Carl Maria von Weber an Friedrich Rochlitz in Leipzig
Dresden, Montag, 23. Mai 1825

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S. Wohlgebohren

dem Herrn Hofrathe

Friedr. Rochlitz.

zu

Leipzig.

Innigst verehrter Freund!

Manchmal begreiffe ich mich selbst in meinen Unarten nicht. Wie kann ich Z: B: bei Empfang Ihres trefflichen Buches*, die ganze Seele freudig erfüllt, im Drang mit Ihnen darüber zu sprechen, Ihnen zu danken, zu sagen wie ich Sie fühle, verstehe, wie tief einwirkend gerade dieß alles auf junge Gemüther sein muß, — ganz stumm und Papierscheu bis zur Ungezogenheit sein?

Niemand kann sich heftigere Vorwürfe darüber machen, als ich mir. und doch verfalle ich immer wieder in denselben Fehler, muß ewig pater peccavi sagen /: was sonst eben nicht meine Liebhaberey ist, :/ wo ich durch einen ordentlichen Entschluß, wie er mir bei Geschäftssachen nie fehlt, als ein ganz respektabler Mann dastehen könnte.      daß mir die Unzulänglichkeit alles deßen was ich sagen möchte eine Hemmkette ist, fühle ich wohl, zu meiner geringen Entschuldigung; bei Ihnen dem nachsichtigen Freunde gilt diese vielleicht aber mehr als bei mir, und am Ende tröste ich mich wunderlich genug damit, daß Sie mich wohl beßer verstehen als ich mich selbst, und — wißen, wie ich Sie liebe und ehre. —

Seit 3 Monaten bin ich denn auch krank. Medizinire, bin durch und durch betrübt, arbeitsscheu, und in der Stimmung vor der Gott jeden Menschen bewahren wolle. Alles ohne scheinbare äußere Ursache.      Von Innen heraus, auch wohl von Außen herein, wie das so im Wechsel wirkt, aus der Luft und in die Luft.

Nun habe ich den Koselschen Garten bezogenT und hoffe von der guten Jahreszeit das Beste. — |

Ihr Lob, theurer Freund thut mir wohl. Ihre Winke verdanke ich von Herzen, und werde sie im Auge behalten, so weit es geht, denn wenn ich arbeite so gilt kein Vorher Wollen oder Ansichten mehr, da bin ich fremden Gewalten hingegeben, denen ich folgen muß, denn sie sind ja eben das Geschenk von oben, und geben mir was ich eben bin.

Prinz Friedrich reißte eben in der Zeit ab, als ich Ihren Brief erhielt*.      Wir erwarten ihn täglich zurük.     ich darf mit freudiger Gewißheit hoffen, daß er Ihr Werk mit wahrer Theilnahme empfangen wird, und Sie würdigen mich sehr, verehrter Freund, wenn Sie mich zu Ihrem Boten erwählen.     Wir haben schon oft und viel über Sie gesprochen.

Daß Sie fortfahren werden, kann ich gar nicht bezweifeln*.     Es muß die Ueberzeugung in Ihnen feststehen daß dieses Werk wahrhaft ins Leben eingreiffend nuzt.      daß es ein Haus und Hand buch aller Künstler und Kunstfreunde sein und bleiben muß, das man immer wieder einmal aufschlägt wie einen alten Freund, wo jeder glaubt sich selbst wieder zu finden und sich freut, sich so klar und verdeutlicht zu sehen, wo Lehrer ihre Schüler darauf hin weisen können, und Freundes Streit einen besten Schiedsmann findet. |

Man müßte eigentlich um dieses Buch recht zu bezeichnen ein zweites darüber schreiben.

Ich bin gestört worden, und muß schließen. Frau und Kinder sind gesund, und grüßen bestens. Laßen Sie mich hoffen daß bei Ihnen alles wohl steht.In treuer Verehrung und LiebeIhr
CMvWeber

Apparat

Zusammenfassung

entschuldigt umständlich sein Schweigen trotz des Empfangs von Rochlitz’ Buch; er sei seit 3 Monaten krank und arbeitsscheu, ohne die rechte Ursache zu kennen; ist nun in Kosels Garten gezogen; wenn er arbeite, sei er „fremden Gewalten“ hingegeben, denen er folgen müsse; versichert Rochlitz, wie wertvoll ihm seine Kritik und sein Lob sei

Incipit

Manchmal begreiffe ich mich selbst in meinen Unarten nicht

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 220

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegel
    • Papierausriss durch Siegel
    • PSt: DRESDEN | 23. Mai 25
    • am oberen Rand Bl. 1r von unbekannter Hand: „Carl Maria von Weber to Hofrath Rochlitz in Leipzig —“
    • neben der Anrede auf Bl. 1r Zusatz von fremder Hand mit Bleistift: „genug genug“
    • DBl. laienhaft mit Papierstreifen am Bruchrand überklebt

    Provenienz

    • Sotheby’s (17. Mai 2002), Nr. 197
    • Sotheby’s (21. Mai 1998), Nr. 405 (mit Teilfaks. Bl. 1r auf S. 192)

Textkonstitution

  • r„ch“ überschrieben mit „r
  • U„u“ überschrieben mit „ U
  • „aber“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… bei Empfang Ihres trefflichen Buches“1825 erschien der 2. Bd. von Friedrich Rochlitz’ Sammlung Für Freunde der Tonkunst.
  • „… als ich Ihren Brief erhielt“Prinz Friedrich war am 14. März 1825 nach Paris abgereist. Er kehrte am 25. Mai gemeinsam mit seinem Vater, Prinz Maximilian, und seiner Schwester, Prinzessin Amalie, nach Dresden zurück (die beiden Letztgenannten hatten sich seit Oktober 1824 auf einer Spanienreise befunden); vgl. David August Taggesell, Tagebuch eines Dresdner Bürgers ..., Dresden 1854, S. 436f.
  • „… kann ich gar nicht bezweifeln“Erst die 2. verb. Auflage der Sammlung Für Freunde der Tonkunst (1830/32) wurde auf vier Bände ausgeweitet.

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