Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 23. Januar 1817
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Lieber Bruder!
Du hättest wohl alle Ursache böse zu sein, wenn ich nicht darauf rechnen könnte, daß du nur zu gut weist wie es Einem gehen kann, wenn man in so einen Strudel von neuen Verhältnißen gestürzt wird, denen auf Lebenszeit sichere und angenehme Grundlagen zu geben, man von Anfang nichts verabsäumen darf was dazu beitragen kann. zudem nahm meine Lage hier gleich in den ersten Tagen so eine seltsame Wendung*, daß ich durchaus erst gerne abwarten wollte, dir irgend etwas bestimtes darüber schreiben zu können. da dieses aber bis jezt unmöglich ist, so will ich doch lieber die Feder ergreiffen als deinen gerechten Unwillen verdienen. Vor allem laße dir und deiner lieben Hausfrau die ich herzlichst grüße, den besten wärmsten Freundes Dank für Eure liebevolle Aufnahme und Pflege darbringen, es gehören diese 3‡ schönen, in ruhiger Arbeit, umgeben von lieben theilnehmenden Wesen, verfloßnen Monate, zu denen wenigen Lichtpunkten meines Lebens, die für so manches herbe und bittre entschädigen und trösten müßen. Dank, innigen Dank dafür, und möge ich einst vergelten können. Für den gehörigen Kontrast war sogleich bei meiner Ankunft gesorgt. nach einer recht glüklichen Reise /: auch die Nacht hindurch, :/ kam ich d: 13t Nachmittags hier an, und d: 16t wollt ich schon wieder abreisen. die Herrn Italiener laßen natürlich Himmel und Hölle los um mich und die ganze deutsche Oper zu vertreiben. Sie finden aber an mir einen harten Kloz, der dergl: Dinge durchschaut, sich nicht leicht verleiten läßt, und auf eigenen Füßen so fest steht, daß er sein Recht ruhig vertheidigen und behaupten kann, die Details sind zu weitläufig und ärgerlich um sie wieder zu erzählen, kurz, ich bin vor der Hand noch ziemlich frei, obwohl ich schon dem Personale, König und Hof präsentirt bin*. Wenn man mir meinen Vertrag nicht ohne Beschränkung erfüllt, so verlaße ich in einigen Monaten Dresden wieder, und ziehe in die Welt. Mir scheint aber es wird nicht dazu kommen, und man meine billigen Foderungen eingehen. Du kannst gar nicht glauben wie viel zu thun ist, nicht nur daß noch gar nichts vom Notenschreiben bis zur 1t Sängerin da ist, sondern jeder Schritt wird mit 1000 Schwierigkeiten verkabalirt. die Proben haben schon angefangen und Joseph soll meine erste Oper sein. dabei habe ich noch nicht einmal Zeit finden können auszupakken, und lebe in einer mir ganz unerträglichen Unordnung. Außer der Geschäftswelt habe ich aber alle Ursache mit meinem Empfange zufrieden zu sein; der ganze Hof, die Minister und Gesandten überhäuffen mich mit Artigkeiten und Einladungen, die freilich viele Zeit kosten, aber vor der Hand ihr Gutes haben. in dem ganzen Wesen und Treiben erblikte ich abermals meinen alten Stern, der mich nichts ohne die grösten Schwierigkeiten erringen läßt, nun — Ende gut, alles gut, die Zeit wird es lehren, und zwar in Bälde, und mein nächster Brief wird dir bestimmteres sagen und erzählen können. Grüße an das Elterliche und die Verwandten Häuser, aus bestem Herzen, — — Lauskas, die gute Koch, Wollank p p p p p p p | bitte ich dich recht sehr, von und nach allen Seiten auszurichten, und zu entschuldigen wenn ich jezt unmöglich noch Partikular schreiben kann. Hoffmann soll mir die Arie aus Undine schikken*, sonst komt die Rezension gar zu spät nach Leipzig.
Gott erhalte Euch gesund und froh, und wenn ihr das leztere gehörig seid so gedenkt des armen Entfernten, dem gar nicht sehr behaglich zu Muthe ist, in ewiger Rüstung und Defension dasteht, und gar zu gerne an Euch zurükdenkt. Behalte mich lieb und denke oft an deinen dich treu liebendsten Freund und Bruder Weber. Dresden d: 23t Januar 1817.
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über seine Aufnahme in Dresden: Querelen mit Morlacchi, Unsicherheit über seinen Vertrag, Überhäufung mit Dienstgeschäften
Incipit
„du hättest wohl alle Ursache böse zu sein“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Signatur: PB 37, Nr. 15Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
Dazugehörige Textwiedergaben
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Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 163–164
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Rudorff 1900, S. 59–62
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MMW II, S. 51 (unter 27. Januar)
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AMZ, Neue Folge; Jg. 3, Nr. 33 (16. Aug. 1765), Sp.546–547 (unter 27. Jan.)
Textkonstitution
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„3“„4“ überschrieben mit „3“
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„4“unsichere Lesung
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„3“unsichere Lesung
Einzelstellenerläuterung
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„… Tagen so eine seltsame Wendung“Vgl. hierzu den Brief an Vitzthum vom selben Tag.
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„… die Arie aus Undine schikken“Gemeint ist die Arie der Undine Nr. 10 aus dem II. Akt („Wer traut des laun’gen Glückes Flügeln“), die laut Webers Angaben in seiner Besprechung auch als Beilage zur AmZ erscheinen sollte, aber trotz dieser Ankündigung nicht erschien.