Kosenamen und Familiensprache
Bei den großen Briefschreibern unter den Komponisten des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie Mozart, Mendelssohn und Carl Maria von Weber ist nicht nur ein besonderer Briefstil zu beobachten, sondern auch eine ganz individuelle Sprach-Färbung, wenn es um die Korrespondenz mit vertrauten Personen oder Familienangehörigen geht. Bei Weber setzt die Benutzung von Kosenamen für seine Braut Caroline Brandt, soweit sich diese in Briefen widerspiegelt, verstärkt nach der Verlobung vom 19. November 1816 in Berlin ein. Am Tag nach der Feier im Freundeskreis war Caroline zu einem Gastspiel nach Dresden abgereist. Der erste seiner anschließend entstandenen Briefe vom 21. November ist noch „Mein theures geliebtes Leben“ überschrieben, der zweite vom 23. November dann „Mein vielgeliebter Muks“1. In Variationen enthielten schon frühere Briefe Anreden, in denen der von Weber offensichtlich favorisierte (bisweilen auch für sich selbst gebrauchte) Name Muks verwendet wurde2, z. B. auch in der Schlussformel des Briefes vom 4. Juli 1816 aus Berlin an Caroline Brandt in Prag: „behalte lieb Deinen Dich über alles liebenden treuen Carls-Muks“, nachdem er sie mit „Mein geliebtes Mukken Linerl“ begrüßt hatte. Für sich selbst benutzte er häufig auch das Wort Brumbär3. Fantasievolle Varianten bzw. weitere Kosenamen können in anderen Briefen entdeckt werden: u. a. MukkenKönig, Schneefuß, Mukenfuß, Schneefüßiger Hamster, Schnukeduzer, Mops, Mopel, Spizbube, Pumpernikel, melancholischer Hanswurst, auch Herr v. Hanswurst. Webers Talent und Vorliebe für Sprachspielereien zeigt sich exemplarisch in einem geradezu übermütigen Geburtstagsgruß vom 9. Dezember 1816 aus Berlin für seine Braut4, in dem er ihr am Schluss wünscht: „guten Appetit, lieber Muks Muks, Struks, Puks, Knuks, Luchs, Kuks, Fuchs, Truks uks ppp“. Außer für seine Braut / Ehefrau verwendet Weber später auch für seine Söhne Kosenamen: Mäzze für Max, Lex für Alexander.
Aber nicht nur die erfindungsreichen Kosenamen liest man in Webers Briefen, sondern auch ein nur den Verlobten bzw. Ehepartnern geläufiges Vokabular5. Dazu gehören Wort-Varianten, die sich durch den Austausch einzelner oder mehrerer Buchstaben ergeben, bei denen z. B. k- oder g-Laute in der Wortmitte oder am Wortende durch tt ersetzt werden (z. B. ditt = dick, hotten = hocken, schmetten = schmecken, Stottfisch = Stockfisch, Ett = Eck; wett = weg), oder auch Veränderungen bei denen der Buchstabe f als Stellvertreter verwendet wird: Neffen = Nerven; Fee = Tee. In diese Kategorie gehören außerdem Begriffe wie Oz für Ochs, Vies für Viech, Puntum für Punctum, Punkt. Andere Sprachspielereien beruhen auf analogen Wort-Klängen (Complott für Kompott, Sperling für Sterling, Krokantill für Krokodil). Zudem tauchen neben süddeutsch-österreichisch dialektgefärbten Begriffen (Buß für Kuss und Spadifankerl für Teufelchen) auch solche aus der Kindersprache (z. B. Hottos = Pferde) bzw. möglicherweise frei erfundene Wörter auf (pabsen für plaudern). Die mehrfach verwendeten Begriffe „Schloßhunde“ (für Tränen) bzw. „schloßhunden“ (für weinen) sind abgeleitet aus der Redewendung „heulen wie ein Schlosshund“ (nicht zu verwechseln mit dem Wort „Schloßen“ = Hagelkörner, das Caroline von Weber in ihren Briefen gebraucht).
Bisweilen personifizierte Weber auch die von beiden Briefpartnern nummerierten Briefe, vgl. (A041138), oder er verstärkte das Personalpronomen er in: Errr (A041056.)
All diese kleinen, oft skurrilen Besonderheiten erhöhen die Leselust und lassen die große Zuneigung – trotz mancher Neckereien – des Komponisten zu seiner Erwählten erkennen. Leider sind die Gegenbriefe Carolines (bis auf diejenigen nach London 1826) nicht erhalten. Dass sie offensichtlich auf seinen Stil eingegangen ist, wird aus einer Äußerung von ihr von Carl Maria von Weber überliefert in seinem Brief vom 21. Mai 1817, als es um die von Caroline vorgeschlagene Weglassung der ursprünglich vom Librettisten Friedrich Kind vorgesehenen Eremiten-Szenen zu Beginn des I. Aktes des Freischütz ging). Zu vermuten ist, dass diese ,Sprache der Verliebten‘ ein wechselseitiges Spiel war. Zu den ‚Spielereien‘ gehören auch (teils verballhornte, teils wohl lediglich nicht ganz korrekt aus der Erinnerung wiedergegebene) Zitate aus populären Bühnenwerken der Zeit, die den im Theaterleben tief verwurzelten Partnern selbstverständlich geläufig waren, dem heutigen Leser allerdings nur noch in den seltensten Fällen bekannt sein dürften (soweit möglich werden diese Zitate in der Briefedition nachgewiesen, wo nötig auch mit dem originalen Wortlaut).
Einige ständig wiederkehrende Begriffe werden in Webers Briefen durch Symbole wiedergegeben: ein Kreis ○ steht für einen Kuss, ein (bzw. mehrere) halbkreisförmige(s) Zeichen ) für „Haue“ und die abschließende Segensformel wird durch drei Kreuze +++ bezeichnet. Eine weitere Besonderheit sind „Kuss-Platzhalter“ am Ende der Briefe, deren Funktion Weber im Brief vom 11.–13. März 1822 andeutete: Er küsste die gekennzeichnete Stelle, da „den Flek“ Caroline von Weber „auch gebußt“ hatte – quasi ein (zeitversetzter) Zärtlichkeitaustausch per Papier-Surrogat.
Einzelnachweise
- 1Diese Anrede wird 1817 noch mehrfach benutzt: 23. Juli; 27. Juli; 15. August; 6. Oktober.
- 2Bereits vom 29. Mai bis 18. Juli 1811 notierte Weber den Kosenamen Muk / Mukerl für eine Münchner Bekannte in seinem Tagebuch.
- 3Ende Mai 1817, als sie schon an die 90 Briefe gewechselt hatten, schlug Weber Caroline scherzhaft vor, ihre bisherige Korrespondenz unter folgendem Titel drucken zu lassen: vgl. (A041189)
- 4Caroline Brandt glaubte damals noch, am 18. Dezember geboren zu sein; vgl. (A110483), speziell S. 66.
- 5Vgl. (A110124), S. 20.