Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 18., 20 u. 22. Juni 1821 (Teil 1 von 2)
Theater.
Montag, Mittwoch und Freitag: der Freischütz, Oper von Kind und von Weber.
Wie überall die Extreme sich berühren, so haben wir es auch alle in der jüngst verflossenen Zeit erlebt, daß auf eine Periode der tiefsten Erniedrigung, der erbärmlichsten Erschlaffung in unsrer vaterländischen Poesie unmittelbar eine andere folgte, die die faden Geister wieder in ein neues Leben | zu rufen versuchte, das freilich aber so weit von dem wahren Ziele abweicht, als jenes glücklicherweise nun ausgelebte; kurz, wir sahen, so wie der Werther-Zeit die Zeit des Götz folgte, der zuckerbreiigen Karfunkel-Periode unsrer Neo-Romantiker eine derbe Pack- und Schüttel-Periode unmittelbar auf dem Fuße folgen. Die jüngst noch so zarte, nervenschwache Muse befreundete sich plötzlich mit dem Satan, der Hölle, mit einer Fratze, die sie Schicksal nannte, und Galgen und Rad wurden ihr Toiletten-Spielwerk. Das Theater, das lange von ihr versäumte Theater, war es besonders, das ihr nun wieder einmal heimzusuchen beliebte, und sie fing an es zum Tummelplatze von alle dem „Kribskrabs der Imagination“ zu machen, (um mit Göthe zu reden) den ihr Eigensinn für den Augenblick an ihren Hof gezogen hatte. So sahen wir Februars-Nächte, Ahnfrauen, Teufelsbeschwörer, von Zigeunern behexte Brudermörder, und der Schwindel des Zeitgeistes hielt ordentlich dieses Zeug einen Augenblick oben; es kam dazu, daß ein wahres Genie, aber auch nur Eines, Lord Byron, gleichfalls diesen Weg einschlug, und es war um die Köpfe der meisten Zeitgenossen geschehen! Das Höchste, wozu der exaltirteste Geist auf dieser Richtung gelangen konnte, ward ersonnen in der Erzählung: „der Vampyr“, und dieser Vampyrismus ist es denn, der in der Poesie des Augenblickes (und nicht nur in Deutschland) allmächtig spukt. Man will nicht ergriffen, nicht gerührt, man will gepackt, geschüttelt werden, es soll sich das Haar sträuben, der Odem stocken – und die Poesie hat ihre Wirkung gethan!
Es schien nöthig diesen augenblicklichen Zustand kurz anzudeuten, wenn von der neuen Oper die Rede seyn soll, die so eben die Theaterfreunde Berlin’s beschäftigt, denn es ist dieselbe so ganz ein Kind dieses Augenblicks, daß man mit der Schilderung ihrer Abstammung sie selbst schon charakterisirt hat. Und in dieser Hinsicht ist ihre Erscheinung auch historisch-poetisch merkwürdig, denn das Reich der Oper ist vor ihr, unsers Wissens, von jener Muse noch nicht betreten worden. Wer uns als Entgegnung den Don-Juan u. s. w. citiren wollte, für den müssen wir bedauern, ganz unverständlich geblieben zu seyn. Hr. Kind in Dresden ist also mit seinem Gedicht grade zur rechten Stunde gekommen, es ist nicht zu läugnen, aber es ist zu fürchten, daß er eben eine Stunde später, wenn dieser schwere Rausch vorüber – zu spät gekommen wäre: diese Stunde wird aber, und giebt’s Gott, bald schlagen, und man wird dann das belachen, was heute die Ueberspannten fesselt, so wie wir jetzt die Siegwartlinge, die Ritter- und Räuberromane, die Karfunkler belächeln. Sollte „der Freischütz“ mit unzählig andern Effect-Jägern dann vielleicht gar mitbegraben werden – um Hrn. Kinds Antheil daran würde die Nachwelt nicht zu trauern haben; aber der unsterbliche Lebenshauch, den v. Weber dem wunderlichen Gesellen einblies, schützt diesen sicher vor dem Untergange.
Mit dieser ausgesprochenen Ueberzeugung von der Grundidee und dem Plan der Oper, (die wir übrigens nicht näher entwickeln wollen, um die Ueberraschung der Leser beim Anschauen des Stückes nicht zu stören) müssen wir noch den Tadel verbinden, der die Zeichnung und Physiognomie der Rollen und fast die ganze dramatische Scenerei betrifft. Wem die Geschichte des Stückes nicht früher aus andern Quellen geläufig ist, der wird sie nur sehr schwer bei der Aufführung fassen, und der durchaus hinkende schleppende Schluß, wo der Knoten, und nicht einmal geschickt, zerhauen wird, beweist wohl eben so wenig, als die erstere Behauptung für ein dramatisches Geschick von Seiten des Dichters. Die Charaktere aber sind in stereotype Formen gegossen, und ein Gutmüthiger, eine Naive (!!), eine from¦me Liebende, ein wilder Taugenichts u. s. w. bewegen sich da neben einander hin, ohne daß man Grund hätte, eine nähere Bekanntschaft mit einem von ihnen zu wünschen. Mehr Lob verdient die Ausführung im Einzelnen, wenn wir die mannichfachen Reminiscenzen abrechnen, unter denen die aus Klingemann’s Faust (!) am unverzeihlichsten sind; aber in der Versificirung der Musikstücke erkannten wir mit Freuden den Dichter Kind wieder. Auch der Dialog ist fließend, die Sprache rein.
Was die Musik betrifft, so müssen wir von vorn herein die Meinung aussprechen, daß seit Mozart nichts bedeutenderes für die Deutsche Oper geschrieben ist, als Beethoven’s Fidelio, und dieser "Freischütz." Weber, so scheint es, habe alle in unzählige Lieder- und Instrumental-Compositionen verstreuten Strahlen seines erstaunenswerthen Genius kühn in einen Brennpunkt gesammelt, denn mit allen seinen längst berühmten Eigenthümlichkeiten finden wir den interessanten Geist hier wieder. Neuheit in Form und Ausdruck, Kraft und Keckheit, ja Uebermuth in den Harmonieen, seltner Reichtum der Phantasie, unübertroffne Laune, wo es gilt, bewundernswerthe Tiefe in den Intentionen, und alle diese Eigenschaften mit dem Stempel der Originalität bezeichnet, dies sind die Elemente, aus denen Weber dies sein neuestes Werk gewebt hat. Mehr ins Einzelne gehend, finden wir eine Fülle von Melodien, die sich sehr sangbar entwickeln, eine meisterhafte Kenntniß der Instrumental-Effekte, die zum tiefen Studium auffordert, und eine genaue Bekanntschaft mit der theatralischen Kraft der Musik, der Weber mit den kleinsten Motiven oft einen überraschenden Einfluß auf das Herz des Hörers abzugewinnen weiß, wie man sich aus seinen einfachsten Liedern wohl erinnert. Wenn andere ängstlich ringen und streben, so scheint Weber mit der Muse vertraulich zu scherzen, und doch weiß er ihr immer ihre besten Gaben abzulocken, denn er ist ihr Liebling.
Dies sein neustes Werk, das, wie wir sogleich sehen werden, aus den verschiedensten Bestandtheilen zusammen gesetzt ist, trägt doch durchgängig die Farbe des Bodens, aus dem es entsprossen, und die dumpfe, schwüle Gewitterluft des Gedichtes, weht auch durch die ganze Musik, zwar konsequent, aber, gestehen wir es, beim ersten Hören wenigstens nicht zu erfreulich. Freilich giebt dies gerade der Oper jenes Gepräge, das ihr den Platz in die Schule anweist, von der wir oben ausgingen, aber diesen Eindruck würden wir lieber den leidigen Criminal- und Schicksals-Tragödien für sich gelassen haben.
Die Ouvertüre (in C) ist, was sie wohl immer seyn soll: der Prolog der Oper, im Sinne der Alten. Sie bereitet das Ungewitter vor, und dieselben Wolken findet man später, wenn es Zeit ist, oft wieder; gegen das Ende erhebt sie sich freudig, wie die ganze Oper, denn das gute Princip siegt, in einem – Spontinischen Motiv. Dieser Schluß-Satz der Ouvertüre, der später auch der der Oper wird, erinnert so offenbar an Spontinische Rhythmen, daß es unbegreiflich ist, wie dem Componisten diese Reminiscenz entgehen konnte. Desto eigenthümlicher wird er aber gleich im ersten Chor (6/8 in Es) dem besonders die Behandlung des Basses im „Viktoria“ ein frisch-kräftiges Leben giebt. Kilian’s Lied (G Dur) „Schau der Herr“ ist eines der wunderlichsten, originellsten Stücke der Oper; die Melodie ist fließend, ausdrucksvoll die Ausweichung in Moll in der Fermate „Mosie!“ und ganz neu die Uebertragung der Secunde in den Mädchen-Chören „He, he, he!“ die die schnippische Dummheit unvergleichlich gut ausdrücken, wozu die Pizzicato- und Oboen-Begleitung viel beiträgt. Das Terzett No. 3. ist uns besonders werth wegen des vortrefflichen | Chores am Schlusse: „Laßt lustig die Hörner erschallen“ (F), wo die Tenöre wieder ganz neu behandelt sind, und an den sich ein Walzer anschließt, in welchem man Weber so wenig verkennen wird, als in jenem Chor. Auf die Arie No. 4., in welche das finstere Motiv aus der Ouvertüre gegen den Schluß wirksam eintritt, folgte das Lied in H Moll: „Hier im ird’schen Jammerthal,“ die Krone aller Weberschen Lieder überhaupt, und der Brillant der Oper. Das ist die Lustigkeit der Hölle, die glühend dies Meisterlied durchdringt, und der erschütternde Effekt der Piccol Flöten beweist doch gewiß eine unserer obigen Behauptungen von der Kenntniß des musikalischen Effektes. Wild schließt der erste Akt mit Caspar’s Arie, die gewaltig instrumentirt ist, und glücklich an das eben genannte Lied erinnert. (Schluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Heft 76 (26. Juni 1821), S. 5–7