Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
London, Donnerstag, 16. und Freitag, 17. März 1826 (Nr. 11)
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Kaum komme ich dazu, ein bischen mit meiner Alten plaudern zu können, so drängen sich die Geschäfte und Abhaltungen aller Art. Heute habe ich einen Haustag, aber der muß für die Nokkerln verwendet werden, und nicht für eitle Vergnügungen, wie nehmlich ich mein Briefschreiben an die Mukkin claßifiziren muß. Nun habe ich aber schon einige Seiten instrumentirt, und muß dafür ein bißel Zukker kriegen. oh! ich bin sehr gütig gegen mich selbst, und belohne augenbliklich meinen Fleiß, fast so gut wie mein K: Nein; gottlob, etwas beßer. d: 14t nach Absendung meines No: 10. hatte ich Probe vom Oberon. Sänger und Chor recht gut. Dann eine Conferenz. Abends ein großes Dinér mir zu ehren, bei dem ersten Chemiker in London*. wo S: K: Hoheit der Herzog von Sussex präsidirten. ein höchst liebenswürdiger Fürst; das war ein ächt englischer aber höchst intereßanter und fröhlicher Mittag. Reden wurden gehalten, Gesundheiten ausgebracht, und mit Gesang begleitet; S:‡ Hoheit tranken meine Gesundheit, und sezten auseinander wie wichtig meine Musik auf den englischen Geschmak eingewirkt habe, daß eine gänzliche wohlthätige Revolution entstanden sey, und die Nation mir nicht dankbar genug sein könnte pp. das alles war sehr schön, aber ein bischen lang, von 7 bis nach 11 Uhr auf einem Flekk sizzen, ist für mich eine harte Aufgabe. Wegen dem Trinken hat man sich aber nicht zu ängstigen, die Engländer sind ungemein bescheiden, und aufmerksam es ihren Gästen angenehm zu machen. nöthigen gar nicht, sorgen für den Wein den man gewohnt ist pp
Gestern d: 15t früh gearbeitet*. 12 Uhr Probe von der Jubel Overture. nach der Probe, bekam ich recht heftigen Husten Anfall, nachdem er mehrere Tage sich gar artig benommen hatte. ’ist ein kurioser Kerl. — Mittag zu Hause. Abends zum 3t mal den Freyschüz dirig: brechend volles Haus. gleicher Enthusiasmus, Overture und mehrere Stükke immer da Capo. zu Anfang des 3t Theiles die JubelOv: ungeheuer aufgenommen, ich war schon vom Theater, und wurde wieder geholt sie da Capo zu dirigiren! um 12 Uhr lag ich im Bett und schlief recht gut bis 8 Uhr. dann auf, Besuche pp und auch das gewiße Väschen erhalten, was mir eigentlich erst feyerlich bei einem öffentlichen Dinér übergeben werden wird*. Aber wirklich — Superb. allerdings nicht so groß wie die in Kosels Garten, aber doch das 3 fache von dem Quedlinburger*. sehr schwer, und solid herrlich gearbeitet, ganz englischer Geschmak; und ich hoffe der Pokal soll dir gefallen. Das ist ein schönes Stük in den Silber-Kasten mehr. immer so zu gehamstert. Morgen Abend ist nun das lezte Oratorium, und die ersten 100 £ verdient. heute bekam ich den Antrag den Freyschütz so lange es eben gehe, als Concert alle Abend zu dirigiren. nehmlich nur so viele Stükke als eine Stunde füllen, dann geben sie eine Komödie pp dazu. für jeden Abend wieder 25 £ oder 60 Dukaten Honorar. Das ist doch honett?* auf dem Theater können sie ihn jezt nicht als Oper aufführen, weil das den Oberon zu sehr stören würde, und so suchen sie alles hervor mir meine Zeit bezahlt zu machen, eben so werde ich auch für die Direction des Oberon honorirt. kurz ich hoffe meine Zeit nicht umsonst hier zugebracht zu haben, und mit einer gewißen Ruhe in Hosterwitz sizzen zu können, die ich ohne diese Reise schwerlich genießen könnte. Es ist 9 Uhr Abends daß ich dieß schreibe. so oft bin ich gestört und abgehalten worden. Die Jungens schlafen wohl schon in guter Ruhe, aber die Weibe sizt vielleicht auch am Tische und schreibt an ihren Carl wie er an Sie. ich sizze aber vor einem freundlichen Kamin, und du heizest wohl auch noch ein? den ganzen Tag folgen Euch meine Gedanken in eurer Beschäftigung, und wenn Fürstenau zu mir kömt, sprechen wir von nichts anderem. Heute Mittag brachte Smart deine Gesundheit aus, und sagte was er sich freue dich nächstes Jahr hier zu sehen. ich mußte ihm versprechen es dir zu schreiben, und ich ließ ihn natürlich in seinem süßen Wahn, auch dir die Herrlichkeiten‡ seines Landes zeigen zu können. ich bin wirklich vortrefflich hier im Hause. Er und seine Leute sind die Sorgfalt selbst, und zwar nicht mit jener unbequemen Höflichkeit die einem alles verleidet, sondern recht in der wahren Art einem alles behaglich zu machen.
Nun gute Nacht Mukkin; bin müde. will noch 2 Seiten inst: und dann ins Betterl gehen. Gott segne Euch + + +. gute, gute Nacht!!! |
Kein Briefel von der Weibe. habe immer so leise darauf gehofft. ist gar zu eine große Freude so ein Lebenszeichen von den Seinigen zu erhalten. ich lebe nun gewiß umgeben von den theilnehmendsten Menschen, alles geschieht was man mir nur an den Augen absehen kann, und doch fühle ich mich so einsam, habe eine solche Sehnsucht nach Hause, daß mir fast zuweilen das Schloßhunden* näher ist als das Lachen. und ich schelte mich darum, denn es [ist] wirklich eine Ungerechtigkeit die ich gegen meine Umgebung begehe, und die Leute müßen sich betrüben, wenn sie mich nicht so lustig sehen, als ich billig von Gott und Rechtswegen sein sollte. Aber ich bin halt einmal ein PechVogel — Puntum! Gestern bin ich recht ordentlich gleich nach 10 Uhr schlafen gegangen, und habe recht gut und sanft geruht. der Husten ist weiter ruhig, und löst sich gleich. um 11 Uhr war ich bei S: K: H: dem Herzog Leopold von Coburg, an den ich einen Brief von Prinz Fridrich hatte. er nahm mich sehr‡ freundlich auf, und Sonntag Abends bin ich zu seiner Schwester der Herzogin von Kent geladen. von 12 bis just habe ich Probe vom Oberon gehabt. Die Paton sang zum 1t male ihre Parthie*, entzükkend schön. Der Effekt des 1t Finales ist außerordentlich, und eben so des 2t mit meinen Elfen. wenn die ganze Geschichte fertig gekocht ist, möchte ich dich wohl herzaubern können. heute sah ich auch die Dekoration wo Puk die Geister zusammen ruft. das sind 8–10 praktikable Felsen, wie Häuser, alles auf Rollen, die sich alle öffnen und mit Geistern bevölkert sind, und wegverwandeln mit allen diesen Menschen, in die offene See. in Dresden werden sie das wohl bleiben laßen. Heute eße ich ganz allein zu Hause, da ich nit gern Einladungen annehme, wenn ich hinterher zu thun habe.
adé, Mukkin. bin hungrig, und will zeitig eßen, daß mich der Bauch nicht beim Freyschützen inkomodirt*. Dieser Brief ist wohl sein Porto nicht werth, liebe Alte. aber ich weiß nichts beßeres, und möchte doch nicht gern einen Posttag ungenuzt verstreichen laßen; du freust dich doch, wenns auch nur wenig Worte von dem Brummbären sind, die dir sagen daß er gesund ist, und es ihm gut geht. ich küße meine Jungen, und gebe Euch Allen gute + + +. Gott segne Euch, erhalte Euch gesund, und gedenkt fröhlich und heiter, Eures alten treuen liebenden Vaters
Carl.
[im Kußsymbol:] Millionen
gute Bußen
Apparat
Zusammenfassung
Tagebuch vom 14./15. März: Arbeit und Proben an Oberon; Diner zu Webers Ehren; Konzert mit Jubelouvertüre; hat Gelegenheit zu weiteren Oratorien-Konzerten; Visiten und Proben zu Oberon; Besuch bei Herzog von Coburg und Herzogin von Kent; beeindruckt vom Bühnenbild für die Geisterszene im Oberon
Incipit
„Kaum komme ich dazu, ein bischen mit“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 218Quellenbeschreibung
- urspr.1 DBl. (2 b. S. o. Adr.), Bl. 2 bis auf 2 cm Rand abgeschnitten
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
MMW II, S. 671 (Auszug); Reisebriefe, S. 113–117
Themenkommentare
Textkonstitution
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„S:“„die“ überschrieben mit „S:“
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„Herrlichkeiten“„herrlichen“ überschrieben mit „Herrlichkeiten“
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„sehr“„daher“ überschrieben mit „sehr“
Einzelstellenerläuterung
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„… dem ersten Chemiker in London“Vgl. Tagebuch vom 14. März 1826; Th. F. Savory residierte 22, Sussex Place am Regent’s Park.
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„… d: 15 t früh gearbeitet“Während seines Londoner Aufenthaltes musste Weber, zusätzlich zu den geschilderten vielfältigen Unternehmungen, nicht nur mehrere Nummern seiner neuen Oper fertigstellen, die er bereits in Dresden entworfen hatte – dazu gehört auch die Änderung des Chores von Nr. 21, der ursprünglich für gemischte Stimmen gedacht war und den Weber, der Szene entsprechend, zum Chor der Haremsdamen umarbeitete – , sondern zwei Nummern komplett neu komponieren; vgl. Kommentare in den Briefen von Weber an seine Frau Caroline vom 29. bis 31. März 1826 und vom 8. bis 11. April 1826.
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„… öffentlichen Dinér übergeben werden wird“Die Zusammenkunft der Philharmonic Society, zu der Weber geladen war, fand laut Tagebuch am 19. März 1826 statt.
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„… 3 fache von dem Quedlinburger“Weber vergleicht den Silberpokal, den er in London laut Tagebuch am Vormittag des 16. März 1826 als Geschenk erhalten hatte (vgl. die Notiz in der Zeitung für die elegante Welt vom 4. April 1826) mit jenem, den er 1824 als Geschenk des Quedlinburger Klopstockvereins bekamT, sowie offenbar mit (steinernen?) Schmuckvasen in Cosels GartenT in Dresden.
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„… Honorar. Das ist doch honett?“Die Planungen wurden nicht ausgeführt; zwar war für den 29. März ein solcher Abend angekündigt (konzertante Freischütz-Auszüge, gekoppelt mit einer Komödie und einer Farce; vgl. die Ankündigung in The Theatrical Observer; and Daily Bills of the Play, Nr. 1345 vom 29. März 1826), der allerdings laut Tagebuch wegen Erkrankung von M. A. Paton ausfiel. Webers Brief an seine Frau vom [27./]28. März 1826 zufolge waren weitere Wiederholungen für den 30. und 31. März vorgesehen, die aber nicht mehr im Theatrical Observer angekündigt sind. Nach den vier „Oratorio“-Konzerten am 8., 10., 15. und 17. März 1826 gab es statt dessen eine weitere konzertante Aufführung von Freischütz-Nummern im Rahmen eines Konzertabends am 13. Mai 1826.
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„… mir fast zuweilen das Schloßhunden“Weinen.
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„… Bauch nicht beim Freyschützen inkomodirt“4. konzertante Aufführung von Freischütz-Auszügen im Covent Garden Theatre an diesem Abend.