Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
London, Sonntag, 12. bis Dienstag, 14. März 1826 (Nr. 10)
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Da habe ich den ganzen Morgen Noten fabrizirt, und muß zu meiner Erholung ein bißel mit der Weibe plaudern, obwohl ich ihr eigentlich nichts zu erzählen weiß, als das alte Lied von der Sehnsucht nach Hause, zu der Mukkin, und zur Ruhe pp. paße gar nicht mehr in die Welt. mein Gott! wenn ich bedenke wie überschwänglich glüklich und in Wonne schwimmend, Tausende an meiner Stelle wären, so bin ich doppelt betrübt daß es mir versagt ist alle das Herrliche auch zu genießen. Wo ist der frohe kräftige Lebensmuth hin, den ich sonst hatte. freylich kann ich nichts dafür, es ist rein körperlich, und so lange ich nicht mich wieder eines recht freyen Gesundheits Gefühles erfreuen kann, so lange giebt es auch keine wahre Freude für mich. Dieses ewig ängstliche Beobachten meiner Selbst, Vermeiden ppp ist gar zu störend. und dabey das Wunderliche daß ich eigentlich wieder alles besizze was zur Gesundheit gehört, ich schlafe gut, eße und trinke mit wirklichem Appetit. a. b. C ist in Ordnung. aber, da ist diese abscheuliche Kurzathmigkeit, dieses Krampfhafte angegriffene Wesen. bei der geringsten Veranlaßung durch den ganzen Körper, und dabei wieder das höchst sonderbare, daß große Fatiguen und Eindrükke eben auch nicht viel anders oder heftiger einwirken, als wenn ich Z: B: schnell eine Treppe hinauf gehe. Kurzum! in der Welt soll nichts vollkommen sein, und bei viel Licht ist viel Schatten; deßhalb geduldig an den alten Spruch gehalten — Wie Gott will! —
Da habe ich ja gar sehr lamentabil geschrieben, und die schwarzkünstlerische Mukkin buchstabirt sich da wohl eine Menge Uebelbefinden p Traurig seyn pp heraus. Nein, nein, geliebtes Herz! sei ganz ruhig. ich kann dich auf Ehre versichern, daß ich im Ganzen wirklich recht gesund bin, und du dich gar nicht zu ängstigen brauchst. hab nur eben so aufs Papier gekrazt was wir ja 1000mal mündlich besprochen haben, und ist mir ja bei meinen Briefen nicht anderst, als plauderten wir zusammen. Gestern habe ich durch die Vorsorge des guten Dr: Struve auch einen Korb voll Selterwaßer bekommen, und heute schon begonnen es mit heißer Milch zu trinken, nach beider Dr: Willen. Nachdem ich Vorgestern d: 10t meine No: 9 an dich abgeschikt hatte. aß ich recht angenehm bei dem Regisseur Fawcett. und dirigirte um 7 Uhr wieder in Covent G: meinen Freyschütz. Derselbe Enthusiasmus. Overture, Spott Chor, Veilchenblau, Jäger Chor pp wiederholt. Darauf noch eine Händelsche Cantate Acis und Galathea gehört*, und um 11 Uhr im Bett.
Gestern d: 11t Morgens gearbeitet, und um 12 Uhr Probe vom Oberon mit den Solo Sängern bei mir gehabt. zu meiner völligen Zufriedenheit. meine erste Sängerin aber, Miss Paton, ist krank, und das wird wohl die Aufführung etwas verzögern, worüber ich gar nicht böse bin. Der junge Bursche* der den Puck machen sollte, hat die Stimme verlohren, ich habe aber dafür ein sehr nettes Mädchen, kleiner wie die Miller, sehr gewandt, und singt allerliebst. auf Dekorationen und Maschinerien wird sehr viel verwendet. was ich davon gesehen habe, ist höchst sinnreich. und die Costume vom Dichter mit großer Phantasie angegeben* die Elfen werden fast aussehen wie Bienen, Schmetterlinge oder Blumen, so bald ich kann werde ich dir eine Zeichnung davon schikken. den ganzen übrigen Tag blieb ich ruhig zu Hause und pflegte mich recht, aß mit Smart und Fürstenau, nach Tische kamen viele Besuche*, und um 10 Uhr lag ich schon im Nest, schlief herrlich, bis auf ein bißel Husten, und der heutige Morgen ist mit arbeiten vergangen. jezt erwarte ich mein 2tes Frühstük, /: es ist 2 Uhr :/ arbeite dann wieder, und ziehe mich an, um um 7 Uhr bei Braham zu Mittag zu eßen, und von da zu Mad: Coutts in Gesellschaft zu gehen, wo hoffentlich was zu verdienen ist. Ich weiß nicht ob ich dir schon geschrieben habe, daß der saubere Wolff hier ist der meine Dosen gekapert hatT, und daß er unverschämt genug war mich aufzusuchen und zu thun als wäre er mein intimster Freund. ich war wirklich verlegen für ihn, und fertigte ihn kurz ab. Fürstenau hat sehr gefallen, und w‡ird nächsten Mittwoch wieder spielen*. das ist ein guter Anfang. Aha da kommen die Austern, da muß die Mukkin weichen, natürlich! und H: Martin ich eße für ihn*. Ach lieber Gott! könnte ich dich doch hieher zaubern — —. Das hat gut geschmett, von solchen Austern haben wir doch kein Begriff auf dem festen Lande. dann einige Schnitten Schöpsenbraten, und einen Schluk Porter. delikat. das‡ die englische Küche behagt mir sehr wohl, in ihrer kräftigen Einfalt. Die Trefflichkeit des Fleisches und Geflügels | ist unbeschreiblich. ich habe ohne alle Uebertreibung Kapaunen von der Größe unserer mittelmäßigen Gänse gesehen, dann das Fleisch von einer Zartheit, — saftig — nu! Gewöhnlich werden 3–4 Gerichte verdekt zugleich aufgesezt. das ist außer Suppe ein großer Rinder oder Schöpsenbraten, ein Fisch, ein Kapaun, und einige Gemüse. dann kommen verschiedene Arten Puddings, /: die außerordentlich verschieden sind da sie fast alle Mehlspeisen Puddings heißen :/ Schinken, gekochtes Schweinefleisch, Pastetchen u: d: gl: dann ein ungeheurer Käse, Früchte aller Arten; besonders herrliche Portugiesische Orangen von einer Süßigkeit wie wir sie nie bekommen. das dauert alles nicht sehr lange, und jeder begehrt von der Schüßel die er wünscht und das Stük daß er haben will. ist alles verzehrt, wird abgeräumt, und nur die Weinflaschen und Früchte bleiben stehen. ich versichere dich daß alles das recht angenehm und auf Geselligkeit berechnet ist, und einem die französischen Sitten dabei sehr egoistisch gegen die englischen Geselligen vorkommen. Du siehst mein Frühstük hat mich ganz in Enthusiasmus versezt. ach ja, es schmett immer recht gut, da ich Abends nichts mehr zu mir nehme. Heute habe ich schon viel studirt, wann wieder ein Brief von dir kommen kann. Es kömt freylich darauf an ob du die Woche 1 oder 2 mal schreibst, und ich will mir vor künftigem Mittwoch keine Hoffnung machen, weil ich heimlich doch glaube vielleicht früher überrascht zu werden.
Da fällt mir eben ein, schikke doch zu Dr: Engelhart und bitte ihn nebst freundlichstem Gruß von mir, daß er sogleich ein ähnliches Privilegiums Gesuch an den Großherzog von Darmstadt absendet*, welches du ja unterschreiben kannst; du schreibst ja fast so schön als ich, und es wird mir ziemlich ähnlich sehen*. bitte besorge das gleich.
Nun, ade für heute. Morgen ein weiteres von deinem alten Brumbären. —
d: 13t 1 Uhr. Eben komme ich von einem Geschäftsgang nach Hause und finde, o freudige Ueberraschung 2 Briefe von dir vom 28t Feb: und 4t huj. Vor allem laß dir nächst Gott, den besten Dank sagen, du vortrefflicher Geschäftsmann. ich will dich loben loben!! nun!! und aber auch bedauern, armer Muks, welche Angst, welche Sorge magst du ausgestanden haben, und wie sehr bewundere ich deine Entschloßenheit, die das klügste und beste that, was geschehen konnte, denn auf jeden Fall war ja weiter nichts zum besorgen, als einen alten Freund zu verlezzen*. Die alte Freundschaft aber erkenne ich daraus daß sie die Wechsel gleich bezahlten, die alle auf 4 und 6 wöchentliche Aufkündigung gestellt waren. Nun, Gott sei gepriesen und bedankt, und ich freue mich doppelt in deine Seele hinein, da du es allein gerettet hast. Es ist daher doch billig daß du allein darüber disponirst. willst du es Keller geben, in Gottesnahmen, ich bin von Natur gegen alle Hypotheken Anleihen, besonders in Sachsen, und würde unbedingt Preuß: Staatsschuldscheine bei Kaskel dafür kaufen. aber im Ernst liebe Mukkin thue was du für gut hältst, du hast dich hier so umsichtig und fest benommen, daß du ruhig thun kannst was du willst, ohne im geringsten meine Mißbilligung zu fürchten. Ich umarme dich 1000 mal in Gedanken und gebe dir rechte gute dankbare Bußen. Wenn doch meine Briefe eben so schnell zu dir kämen als dieser vom 4t zu mir. Denke! heute ist erst der 9te Tag! Der vom 28t ist dem Postzeichen nach erst d: 2t März abgegangen, du mußt also nicht den rechten Posttag getroffen haben. bei aller Freude die ich über deine Briefe habe, ängstiget mich doch sehr der garstige Husten; den bin ich gar nicht an dir gewohnt. Gewiß hat diese Gemüthsbewegung auch sehr seine Beßerung verhindert, und das beßere Wetter wird auch das seinige thun; Gott schüzt uns ja so augenscheinlich, daß er uns auch hier nicht verlaßen wird. Warum hast du denn den Alexander nicht gesehen? Das ist nicht recht, so was Neues muß dich doch ins Theater ziehen. Wir haben jezt auch das herrlichste Wetter hier, die Pfirsiche blühen schon. Die Unruhe in meinem Blute hat seit gestern fast ganz nachgelaßen, ich habe sehr gut geschlafen, und auch die Kurzathmigkeit scheint dem guten Wetter Beßerung zu danken zu haben. Die Theater Händel sind nur für den guten Lüttichau unangenehm. laß dir es nur denn nicht auch verleiden. Sie dauert mich unendlich. Die Unruhe die hier bei den vielen Bankerotten war, ist schon gröstentheils verschwunden, in einer solchen Weltstadt gleicht sich alles bald wieder aus. Allerdings hat es aber doch Einfluß auf die Privat Vergnügungen besonders. Nun ich werde ja sehen was zu thun ist. so bald ich sehe daß nichts mehr zu verdienen ist, fahre ich sogleich ab‡. Daß du den armen Roth nicht um | dich hast ist eine meiner größten Sorgen, denn ich weiß wie tröstend und beruhigend seine verständige Theilnahme einwirkt. Der Himmel wird ihn ja wohl auch bald wieder herstellen. Aha, Madam: erkennt Sie nun daß es nicht so übel ist eine Männe zu haben, und man ihn nicht immer schelten muß, wenn er ein bißel sauer sieht? gelt? mein sauerstes Gesicht wäre ihr jezt lieber als gar keines? Sey ruhig, geliebtes Leben, ohne dich gehe ich nicht wieder fort. wenn ich je wieder eine Reise mache. jezt wollen wir aber zuerst diese überstehen, die mir* […]‡[sauer wird]‡. — Deine Berechnungen gute Mukkin mit meinem auf der See […]‡ von […]‡ -ster, was wirst du triumphierend auf deinem Geld sak sizzen […]‡ hier habe ich noch gar nicht abgegeben, so wie keine, ich habe keine Zeit dazu, […]‡ auch kein Geld.
nun lebe wohl für heute, der Brief geht erst Morgen fort. 1000 Küße meinem braven Finanz Minister!! — —
d: 14t Guten Morgen H: Minister. wie haben Sie geschlafen? wenn so gut als ich so bin ich sehr zufrieden. Gestern aß ich mit Fürstenau bei Moscheles und von da fuhren wir ins Philarmonische Concert. wirklich ein ganz vortreffliches Institut. herrliches Orchester. Habe mich sehr delektirt, und da diese Leute vernünftig sind und nur 8 Musikstükke geben*, so komt man doch schon zeitig nach Hause. aber die Oratorien pp dauern in 3 Theilen von 7–12 Uhr und auch oft noch länger. Jezt muß ich meinen Brief schließen da ich mich noch anziehen, und dann in die Oberons Probe fahren muß. möchte lieber noch mit der Mukkin plaudern, ’s thuts aber nit. Die Zeit verfliegt gar zu schnell, wenn man was zu thun hat, und doch ist sie wieder so unendlich langsam, wenn man die Sehnsucht nach den Seinigen in Anschlag bringt. ein Monat ist schon bald vorbei, wenn nur noch einer vergangen ist, dann ist die schlimmste Epoche vorüber, und es geht heimwärts, und ich kann mich blos pflegen und auf der faulen Bärenhaut liegen. also guten Muthes, es wird doch schön sein wenn ich ein feines Sümmchen mit nach Hause bringe.
Gott segne Euch alle. ich küße meine guten Buben, grüße die Amme
Marie, den Johann, wenn sie brav sind.
dich alter Hamster lobe ich nochmals aus Grund des Herzens und dankbarlichst, drükke dich an mein Herz, gebe gute + + + und bleibe ewig in alter
treuer Liebe dein dich über
alles liebender Carl.
Apparat
Zusammenfassung
klagt sehr über Husten, versucht seine Frau Caroline aber zu beruhigen; berichtet u.a. von der Aufführung von Freischütz-Auszügen, den Oberon-Proben (begeistert über Dekoration und Kostüme); ausführlich über englische Küche; erwähnt Privilegiumsgesuch an Ludewig I.; Geschäftliches (Bankerotte); über Roth; Privates; über Besuch des Philharmonischen Concerts; erkundigt sich nach Dresdner Theater; erwähnt Krankheit der Paton
Incipit
„Da habe ich den ganzen Morgen Noten fabrizirt“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 217Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelspur und -loch
- Aus Bl. 2 oben ein 3 cm breiter Streifen herausgeschnitten (Textverlust im oberen Drittel der 3. bzw. 4. S.)
- PSt: Rundst.: unleserlich
- Randmarkierungen mit Blau- und Rotstift von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
MMW II, S. 667–668 (Auszüge); 676 (Zitat)
-
Reise-Briefe 1823/1826, S. 106–112
-
Worbs 1982, S. 130–135
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„w“„s“ überschrieben mit „w“
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„das“durchgestrichen
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„… ist, fahre ich sogleich ab“dreifach unterstrichen
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unleserliche Stelle
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„sauer wird“ergänzt von den Hg.
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unleserliche Stelle
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unleserliche Stelle
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unleserliche Stelle
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unleserliche Stelle
Einzelstellenerläuterung
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„… Cantate Acis und Galathea gehört“Der Konzertabend im Coventgarden Theater bestand aus drei Teilen: Nach den Freischütz-Auszügen (Teil 1) bildete Acis und Galathea den Teil 2. Es folgte als Teil 3 „A Grand Miscellaneous Act“ mit Werken verschiedener Komponisten (u. a. Mozart, Meyerbeer), den Weber offenbar nicht anhörte; zum Programm vgl. The Theatrical Observer; and Daily Bills of the Play, Nr. 1329 (10. März 1826).
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„… böse bin. Der junge Bursche“Laut Planchés Manuskript des Librettos war dies ein gewisser „Master Longhurst“, der dann in den Aufführungen als Statist bei den Feen eingesetzt wurde, wie aus dem Personenverzeichnis im Druck der Gesänge zur Uraufführung hervorgeht.
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„… Dichter mit großer Phantasie angegeben“Der Erstdruck des Librettos zur Uraufführung enthält zu Beginn eine Seite Kostüm-Beschreibungen.
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„… ird nächsten Mittwoch wieder spielen“Zu Fürstenaus Auftritt am 10. März vgl. Webers Brief vom selben Tag. Im Konzert im Coventgarden Theater am 15. März spielte er wiederum zum Abschluss des ersten Teils seine Preciosa-Variationen; vgl. The Theatrical Observer; and Daily Bills of the Play, Nr. 1333 (15. März 1826).
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„… Martin ich eße für ihn“Zu der den Eheleuten vertrauten Passage aus Der Teufelsstein in Mödlingen vgl. Caroline von Webers Brief vom 24./25. Februar 1826.
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„… den Großherzog von Darmstadt absendet“Das hessen-darmstädtische Privileg zum Schutz der Oberon-Verlagsrechte wurde am 26. Mai 1826 erteilt.
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„… wird mir ziemlich ähnlich sehen“Das Gesuch, aufgesetzt wohl von Engelhardt, ist tatsächlich von Caroline von Weber mit dem Namen ihres Ehemanns unterzeichnet.
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„… einen alten Freund zu verlezzen“Betrifft Wechsel-Angelegenheit mit dem Bankier Ballabene; vgl. Brief von Caroline vom 4. März 1826.
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„… zuerst diese überstehen, die mir“Ab hier Textverlust infolge eines 3 cm breiten herausgeschnittenen Text-Stückes.
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„… und nur 8 Musikstükke geben“Zum Programm des Konzerts in den Argyll Rooms vgl. The Harmonicon, vol. IV, pt. 1, Nr. 40 (April 1826), S. 84.