Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

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Bemerkungen über C. M. von Webers Freischütz.

Von Dr. Fr. Stoepel.

Der Freischütz – eine Oper, gedichtet von Kind, mit Musik von C. M. von Weber – wird oft, und bei jeder wiederholten Darstellung, so mit mehr Liebe empfangen, als gegeben. Immer wieder ist das Haus – Viele meinen, man sollte sagen: der Theil des neuen Schauspielhauses, der für das Theater nur übrig geblieben zu sein scheint – zahlreich besucht. Dies, und in Absicht der Besetzung eines nur, und ein für allemal, sei mir als meine individuelle Ansicht, hier voraus zu schicken erlaubt, wo ich einige ästhetisch-kritische Andeutungen und Bemerkungen über das herrliche Kunstwerk als Musiker zu geben gedenke. – Es scheint mir nämlich, als eigne sich Dem. Eunicke, weder in Betracht ihrer Stimme und Kunstbildung, noch ihrer Individualität, für solche naiv-fröhliche Rollen, wie die der Anna hier, der Zerline im Don Juan &c.; denn immer erscheint die wackere Künstlerinn – die ihr schönes Talent unstreitig am glänzendsten in den Concerts spirituels entwickelte, welche die Direktion in der diesjährigen Carnevalszeit veranstaltet hatte – in solchen Rollen kalt oder zu sehr künstelnd – affectirt nennen’s auch wohl manche – wenn sie in andern, die süß-wehmüthiger gehalten sind, wie z. E. als Cherubin in Figaro’s ¦ Hochzeit, oder überhaupt in der höhern, ernstern Gattung, neben schöner Natürlichkeit lebendiges Gefühl &c. entfaltet. – Ist nun aber diese Beobachtung richtig, so verdiente unsere Künstlerinn, schon um ihrer selbst willen, mit solchen Rollen verschont zu bleiben; daß sie solchen an sich wahren, aber doch immer unverdienten Tadels frei bliebe, – wollen wir auch absehen von dem Drückenden eines Kampfes, den die Kunst gegen ihre Natur siegreich kämpfen soll, aber, zum Glück für sie, nie kann, – sollte auch in mancher anderen Hinsicht dem Publikum kein entschädigender Ersatz gegeben werden können. – Der Freischütz, als Oper betrachtet, ist, wenn auch nicht die Beste, welche außer Beethovens Fidelio seit Mozart geschrieben worden – so behauptete ein Recensent einer hiesigen Zeitung, und mich dünkt, es fallen in diese Zeit Winters Opferfest, Guhrs Vestalinn, Kuhlau’s Räuberburg – doch unstreitig eine der besten Opern seit jener Zeit; und gewiß, wir haben uns des höchlich zu freuen, da unser Deutschland eben jetzt so arm an Erzeugnissen solcher Art ist, und darum die Proselitenmacherei für Italienischen Sinn und Geschmack – der an sich ein recht feiner sein mag, nie aber ein Deutscher werden kann – so nachtheilig gewirkt hat. – Es entwickelt sich in diesem einen Kunstwerke Hrn. v Webers eine Masse echter, rein-romantischer Musik, wie sie in den „Opera omnia“ anderer Komponisten oft vergeblich gesucht werden möchte; – eine Musik, die so klar und den|noch tief, so natürlich und doch so sinnig schön ist, die unter dem Schleier bezaubernder Anmuth schöner, tiefer wirkt, als das betäubende Getöse zahlloser Instrumente.

Dies ist ein Werk, wie es sich von einem solchen Künstler, in welchem mit leichter Gewandheit, und so freier als sicherer Hand in der Bearbeitung seines Stoffes, üppig-reiche Genialität sich paart, – von einem solchen Gelehrten, der bis zu den innersten Tiefen seiner Wissenschaft gedrungen ist, erwarten läßt. Außer der herrlichen Ouvertüre, die, ich möchte sagen, so recht denk- und folgerecht, und daher so verständlich und ergreifend sich entwickelt, gleich einer schönen Rede, – die aus fast lebenloser Ruhe zu stiller Betrachtung, und fort und fort zu immer regerem Leben, bis zum höchsten Punkte aller Kraftentwickelung sich erhebt, und nun stufenweis wieder herabfällt in das gewöhnliche Leben und Treiben, in dem am Ende alles sich verliert und untergeht, hebe ich heute nur den Marsch der Bauern Musikanten noch hervor, der mit seinem echt ländlichen, höchst naiven Wesen, mit den so charakteristischen Zügen – man bemerke unter anderen nur den Trompeter, oder vielmehr sein Blasen – allein schon zur Genüge beweist, welch ein feiner Beobachter der Natur in ihren verborgensten Zügen, welch ein kunstgewandter Musiker unser Meister von Weber ist. Aber auch bemerken muß ich etwas, was meinen Ansichten entgegen ist, was mir verfehlt erscheint. Es ist dies nämlich die Behandlung des Wortes Victoria in dem ersten Chore der Bauern und Bäuerinnen. Einmal wird es hier verschieden skandirt, und dann so oft und in solcher Geschwindigkeit wiederholt, daß wohl eine besondere Volubilität der Zunge, die diesen zechenden Burschen am wenigsten anzumuthen sein dürfte, zur Ausführung dieses Chors und dann insbesondere dieses Wortes gehören mag. Ueberdies, scheint mir, liegt in diesem Worte Victoria zwar ein Ausdruck der Freude, aber nicht solch leichter, sondern einer höhern, die schwer erkämpft wurde, – bei deren Gefühl der Mensch sich etwas dünkt, – sich all seiner äußern oder innern Kraft ’mal recht bewußt wird. Es ist daher hier theils nicht am rechten Orte, und das wäre des Dichters Schuld, theils – – – –

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Eine Fortsetzung ist nicht erschienen.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für Theater und Musik zur Unterhaltung gebildeter, unbefangener Leser. Eine Begleiterin des Freimüthigen, Bd. 1, Heft 39 (29. September 1821), Sp. 153–154

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