne. Dankt für die Aufnahme seiner Person in eine ihrer Arbeiten. Bietet ihr an, ihr bei Recherchearbeiten in der Berliner Bibliothek behilflich sein zu wollen.

Incipit

Mit herzlichster Freude habe ich Ihren sehr lieben Brief empfangen

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Stadtgeschichtliches Museum, Bibliothek (D-LEsm)
    Signatur: A/808/2010

    Quellenbeschreibung

    • 4 Bl. (8 b. S.)

Textkonstitution

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  • „kennen“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… dem beikommenden Liede "Deutschland 1871"“Berlin, Schlesinger 1871.
  • „… mal daselbst in Scene ging.–“Vgl. Fambach (Dresden), S. 254.
  • „… Mein Buch giebt darüber ausführlich“Vgl. Weber-Werkverzeichnis S. 256.
  • „… Daß Ihnen die Märsche“Op. 49 Deutscher Festmarsch: Heeres Auszug für Klav. zu 4 Hd. Berlin, Schlesinger (Lienau) 1871; op. 50 Deutscher Festmarsch: Heeres-Heimkehr für Klav. zu 4 Hd., Berlin, Schlesinger (Lienau) 1871.

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