Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Samstag, 2. August (oder Montag, 4. August) 1817

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S. Wohlgebohren

Herrn Profeßor Lichtenstein

zu

Berlin

durch Güte.

[NS:] Diesen Brief sollt Freund Lork mitbringen, er ist mir aber früher entwischt, und den Sonntag früh schon abgereißt.

Mein theurer Bruder!

Endlich einmal ein Lebens und AntheilsZeichen das mir Freude machte. Meine fortwährende Kränklichkeit, viele Arbeit, Verdruß, und Unbehaglichkeit durch diese fortwährende Ungewißheit meiner Lage erzeugt, haben mich krittlicher und empfindlicher als sonst gemacht, ich gestehe also ehrlich daß es mir fast wehe gethan hat, daß auch nicht ein Einziges von Euch Allen mir durch ein paar Zeilen einen Beweis von Theilnahme oder Wunsch gab, und daß es mich ein wenig verstimt, doch nur Augenbliklich und gegen meinen Willen, aber du weißt ja wohl daß dem reizbaren KünstlerVolk wie den Weibern, immer das Gefühl mit dem Kopfe davon zu laufen sucht, und nur mit Mühe gezügelt werden kann.      Nun, dadurch ist mir denn die Sache am Ende fast nur ein Geschäft geworden. der Brand kann allerdings Einfluß haben*, doch ist es nicht wahrscheinlich, da Brühl sehr in mich drang, und die Sache trieb, auch d: 20t schon an den König zur Sanction abgeschikt hatte, ohne noch recht mein eigentliches Ja Wort zu haben, welches ich mir vorbehielt erst nach der Rükkunft meines Cheffs /: der verreißt war :/ auszusprechen. ich laße nun wie immer Gott walten, und glaube der wird schon alles zum Besten lenkenT. Meinen Brief durch Stümer und Hellwig wirst du erhalten haben, und nun auch manches Mündliche durch Geh: Rath Welper.      So bald ich von Brühl Nachricht erhalte, schreibe ich dir sogleich den Inhalt.      Hier habe ich alle Anträge nebst meinen Antworten vorgelegt, und erwarte was man darauf sagen wird.      der König hat durch den Minister den Graf: Vizthum sagen laßen, er wünsche sehr mich zu behalten und man solle alles thun dieß zu bewerkstelligen — wollen nun sehen was draus wird. Auf jeden Fall werden sie nun hier aber auch glauben daß mit dem Brande auch mein Antrag in Rauch aufgegangen sei, und ich klein zugeben müße. das habe ich aber nicht nöthig, da ich weder damit stolzirt noch Forderungen darauf gegründet habe.      Was du übrigens von später und glänzenderm Ruf sprichst, verstehe ich nicht.      Brühl hat mir 2300 rh: ReiseGeld, 3 Monat Urlaub pp bewilligt, beßer werden sie mir es schwerlich jemals bieten, und sollte Gürrlichs Stelle anderst besezt werden, so möchte wohl nicht so bald einer so gefällig sein zu sterben.

So viel ich kann, arbeite ich mit Lust an meiner neuen Oper, und werde wohl einmal was daraus schikken.      Eine rechte Freude habe ich über meiner lieben Gevatterin Gewinn*.      Es geschieht mir selten daß meine Hand einen Glükszug thut. Grüße Sie herzlichst von mir, der Himmel segne meine kleine Marie und die Eltern.      die Grüße an meine Lina werde ich bestens bestellen. Ende Sept: segle ich nach Prag. ich kann wohl sagen mit rechter Sehnsucht, Je mehr die Welt auf mich eindrängt und fodert, je mehr drängt es mich zu der Zufluchtsstätte stiller Häuslichkeit.      daß übrigens mein Streben, in der Welt wirkt, sehe ich aus dem immer wachsenden Andrang von Anträgen, Fragen, Foderungen und Vertrauen aller Art. — seit 5 Wochen habe ich Halsweh. Bade, freße Pillen, und gurgle. Meine OpernAnstalt geht langsam vorwärts.

Nun lebe wohl mein vielgeliebter Bruder schikke mir bald den August aus
Mtp: und behalte lieb, deinen dich innigst
liebenden treuen Weber.

Apparat

Zusammenfassung

klagt über Kränklichkeit und Ungewissheit in Bezug auf Berlin; teilt die letzten Vorgänge bezüglich seiner Anstellung dort mit; nennt die von Brühl zugesagten Bedingungen seiner Anstellung; werde Ende September nach Prag reisen; erwähnt Arbeit am Freischütz

Incipit

Endlich einmal ein Lebens und Antheils Zeichen

Generalvermerk

Weber antwortet hier auf Lichtensteins Brief, den er laut Tagebuch am 2. August erhalten hatte. Seine Antwort trug Weber erst am 4. August ins Tagebuch ein; dieser Tag ist als Schreibdatum angesichts der obigen Bezugnahme auf Lorcks Abreise am Sonntag, dem 3. August, wahrscheinlicher. Möglicherweise hatte Weber den Brief aber auch bereits am 2. August begonnen und erst am 4. August abgeschlossen.

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37, Nr. 23

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, Jg. 44 (1899), Bd. 87, S. 168–169
    • Rudorff 1900, S. 77–80

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Brand kann allerdings Einfluß haben“Lichtenstein hatte Weber offenbar umgehend (in jenem Brief, den Weber am 2. August erhalten hatte) über den am 29. Juli 1817 erfolgten Brand des alten Langhans’schen Schauspielhauses in Berlin informiert, der tatsächlich dazu führte, dass die von Brühl geführten Engagementsverhandlungen mit Weber abgebrochen wurden (vgl. den Ablehnungsbescheid).
    • „… über meiner lieben Gevatterin Gewinn“Zum Losgewinn vgl. Webers Brief an seine Braut vom 1.–4. August 1817.

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