Adolph Martin Schlesinger: Ueber den Nachdruck musikalischer Werke (1822)

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Ueber den Nachdruck musikalischer Werke.

Jedem Unbefangenen, welcher den Nachdruck von Büchern höchst unrecht findet, und weiß, daß in den meisten Europäischen Ländern der Nachdruck gesetzlich verboten ist, muß es befremdend scheinen, wenn er sieht, daß die größten Meisterwerke eines Haydn, Mozart, Gluck, Beethoven, Clementi, Cramer, Field, Ries u.s.w. als Verlag in vielen Handlungen gleichlautend erschienen sind, ohne daß darüber von irgend einer dieser Verlagshandlungen gegen die andere wegen Nachdruck Beschwerde geführt wird. Dies kann allerdings leicht auf die Idee führen, als wäre Nachdruck bei Musikalien erlaubt, obwohl er es nicht wird begreifen können, warum bei diesen Geistes-Produkten nicht dasselbe Eigenthumsrecht statt finden sollte, wie bei literarischen Werken, und der Künstler einem Verleger nicht sein Werk mit demselben Eigenthumsrecht sollte übergeben können, als der Schriftsteller? Sowohl der Künstler, als der Verleger, der vor Nachdruck nicht gesichert wäre, würden dadurch benachtheiligt; denn jener könnte von einem Verleger natürlich nicht das Honorar, dem Werthe des Werkes angemessen, welches er, wenn er nicht zu befürchten hätte, daß das Werk nachgestochen würde, geben könnte, erhalten; dieser müßte stets befürchten, daß das Werk nachgestochen würde und er das Honorar umsonst gegeben hätte. Doch die Ursache der vielfältigen Erscheinungen obengenannter Werke liegt in etwas Anderem, und hat durchaus nichts Ungesetzliches; die Compositionen nämlich der obenerwähnten Meister, Beethoven, Haydn, Mozart, sind in Wien, die von Cramer, Clementi, Ries in London, die von Field in Petersburg, in Ländern also erschienen, wo entweder der Nachdruck gesetzlich ganz erlaubt ist, oder, wenn gleich der Nachdruck verboten, ¦ es doch erlaubt ist, diejenigen Werke, welche in fremden Ländern erschienen sind, nachzustechen, und nach den Gesetzen aller Deutschen Länder ist es erlaubt, Bücher und andere Kunst-Produkte, die in Ländern erscheinen, wo der Nachdruck erlaubt ist, oder die im Auslande erschienen sind, nachzustechen und nachzudrucken.

Dies ist der Grund, weshalb die Werke obengenannter Meister fast in allen Verlagshandlungen Deutschlands erschienen sind, ohne daß man es eigentlich verbotenen Nachdruck nennen könnte. – Derselbe Fall ist es auch mit Klavier-Auszügen aus Opern, Cantaten sc., deren Partituren im Auslande oder in Wien gedruckt sind, weshalb auch die Opern von Mozart, Gluck, Beethoven, Weigl, Spontini, Cherubini, Nicolo, Mehul u.s.w. in Klavier-Auszügen in mehreren Handlungen zugleich erschienen, ohne daß von irgend einer dieser Verlagshandlungen darin gegen das Gesetz gehandelt worden ist.

Doch kann in dem Gesetz, welches das Eigenthumsrecht schützt, in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen literarischen und musikalischen Produkten sein, und ist bei Musikalien der Nachstich eben so unerlaubt und nach den Gesetzen strafbar, in den Ländern nämlich, wo es überhaupt Gesetze gegen den Nachdruck giebt, als bei Büchern*). Allein bei der Unbestimmtheit der Gesetze erlaubt man sich bei Musikalien mehr, als bei Büchern, das eigentliche Gesetz zu umgehen. Musikalien, besonders Gesangstücke, lassen sich ohne Sinnesveränderung für eine andere Stimme oder in eine andere Tonart transponiren, ohne daß es dadurch in der Melodie geändert wird; eben so kann | auch jede Melodie für jedes beliebige Instrument umgesetzt werden, für welches es ursprünglich vom Componisten nicht gesetzt ist. Hierin wird das meiste Ungesetzliche begangen, weil man nur nach dem buchstäblichen Gesetz urtheilt, nicht aber bemerkt, daß jenes nur eine Umgehung des Gesetzes sei. – Man ging hierin noch weiter, indem man sogar für Nicht-Nachdruck erklärte, wenn bei Klavier-Auszügen die Gesangstimmen Note für Note nachgestochen, die Klavierbegleitung aber etwas anders gesetzt wurde, als der Componist sie in dem an den Verleger gelieferten Klavier-Auszuge gesetzt hatte. Nach einer solchen Erklärung einer Behörde hört freilich alles Eigenthum von Musikalien auf, da jedes Musikstück, besonders Gesangstück, worin die Begleitung nur Nebensache ist, umgeschrieben werden kann.

Dieser Gegenstand ist es, der wahrlich zu wichtig ist, als daß er nicht allgemein zur Sprache kommen und erörtert werden sollte. Nach diesem Gesetz kann kein Componist mit völligem Eigenthumsrecht seine Gesangs-Compositionen an einen Verleger übergeben, da Jeder berechtigt ist, dieselben nach kleiner Veränderung in der Begleitung, oder durch Umsetzung für ein anderes Instrument, herauszugeben. – Jeder sieht ein, daß, wenn ein Musikhändler einem Verleger einer Original-Oper diese Oper Note für Note nachsticht, bloß die Begleitung etwas verändert, und den Namen des wahren Componisten auf den Titel setzt, höchstens noch mit Hinzusetzung des Namens des Verstümmlers der Oper oder Umsetzers der Begleitung, dies offenbarer Nachdruck, und diese unrechtliche Handlung bloß durch Umgehung des Gesetzes erlaubt ist.

In der Erfindung der Melodie besteht die Originalität einer jeden Composition, und diese ist es, welche der Componist einem Verleger verkauft; niemand ist daher berechtigt, diese unter demselben Titel und dem Namen des Componisten, womit er also ausdrücklich bezeichnet, daß er diese Melodieen wiedergiebt, für irgend ein Instrument zu liefern. Wenn also jemand anzeigt: "Volksgesang von Spontini, für zwei Flöten arrangirt," – "der Freischütz von C. M. v. Weber, ohne Gesang für Pianoforte allein arrangirt von L.," – zeigen die Verleger dieser Artikel dadurch nicht deutlich, daß sie die Melodie von Spontini und Weber für jene Instrumente liefern? Kann demnach noch ein Zweifel sein, daß auch solche Nachdruck sind? In Frankreich geht man in diesem Punkt, um das Eigenthumsrecht von Compositionen zu schützen, so weit, daß es niemand erlaubt ist, ein Thema, welches einer andern Handlung vom Componisten verkauft ist, zu variiren, geschweige denn, die Opern mit Text und Gesangstimmen, wie sie der Componist geliefert hat, herauszugeben, wo man den Titel ganz so setzt, wie dies vom Componisten geschah, und nur eine Veränderung der Begleitung angezeigt wird. Das Französische geht freilich zu weit, da bei Variationen der Componist derselben sich in den Variationen zeigt; doch es ist besser, hierin zu streng, als zu nachgiebig zu sein. ¦ Es ist sehr zu wünschen, daß dieser Gegenstand in der jetzigen Zeit, wo es so bedeutende Componisten giebt und die Musik so große Fortschritte gemacht hat, öfter zur Sprache käme. Mit Vergnügen wird der Herr Herausgeber der Theater-Zeitung, seinem Erbieten zufolge, über diesen Gegenstand handelnde Aufsätze in dieser Zeitschrift abdrucken lassen.

A. M. Schlesinger.

[Originale Fußnoten]

  • *) Im Allgem. Landrecht Th. I. §. 997, Tit. II. steht es ausdrücklich, daß musikalische Werke den Büchern gleich gesetzt sind.

Apparat

Zusammenfassung

Artikel von Schlesinger über die Frage, was als Nachdruck anzusehen ist und was ist; hat aktuellen Bezug zu den Streitigkeiten um die verschiedenen Nachdrucke des „Freischütz“ bei Schott (Zulehner) und Steiner & Co in Wien (Leidesdorf)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für Theater, Musik und bildende Künste zur Unterhaltung gebildeter, unbefangener Leser. Eine Begleiterinn des Freimüthigen, Bd. 2, Nr. 33 (17. August 1822), S. 129–130

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