Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
London, Donnerstag, 9. und Freitag, 10. März 1826 (Nr. 9)

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Guten Morgen, meine innigst geliebte Lina. das war Gestern ein harter, aber schöner Tag, deßen Freude vollkommen durch die Ueberraschung war die mir dein lieber No: 3 vom 24 und 25t Febr: machte, ich erhielt ihn als wahres Belebungs und Stärkungsmittel nach der Probe. ehe ich ihn aber beantworte will ich referiren so gut ich kann.      d: 7t machte ich um 1 Uhr eine Klavierprobe mit den Sängern* von den aus dem Freyschütz zu gebenden Stükken. wo ich sehr zufrieden war. aß um 6 Uhr bei Moscheles, und fuhr in die Isolina. konnte aber nur 1 Akt aushalten. denn Veluti detonirte so furchtbar*, und das Ganze war so verstümmelt, und, — was die Hauptsache war gewiße Augen brannten so entsezlich, nicht in mein Herz, sondern in meinen Schuhen, daß ich mich nach Haus verfügte, und glüklich ganz Dresdenrisch um 10 Uhr im Bette lag.      Gestern, d: 8t arbeitete ich früh am Finale*. dann kam Kemble mich in die Probe des Oratoriums einzuführen*. um 11 Uhr.      Orchester und Sänger empfingen mich mit 3 maligem großen Aplaus und Zurufen. ich sagte ein paar Worte, und das Vivat Rufen begann von Neuem. dann ging die Probe an, wo ich bei einigen Stükken die ganz verstümelt waren, viel zu thun hatte, das dauerte bis nach 3 Uhr. der gute Wille und Eifer war außerordentlich. nach Hause gefahren, umgezogen. 1/2 5 Uhr Mittag gegeßen bei Robertson, und um 7 Uhr endlich meine erste öffentliche Erscheinung vor dem überfüllten Hause. Smart führte mich an meinen Plaz, und nun — liebe Mukkin, hat alle Beschreibung ein Ende*. — Was sind Donner von Applaus, Sturm und alle Ausdrükke die man gebrauchen könnte, gegen die Wirklichkeit, das Rufen, Jubeln, mit Hüthen und Tüchern schwingen, und flaggen, des ganzen Hauses nahm kein Ende, und man errinnert sich keines ähnlichen Enthusiasmus. endlich begann die Overture. wiederholt. und so noch 3–4 Nummern. am Ende derselbe Jubel, bis ich verschwand. das ganze ging sehr gut, manches trefflich. Kurz es war ein herzerhebender und wahrhaft erschütternder Empfang.      Ladys vom ersten Rang erwarteten mich auf der Treppe, ich mußte noch in mehrere Logen, und wurde gehätschelt, und versorgt mit einer Herzlichkeit wie noch nirgends. nach dem 2t Theil aber ging ich ab, in mein Bett, las dein Briefel nochmals durch, gab euch allen recht gute + + + und schlief recht sanft und gut bis heute gegen 8 Uhr.      Die Gratulations Besuche nehmen kein Ende. meine Ankunft war gleich den 2t Tag in allen Zeitungen aufs pomphafteste angekündigt*, sogar von Dover aus. nun, Böttger und Winkler werden das wohl alles zu lesen bekommen.

d: 10t      Nun ist die Mukkin auch schon lange auf, und die Buben werden gestrigelt. hast du gut geschlafen? wachst du nicht mehr so viel in der Nacht? ist das Kopfweh und die Neblichkeit fortgejagt? berichte mir das alles ja recht umständlich. ich habe recht gut geschlafen. gegen Morgen etwas gehustet, bin dann aber wieder recht süß entschlummert.      Gestern habe ich denn die ersten Töne von meinem Oberon gehört. ich war nehmlich in der Chor Probe von den ersten 2 Akten, und war wirklich überrascht wie gut das geht, schon ganz auswen[dig] fast. nach einigen kleinen Bemerkungen über den Vortrag, machten sie mir es ganz zu Danke, und ich darf mir Wirkung versprechen. Denke dir, das die Nrn. vom 3. Akt die ich schon im Januar absendete*, erst jezt hier angekommen sind, Kaskel hat sie gewiß über Hamburg geschikt, da bleiben sie so lange liegen.      darauf speiste ich bei Kemble, und sah im Theater ein Stük in dem er spielte*. eine Art von Verwandlungen, wo der Oberst, die 4 Vormünder gewinnt oder überlistet. Das Schauspiel ist sehr gut, nur alles mit etwas grellen Farben aufgetragen. Kemble spielte vortrefflich. außer ihm sind die Komiker fast alle ausgezeichnet. hierauf war die alte berühmte Beggars Oper /: Bettler Oper :/, wo ich aber nicht ganz aushielt, sondern um 11 Uhr mich retirirte. — da kome ich aus der Orat: Probe, wo ich nur eine Kleinigkeit zu probiren hatte, und eile zu deinem lieben Brief. ach gute Mukkin, sey nicht böse wenn meine Briefe nicht so lang sind als ich wünschte, aber die Zeit vergeht entsezlich, und der Andrang von allen Seiten unglaublich. heute ist denn nun endlich auch herrliches Wetter, alle Bäume sind ausgeschlagen. wenn das Wetter so schön bleibt gehe ich vielleicht auf ein paar Tage aufs Land nach den Oratorien*, wo ich ungestört meine Arbeiten zu Ende bringen kann.      d: 24t Abends 9 Uhr glaubtest du mich schon in Paris, ach das war unmöglich, und vielleicht nur auf der Rükreise zu erreichen durch meine Ungeduld und die langen Tage. — Aber ich habe mir vorgenommen recht ruhig zurük zu reisen. das viele Fahren jagt mein Blut sehr durcheinander, und ich kann es noch nicht zur Ruhe bringen.      Du eitle Krott!!! willst Dich also nicht mahlen laßen? nun warte nur, wenn ich zurük komme, sollst du gehörige Haue kriegen.      Ein Theil deiner Sorgen wird nun schon durch meine Pariser Briefe gehoben sein. daß du sogar Krieg fürchtest, machte mich herzlich lachen. mich würden sie schon durchlaßen.      dein brav sein glaube ich auch ohne Attestat wenn du mich es ehrlich versicherst. an Knoblochs Freude […] | keinen andern Stoff hätte als die Ehren mit denen man mich überschüttet. Frau v. Lüttichau bitte um ein Stükchen von dem Gichttaffent* und die Adreße, und schließe mir beides einem deiner Briefe bei.      der jüngste Sohn von Schleßinger ist hier. ich sagte ihm von dem Privilegium. Du brauchst es ihm nicht zu senden. die Unkosten muß er allerdings bezahlen. Die Direktion müßte allerdings warten bis ich zurük bin.      Meine Ausgaben hier werden sich hauptsächlich auf die Fiakers beschränken, denn machen werde ich mir nichts laßen, da alles unglaublich theuer ist. da man hier täglich 2 mal Toilette machen muß, und immer zu Tische schon in Schuhen geht, so habe ich mir noch ein paar machen laßen, die sehr wohlfeil sein sollen, und = 4 rh: sage Vier Thaler, kosten.      Nach Schawls habe ich mich erkundigt, die sind wohlfeil, und der Frau Mukkin Aufträge werden pünktlich vollzogen werden, in welchem Maaße aber, — muß die Einnahme bestimmen. Jezt muß ich mich wieder in Wix werfen, und in dem 2t oratorio dirigiren. erst aber bei dem Regisseur Fawcett, meinem Scherasmin, eßen.      so eben habe ich von der Wurzel aporooth gefrühstükt die mir Gräve* in Berlin so empfohl, auch stehen noch mehrere Tränke und Gelées da, die mir zugeschikt sind gegen den Husten.      Die Sorgfalt der guten Leute geht manchmal bis zum quälenden über.      doch wohl dem, der das sagen kann. Mein guter Max ist also brav? Daß höre ich mit großer Freude. Der liebe Bier brauer glaubst du wird mich wiedererkennen, da er das Bild täglich sieht? ich wünsche es von Herzen glaub’s aber nicht.      heute bläst nun auch Fürstenau zum 1t male*.      Mit welcher Sehnsucht erwarte ich deine Antwort auf meinen ersten Londoner Brief, ach und wie lange Zeit vergeht noch ehe es möglich ist daß ich sie habe. — Geduld, Geduld! — wenn ich wieder heime bin, will ich auch 4 Wochen lang nichts thun, als die Glieder gerade aus strekken und faullenzen.

      Nun für heute adé. Gott segne Euch ihr Lieben + + + erhalte Euch gesund und heiter, und gedenkt guten Muthes Eures treuen Euch
über alles liebenden Vaters
Carl.

[im Kußsymbol:] Millionen
gute Bußen.
Die herzlichsten Grüße an die Freunde!

Apparat

Zusammenfassung

beschreibt seine Tätigkeit v. 7.-9. März: Visiten, Theaterbesuche, erste Oratorien-Probe, erstes Covent-Garden-Concert; Probe zu Oberon; Privates; betr. Verabredung mit Carl Schlesinger wegen Oberon-Privilegium; erwähnt Fürstenaus ersten Auftritt und hofft auf baldige Antwort

Incipit

Guten Morgen, meine innigst geliebte Lina! das war

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 216

    Quellenbeschreibung

    • urspr.1 DBl. (2 b. S. o. Adr.), Bl. 2 bis auf 1 cm Rand abgeschnitten, unterer Rand beschnitten; am Rand Textverlust durch Abnutzung
    • Bleistift- und Rötelmarkirungen von Max Maria von Weber

    Provenienz

    • Weber-Familiennachlass

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • ED: MMW II, S. 667 (Auszug); Reise-Briefe 1823/1826, S. 101–105

Textkonstitution

  • unleserliche Stelle
  • „… ehrlich versicherst. an Knoblochs Freude“Verlust durch fehlendes Ende der Seite: Knoblochs Freude betrifft eine Geburt im Hause K. (s. Caroline von Webers Brief), es fehlt das Ende des Satzes und der Beginn des nach dem Seitenwechel endenden Satzes.

Einzelstellenerläuterung

  • „… eine Klavierprobe mit den Sängern“In den konzertanten Freischütz-Auszügen (8., 10., 15. und 17. März 1826) sangen in den Hauptpartien M. A. Paton (Agathe Nr. 6, 8, 9, 16), J. Braham (Max Nr. 2, 3, 9, 16), H. Phillips (Kaspar Nr. 5; ausschließlich am 10. und 17. März auch Nr. 4) sowie als Ännchen wechselnd Miss Farrar bzw. H. Cawse (in Nr. 9 durchgehend Miss Farrar, in Nr. 16 durchgehend H. Cawse, in Nr. 6 am 8. März H. Cawse, danach Miss Farrar besetzt; Miss Farrar zudem als Brautjungfer in Nr. 14). Außerdem wirkten als Solisten Mr. Horncastle, Mr. Atkins und Mr. Tinney mit. Die Programmfolge war nicht an allen vier Abenden identisch; nur am 10. und 17. März kam als zusätzliche Solistin C. Stephens mit der Arie Nr. 12 der Agathe hinzu.
  • „… denn Veluti detonirte so furchtbar“Bei der Vorstellung im King’s Theater sang Velluti den Tebaldo.
  • „… arbeitete ich früh am Finale“Oberon, Nr. 22: Finale III.
  • „… die Probe des Oratoriums einzuführen“Gemeint ist die konzertante Aufführung ausgewählter Nummern des Freischütz im Coventgarden Theatre.
  • „… hat alle Beschreibung ein Ende“Zu Webers erstem Konzert in London im Covent Garden Theatre vgl. auch die Rezensionen in The Times, Nr. 12910 (9. März 1826), S. 2 und Theatrical Observer, Nr. 1328 (9. März 1826).
  • „… allen Zeitungen aufs pomphafteste angekündigt“Vgl. The Times Nr. 12906 (4. März 1826), S. 3.
  • „… ich schon im Januar absendete“Vgl. die Tagebuchnotizen vom 3. Februar 1826.
  • „… Stük in dem er spielte“Charles Kemble spielte in der Komödie A Bold Stroke for a Wife den Feignwell (auch Fainwell); vgl. Theatrical Observer, Nr. 1328 (9. März 1826).
  • „… aufs Land nach den Oratorien“Weitere konzertante Aufführungen ausgewählter Nummern des Freischütz gab es im Coventgarden Theatre am 10., 15. und 17. März 1826.
  • „… ein Stükchen von dem Gichttaffent“„Eine Art Wachstaffet, in welchem man die mit der Gicht behafteten Glieder hüllet, und welcher der Gicht helfen soll“, Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache. Th. 2. Braunschweig 1808, S. 373.
  • „… aporooth gefrühstükt die mir Gräve“Eduard Adolph oder Karl Ferdinand Gräve, beide Ärzte in Berlin.
  • „… Fürstenau zum 1 t male“Fürstenau spielte im Anschluss an die konzertante Aufführung von Freischütz-Auszügen zum Abschluss des ersten Teils des Konzertabends im Coventgarden Theater seine Preciosa-Variationen; vgl. The Theatrical Observer; and Daily Bills of the Play, Nr. 1329 (10. März 1826).

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