Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Montag, 21. August und Dienstag, 22. August 1815 (Nr. 18)
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1815-08-20: an Weber
- 1815-08-22: von Rochlitz
Folgend
- 1815-08-26: an Meyerbeer
- 1815-08-26: von Weber
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1815-08-17: an Weber
- 1815-08-22: von Weber
Folgend
- 1815-08-27: an Weber
- 1815-08-26: von Weber
Liebe theure Lina!
Gestern erhielt ich deinen lieben Brief No: 16 vom 14t huj: zugleich mit einem von Gottfried Weber aus Mainz, dem ich 8 Monate lang nicht geschrieben habe. Das Gefühl meines Unrechtes gegen diesen trefflichen Menschen, machte daß ich das liebere Geschäft einen Tag später beginnen muste, da ich Gestern noch an ihn schrieb. ich habe mich so gewaltsam von allen losgerißen und sie alle zweifeln an mir gemacht, daß es jezt schwer ist den Faden wieder anzuknüpfen, und nur einigermaßen den Schein eines undankbaren, leichtsinnig vergeßenden von mir zu wälzen. – du bist wieder Krankenwärterin? armer Mukel! sonst konnte ich dir da helfen, und wir aßen in dem kleinen Zimmerchen – alle Nacht, rufe auch ich mir jenes schöne gute Nacht zu! – und ordentlich schmerzlich ist es mir, wenn ich Bärmann und Harlas gute Nacht wünsche. H: Ehlers mag ein recht braver Sänger sein, aber meine Lieder soll er nicht singen, es wandelt mich dabey ein wiederliches Gefühl an. — auch mir steht Niemand mehr zur Seite der mir die saure Arbeit versüßt, und wenn ich eine von denen damals in deiner Nähe geschriebenen Sachen spielen oder singen muß, so kostet es einen ungeheuren Kraftaufwand, weil die Errinnerung mich zu sehr ergreifft, und oft allen Ton raubt. — du wünschest mich blos als Mann ohne allen Prunk des Talents dir gegenüber stehn? dann wärest du glüklich? – Sollte ich nicht mit größerem Rechte das von dir wünschen können? der Mann gehört der Welt. das Weib dem Hause. gehören sie beyde der Welt, so verliehren sie sich in ihr, und keines findet einen Zufluchtsort von ihren Stürmen bey dem andern. – Die Äußerungen der Brede kann ich nur mitleidig belächeln. diese sonst übrigens recht gute Seele, sucht nur jedem Betrübten das ihr am tröstlichsten oder heilendst scheinende zu sagen. was Sie dir von den Männern sagt, hat Sie eben so mir von dir und den Weibern gesagt. Ein Dritter kann in diesem Verhältniß nur schief urtheilen, er müste dann eben so zu fühlen im Stande sein. – Du hast den armen Moritz* aus Laune gequält? Warst du denn gegen mich so ganz Launenlos? hast Du mir nie Unrecht gethan? Konntest du auf‡ so lange wir uns kannten nur den Schatten einer Treulosigkeit auf mich werfen? und wenn ich dich nicht wahrhaft liebe, wozu noch dieser fortgesezte Briefwechsel wenn er mir nicht innerstes höchstes Bedürfnis ist? – o meine geliebte Lina lerne doch endlich wahre Grundsäzze von Flitter Bemerkungen unterscheiden – ich muß aufhören ich könnte sonst heftig werden. –
Das war heute ein schöner Tag vom Himmel herab, nach langer Regenzeit. 1000 von Menschen haben sich gewiß seiner gefreut, nur ich konnte es nicht. ich war heute noch trüber als gewöhnlich, suchte mich in eine beßere Stimmung zu arbeiten, aber es gieng nicht. ein schöner Tag wo heitre frohe Gesichter mir überall begegnen, macht mich erst recht wehmüthig. ich kann ihn nicht genießen, und bin ungerecht genug den Genuß den andre davon haben können, schmerzlich als für mich verlohren, zu empfinden.
Möchte er dir theure geliebte Lina auch Frohsinn und Heiterkeit geschenkt haben, und | deinen Trübsinn verscheucht haben. Ich schreibe an diesem Briefe mit den seltsamsten Gefühlen, und muß oft aufhören, um sie mich nicht überwältigen zu laßen. Es ist wahrscheinlich der lezte den du mir beantwortest! da ich heute über 14 Tage d: 5t Sept: abreise – wie schreklich ist der Begriff daß jeder Tag der mich dir näher bringt, eigentlich die Kluft zwischen mir und dir erweitert und meine lezten Zurufe unerwiedert verhallen, wie eines in fremden fernen Landen Sterbenden. – Aber fürchte dich nicht vor mir, theures Leben, glaube nicht daß mein Anblik dir auf irgend eine Weise quälend sein soll. Ich werde recht brav sein, und gewiß alle Kräfte aufwenden jede Ursache zu Kummer von dir zu entfernen, und so wenigstens den schwachen Trost zu erringen suchen, daß meine Nähe dir nicht so ganz peinigend sein soll. — — Ich habe dir lange glaube ich kein Tagebuch von mir geschrieben, aber es ist auch nicht möglich denn ein Tag vergeht wie der andere auf höchst gleichförmige Weise. alles was ich spreche und thue hat nur auf arbeiten bezug. Sogenannte Zerstreuungen giebt es für mich nicht. wenn ich fühle daß der Kopf nun gar nicht mehr aushalten will, so laufe ich eine Stunde in den englischen Garten oder sonst in Gottes freye Luft, und suche so wenigstens meinem Körper sein Recht zu geben. ich habe auch keine Ursache über meine Gesundheit zu klagen, und ich klage auch nicht. auch musikalische Ideen sammeln sich nach und nach zusammen und laßen mich zuweilen noch für die nicht gänzliche Erstorbenheit meines Schöpfungsvermögens hoffen. Aber trübe und beflort ist der Geist der aus alle dem spricht, und ich hindere ihn nicht. er ist mir lieb, und auch die Welt mag ihn fühlen und ahnden wie gedrükt meine Seele von dieser Zeit an war, und daß selbst ihre höchste Erhebung dieses Gepräge trägt.
Es ist schon recht spät. mein Licht flakkert in den lezten Zügen, und meine Augen die ohnedieß zuweilen dienstwidrig handeln, wollen gar nicht mehr gut thun. Mit schwerem Herzen schreibe ich heute diese gute Nacht! mit jeder Stunde, mit jedem dahinrollenden Posttage wird sich dieser Schmerz mehren. aber er ist recht heimlich geworden, – so recht vertraut, er hat sich so fest ins Innerste und heiligste verkrochen, und eine rechte Eißhülle über sich gezogen, daß ihn nur ein stiller Ernst dem Menschen Kenner verrathen könnte. — — also, gute, gute Nacht. schlafe süß und heiter, denke in lieblicher Ruhe Deines Carls, und vergiß das schmerzliche, und halte dich an das wenige Gute, was er dir geben konnte, denke, daß es doch kein treueres Herz mehr giebt, als das für dich schlagende Deines Carls. gute gute Nacht.
Apparat
Zusammenfassung
Privates
Incipit
„Gestern erhielt ich deinen lieben Brief No: 16“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II A a 1. 12Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- auf der Rectoseite oben rechts Ergänzung von Jähns mit Bleistift: (München)
- auf der Versoseite unten links Vermerk von Jähns: Carl Maria von Weber an seine Braut. Eigenhändig.
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Dazugehörige Textwiedergaben
-
ED: Bartlitz (Muks), S. 195–199 (Nr. 35)
Textkonstitution
-
„auf“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
-
„… Du hast den armen Moritz“Verehrer von Caroline Brandt, entweder während ihres Engagements in Frankfurt/Main oder zu Beginn in Prag; vgl. auch Webers Brief vom 5. Juni 1814.