Aufführungsbesprechung: „Das unterbrochene Opferfest“ von Peter Winter am 31. Oktober 1811 in München

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Dramaturgische Bruchstücke.

München, den 31. Oktober. Das unterbrochene Opferfest. Oper in 2. Akten von Huber, Musik von Herrn Kapellmeister Winter*. Über die Vortrefflichkeit dieser Musik noch etwas sagen wollen, hieße Wasser in den Rhein tragen! so anerkannt ist in allen Theilen Deutschlands das Verdienst derselben, und der sprechendste Beweis davon der, daß sie überall noch und stets mit neuem Vergnügen gehört wird*.

Sie ist eine der wenigen deutschen Opern, die dem Sänger jeder Gattung Stoff sich zu zeigen darbietet, und auch heute hatten wir ihr wieder einen neuen Murney, Herrn Mohrhardt aus Frankfurt, und an Madamme Willmann eine neue Elvira zu danken.

Herr Mohrhardt zeigte sowohl in dieser Rolle als in den beyden vorhergehenden des Josephs* und Palmers*, daß die Bühne sich an ihm einen braven singenden Schauspieler zu versprechen hat. Wer besonders Herrn Mohrhardt noch vor einem Jahre in Frankfurt sah*, muß desto mehr seine seit dieser Zeit gemachten sehr bedeutenden Fortschritte bewundern, indem er damals nichts weniger als lebendiges Spiel hoffen ließ. Sein Gesang scheint indessen nicht vorgerückt zu seyn, und wenn man auch rechnen will, daß der Zuhörer sich endlich an den nicht ganz angenehmen Halston gewöhnt, so möchte doch das Einerley seiner Manier viel noch zu wünschen übrig lassen. Ref. glaubt ¦ übrigens, daß dieser Klang der Stimme nicht rein natürlich, sondern durch fehlerhaften Gebrauch der Stimm-Werkzeuge beym ersten Unterricht erzeugt ist, und durch Fleiß und Anstrengung wieder gehoben werden könnte; und dann hätte man sich sehr zu einem gut singenden und spielenden Tenoristen zu gratuliren. Da aber schwerlich sich jemand finden dürfte, der Herrn M. diese Mängel freymüthig genug entdeckte, und Ref. überhaupt Herrn M. (ohne seinem Streben zu nahe zu treten) nicht so viel Selbstüberwindung zutraut, da er gewiß sich zu den bessern des seltnen Tenoristen Völkchens rechnen darf, welches ihm auch der Beyfall des gebildeten Münchener Publikums erneuert bewieß, so rechnet Ref. seinen Wunsch unter die pia desideria*.

Daß die Oper ganz als ernsthafte Oper gegeben wurde, und die Rolle des Pedrillo* etc. etc. wegblieb, war Ref. eine angenehme Erscheinung, denn obwohl man einige sehr niedliche Musikstücke verliert, gewinnt doch das Ganze dadurch sehr an Haltung und Einheit.

Das Orchester bezauberte, wie gewöhnlich, durch Kraft und Prezision; mehr ließen die Chöre zu wünschen übrig, besonders im Finale des ersten Aktes erschienen sie Ref. unvortheilhaft gestellt zu seyn: Alle auf der einen Seite beysammen und vor ihnen die Tänzer, so daß die andere Seite der Bühne leer blieb, und sie kaum bey dem kräftigen, immer steigenden Ensemble gegen den Hintergrund der Bühne zurückgedrängt zu hören waren.

Vor allem entzückte Mad. Regina Lang als Myrrha*. Ref. hat diese Rolle schon unzählige Mahl und oft von sehr braven Sängerinnen geben sehen, aber nie noch fühlte er sich so ergriffen, als durch die Wahrheit des Spiels und Gesanges der Mad. Lang. Es war nicht Mad. Lang die spielte, Nein! es war „Myrrha“. Die Scene des Wahnsinnes, die so häufig vergriffen und mit zu grellen Farben aufgetragen wird, hebt Ref. besonders aus, und selten war wohl ein Beyfall gerechter als der, den Mad. Lang ärndete.

Auch Herrn Direktor Fränzl gebührt der beste Dank für das Abschaffen einer sogenannten Kleinigkeit, die, wie so mancher andere noch vorhandene Uebelstand, sehr oft die Wirkung der eintretenden Musikstücke störte, ja häufig ganz vernichtete, nemlich das zweymalige Klopfen des Souffleurs am Anfang eines jeden Musikstückes. Es ist eine von den Verbesserungen, welche freylich nicht mit Applaudiren belohnt werden, aber sie belohnen sich in sich selbst, indem das Publikum davon ergriffen wird, ohne zu wissen warum, und die Wenigen, die die Ursache der erhöhten Wirkung der eintretenden Musik wissen, erkennen und sprechen den stummen Dank der Zuhörer aus.

Simon Knaster.

Apparat

Zusammenfassung

Besprechung einer Aufführung des Werkes mit den Gästen Otto Mohrhardt und Marianne Willmann; die Chöre überzeugten bei dieser Aufführung nicht ganz; lobt besonders die Darstellung der Myrrha durch Regina Lang

Generalvermerk

Sigle (Simon Knaster.), vgl. TB 5. November und Übersicht November 1811

Entstehung

5. November 1811 (laut TB)

Überlieferung

  • Textzeuge: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände, Jg. 1, Nr. 88 (6. November 1811), Sp. 711–712

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Kaiser (Schriften), S. 118–120 (Nr. 37)

Textkonstitution

  • „Unhoch“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Musik von Herrn Kapellmeister Winter“Die Erstaufführung des Werkes in München fand am 19. August 1797 statt. Weber notierte den Besuch der Vorstellung im TB 31. Oktober 1811. Besetzung lt. Theaterzettel im Theatermuseum München: Schack (Huayna Capac) / Unhoch (Roka) / Regina Lang (Myrha) / Mohrhardt (Murney) / Willmann (Elvira) / Hanmüller (Masseru) / Mittermayr (Villack Umu) / Flerx (Guliru) / Lipp [Lipp, Maria Magdalena (vor 1765–1827), Sängerin] (Balisa) / Müller (Sira) / Egell (Bote).
  • „… mit neuem Vergnügen gehört wird“Lt. Loewenberg „Winter’s most famous work and about the most successful German opera between Zauberflöte and Freischütz.“ Erstaufführungen des Werkes bis dato in dt. Sprache u.a. in Berlin am 1. März 1797, in Hamburg am 1. September 1797 (Texteinrichtung von C. A. Vulpius), in Budapest am 11. Dezember 1797, in Brünn am 21. Dezember 1797, in Pressburg am 1. Dezember 1798, in Prag 1807 sowie St. Petersburg 1808.
  • „… den beyden vorhergehenden des Josephs“Vgl. das spätere Gedicht auf Otto Mohrhardt als Joseph von Wolfgang Adolph Gerle.
  • „… vorhergehenden des Josephs und Palmers“Den Besuch der Vorstellung von Palmer und Amalie in München am 27. Oktober 1811 mit Mohrhardt in der Titelrolle vermerkte Weber im TB.
  • „… einem Jahre in Frankfurt sah“Otto Mohrhardt war seit Juli 1809 Mitglied des Nationaltheaters Frankfurt/Main.
  • „… Wunsch unter die pia desideria“Als gelehrte Redensart (von lat. pius „fromm“ und desiderium „Wunsch“) bezeichnet pia desideria gutgemeinte, aber unerfüllbare Wünsche.
  • „… und die Rolle des Pedrillo“Pedrillo, Murneys Diener.
  • „… Mad. Regina Lang als Myrrha“In einem Bericht über ein Gastspiel der Sängerin 1810 in Stuttgart wird ihre Darstellung der Myrrha weniger gelobt.

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