Friedrich Rochlitz an Karl Theodor Winkler in Dresden
Leipzig, Freitag, 3. Oktober 1828

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Die Einrichtung einer neuen Wohnung, das für mich furchtbare und qualvolle Räumen aus der alten in die neue, und das tausenderley Hetzen und Rumoren, was daran sich kettet, sind die Ursache, warum ich für Ihren Brief und Ihr Geschenk, geehrter Freund, erst jetzt danke. Jene vorjährigen Störungen, wo wir (Ihre Äußerungen beweisen es von neuem) einander Beyde mißverstanden — ich, wie sichs nun zeigt, aus jener gutgemeynten, aber meist übel wirkenden, übertriebenen Delicatesse, die so oft mich selbst und zuweilen auch Andere plagt, die ich aber bey aller Bemühung nicht los werden kann: jene Störungen, sag’ ich, lassen Sie uns vergessen, wie wir Alle ja Vieles in der Welt vergessen müssen, bis sie uns selbst vergißt; und dagegen wieder redlich zu einander halten, wie wir uns dies von neuem zugesagt haben. Mit der guten, mir von jeher so werthen Weber ist es mir seit dem Todte ihres Mannes nicht anders ergangen; und hier kann ich nicht einmal es wieder in’s Gleise zu rücken suchen. Denn daß ich Ihren Wunsch erfüllen und des lieben Webers nachgelassene Schriften in der musikal: Zeitung | anzeigen werde, ist kaum der Rede werth und mache ich mir ohnehin zur Verpflichtung*. Es soll dies meine erste Arbeit seyn und kann noch in diesem Monat gedruckt erscheinen; wenn nämlich der Redacteur Wort hält. So viel ich von da und dort erfahre, thut dem Buch schaden, daß die Leute, nach dem Bilde, das sie von W. aus seinen musikal. Hauptwerken sich entworfen, überspannte Erwartungen (allerdings verkehrt und unverständig) hinzubringen: diesem zu begegnen und den richtigen Standpunkt zur Ansicht anzugeben, will ich mich besonders befleißigen*; übrigens jedes persönlichen Recensirens mich enthalten, das mir bey allen solchen Schriften unstatthaft scheint. Mögen nur auch Sie damit zufrieden seyn!

Daß Ihnen mein Buch* gefällt, muß mich gar sehr erfreuen; und daß Sie darüber zum Publicum sprechen wollen, verdanke ich Ihnen schon im voraus. So gänzlich frey ich von Eitelkeit und Gefallsucht bin, so kann ich doch nicht leugnen, daß mir die Äußerungen, die ich bisher darüber empfangen, | sehr wohlthun. Unser Aller Alt-Meister, Göthe, erklärt es geradezu für mein bestes, und ich würde Ihnen, um ihrer originellen, jugendlichen frischen Wendungen willen, einige Stellen seines Briefs hiehersetzen, wenn sie nicht zu schmeichelhaft für mich wären*. Wollen Sie, geehrter Freund, nicht auch einmal wieder all’ Ihre herrlichen, empfangenen und erworbenen Kräfte und Vorzüge in Eins für Eins sammlen — für ein eigentliches Wort, das feststeht, entscheiden hilft und Mißwollenden den Mund stopft? Sie sind zwar noch jung, (wenigstens geistig,) aber es dürfte sich doch auch bey Ihnen zutragen, daß Sie irgend einmal älter würden! Versplitterung der Zeugungskraft ist nicht nur im Physischen sündlich.

„Und was ist denn das unberufene klug thun und Rath geben wollen?“ Nun: keine Sünde, aber eine Thorheit! Ich will sie lassen und bin schon still.

Von HerzenIhrRochlitz.

Wenn Ihre Frau Gemalin noch von mir Notiz nimmt, so empfehlen Sie mich ihr, so gut Sie können.

Apparat

Zusammenfassung

dankt für die erneute Kontaktaufnahme und verspricht, die Ausgabe von Webers Schriften schnellstmöglich zu rezensieren; ist erfreut über die postive Aufnahme seiner Sammlung Für ruhige Stunden, besonders das positive Urteil Goethes

Incipit

Die Einrichtung einer neuen Wohnung, das für mich furchtbare und qualvolle Räumen aus der alten in die neue

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. V (Mappe IA), Abt. 3, Nr. 20

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S.)
    • auf der ersten Briefseite unten rechts von fremder Hand mit Bleistift: „an Winkler“, am oberen Rand von F. W. Jähns mit Bleistift: „Rochlitz an Winkler. (Th. Hell.)“

Textkonstitution

  • „musikal.“am Rand hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… ich mir ohnehin zur Verpflichtung“Ausführliche ungezeichnete Besprechung der Schriftenausgabe (Bd. 1 und 2) in AmZ, Jg. 30, Nr. 43 (22. Oktober 1828), Sp. 713–720.
  • „… will ich mich besonders befleißigen“Dieser Gedanke findet sich auch in der genannten Rezension (Sp. 714): Rochlitz warnt darin vor „irrige[n] Erwartungen, die, nach dem Bilde, das man von dem Autor nach seinen Hauptwerken sich selbst entworfen hat, und mit Liebe in sich trägt, leicht zu hoch sich steigern, [und damit] unrechtmässiger Weise dem Gegebenen schaden“.
  • „… Daß Ihnen mein Buch“1828 erschien bei Carl Cnobloch in Leipzig Rochlitz’ zweibändige Sammlung Für ruhige Stunden.
  • „… zu schmeichelhaft für mich wären“Rochlitz hatte Goethe die Bände am 13. September 1828 übersandt; vgl. Goethes Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz, hg. von Woldemar von Biedermann, Leipzig 1887, S. 299f.

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