Dramatisch-musikalische Notizen (Prag): „Alimelek“, „Wirth und Gast“, „Scherz – Ernst“ von Giacomo Meyerbeer
Dramatisch-musikalische Notizen.
Als Versuche, durch kunstgeschichtliche Nachrichten und
Andeutungen, die Beurtheilung neu auf dem Landständischen
Theater erscheinenden‡ Opern zu erleichtern. Von Karl
Maria von Weber, Direktor der Oper am landständischen Theater. (Fortsetzung.)
Alimelek, Wirth und Gast, oder: Aus Scherz – Ernst. Komische Oper in 2 Akten. Gedichtet von Wohlbrück, in Musik gesetzt von Mayerbeer*.
Es ist mir sehr erfreulich, sogleich zum Anfange einen Gast einführen zu können, der gewiß selbst seine Zuhörer bewirthen wird, und dem man auch deßhalb eine verdoppelte Aufmerksamkeit gern schenkt, weil er ein ächtes deutsches Originalwerk ist. Ungern blickt Referent auf das Repertoire der deutschen Bühnen, das erΔ überschwemmt, mit fremden Erzeugnissen sieht, die uns noch meistens durch schale Uebersetzungen, Δlokal nothwendig scheinende Verstümmlungen von derΔ Laune eines einzelnen Gewicht habenden Mitgliedes oft erzeugt, – nicht einmal in ihrer ganzen Eigentümlichkeit erscheinen, und größtentheils ihren glücklichen Erfolg dem Δ Rufe von Außen zu verdanken haben.
¦Der Dichter dieser Oper Herr Wohlbrück ist selbst Schauspieler; früher in Hamburg, gegenwärtig Mitglied des königl. TheatersΔ zu München. – Ein vielseitig gebildeter Mann, der als trefflicher einsichtsvoller Künstler überall geliebt und geschätzt istΔ. Kenntnis des Theaters, sprechendeΔ Zeichnung der Karaktere, und Herrschaft über die Sprache sind ihm eigen. Außer diesem Operngedicht verdankt ihm die deutsche Bühne noch mehrere andere Werke, die ich später zu berühren, Gelegenheit finden werde*.
Der Kritik zu begegnen, muß ich bemerken, daß man die im ersten Finale erscheinenden Sklavinnen, (als eine große Verletzung der türkischen Sitten) nicht dem Dichter zur Last legen darfΔ, sondern, daß sieΔ erst in Wien, wahrscheinlich um das Theater zu füllen, und Weiberstimmen zum Chore zu gewinnen, eingeschaltet worden sind.
Der Komponist, Herr Mayerbeer, einer der ersten, wenn nicht vielleicht der erste Klavierspieler unserer Zeit – ist der Sohn eines geachteten Hauses in Berlin, und hat sich aus reiner Liebe zur Sache ganz der Kunst geweiht.
Nebst einer vorzüglichenΔ literarischen Bildung und Sprachkenntniß, ist er einer der wenigen Komponisten neuerer Zeit, die sich das ernste Studium der Kunst in ihren geheimsten Tiefen angelegen sein ließen. Nächst eigenem Denken und Forschen verdanktΔ er auch dem zweijährigen Umgange des Abt Voglers einen großenΔ Theil seiner Bildung. Lebendige rege Pha[n]tasie, – liebliche, oft beynahe üppige Melodien, – richtige Deklamation, – musikalische Haltung der Karaktere, – reiche neue Harmonie-Wendungen, – sorgfältige oft in überraschenden Zusammenstellungen gedachte Instrumentation, – bezeichnen ihn vorzüglich. Als Anerkennung seiner Δ Talente ernannte ihn schon vor 3 Jahren S. K. H. der Großherzog von HessenDarmstadt aus eigenem Antriebe zu seinem Kammerkompositeur.
Diese Oper ward zuerst für das Δ Hoftheater zu Stuttgard geschrieben*, und mit Beifall aufgenommen. Später arbeitete sie der Komponist in Wien nach den vorhandenen Lokalrücksichten um.
Sie erschien auf dem Theater nächst dem KärnthnerthoreΔ* und mißfiel, oder vielmehr die eingetretenen ungünstigen Umstände erlaubten ihr nicht, sich mit dem Publikum vertraut zu machen, da sie nur Einmal gegeben wurde.
Ohne im Ganzen der dortigen Aufführung dieser, – durch ihre höchst mannigfaltigen feinen Nuancen, die beinaheΔ den Ensemble-Vortrag eines Quartetts erfordern – schwierigen Musik zu nahe treten zu wollen, bemerke ich bloß folgende Haupttatsachen: Die Rolle des Alimelek war für den Sänger Hrn. Ehlers geschrieben und berechnet; eingetretene Verhältnisse hinderten diese Besetzung – Herr Forti übernahm die Rolle. Die Melodieformen wurden geändert und ihres ursprünglichen Reizes beraubt, ganze Musikstücke transponiert; und, – nachtheillos für die Verdienste des Herrn Forti sey es gesagt; dasΔ für die Individualität des Herrn Ehlers so passende Spiel und Leben der ganzen Rolle, konnte nicht auf dieselbe Weise hervortreten, wodurch dieser letztere Künstler sich so lange die Gunst des Publikums erworben hatte.
Mlle. Buchwieser hatte aus physischen Ursachen den Abend nicht die Kraft ihre Rolle* so gutΔ zu geben, wie man es von dieser trefflichen Meisterin gewohnt ist, und zog sich – der Liebling des Publikums – jenen Tag,Δ den laut ausgesprochenen Unwillen desselben zu.
Daß dergleichen Zufälle hinreichend sind, ein Kunstwerk, dessen Gedeihen und Leben an so zarten Fäden hängt, – für den Augenblick zu stürzen, ist klar. Tausend andere Nebenumstände ungerechnet, die so leicht ungünstig einwirken, wozu ich nach meiner Ansicht sogar auch die Anwesenheit eines Komponisten selbst rechne. Die Persönlichkeit erregt zu viele vorgefaßte Meinungen dagegen und dafür, und Parthey entsteht eher als die Sache selbst.
– Die Zeit reift alles, und ist der natürliche Alliirte der guten Sache.
Don Juan wurde bei der ersten Vorstellung in Frankfurt ausgezischt*.
Joseph in Ägypten in Wien vor einigen Jahren beinahe eben so – jetzt – entzückt er das Publikum – –*
Apparat
Zusammenfassung
zuerst charakterisiert Weber Textdichter und Komponist; erläutert dann die Aufführungsgeschichte mit den Aufführungen in Stuttgart und Wien, wo das Stück aufgrund ungünstiger Sängerbesetzung und falscher Bearbeitung durchfiel
Generalvermerk
Der frühen Aufführungsgeschichte des Werkes widemt sich Frank Ziegler in Weberiana 33 (2023).
Entstehung
18. Oktober 1815 (laut A und TB)
Überlieferung in 2 Textzeugen
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1. Textzeuge: Kaiserlich Königlich privilegirte Prager Zeitung, Jg. 2, Nr. 294 (21. Oktober 1815), S. 1203
Dazugehörige Textwiedergaben
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Kaiser (Schriften), S. 262–264 (Nr. 65)
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2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (V), Bl. 41a/v–41b/vQuellenbeschreibung
- über dem Manuskript „die Fortsezung folgt. Alimelek. Wirth und Gast. oder aus Scherz Ernst. Komische Oper in 2 Akten gedichtet von Wohlbrük, in Musik gesezt von Meyerbeer.“; Incipit: „Es ist mir sehr erfreulich sogleich zum Anfange einen Gast“; datiert: „d: 18t. 8br. 1815.“
- auf Bl. 1v bis 2v von DBl. nach 1815-WeS-06 (Format 33,7x20,4 cm, WZ: bekröntes Ornament mit Horn, Gegenmarke: IGB, Kettlinien 2,5–2,7 cm, Ränder ausgefranzt), von Weber pag. S. 80[Seitenzahl aufgrund von Manuskriptbeschnitt nicht mehr vorhanden]-82; links neben Textbeginn Webers Vermerk über ED; falsche Datierung bei MMW (3. Oktober) und Kaiser (13. Oktober); Datierung des Manuskripts durch TB bestätigt, unter 18. 10.: Aufsaz über Wirth und Gast geschrieben.
Dazugehörige Textwiedergaben
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HellS II, S. 140–144
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MMW III, S. 85–87
Themenkommentare
Textkonstitution
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„erscheinenden“sic!
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„die“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… in Musik gesetzt von Mayerbeer“Nach der Erstaufführung am 22. Oktober 1815 verfasste Weber eine Werkbesprechung für die AmZ, vgl. auch die weiteren Rezensionen zur Prager Aufführung. Während seiner Amtszeit in Dresden beschäftigte sich Weber erneut mit dem Werk; vgl. Weber-Schrift.
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„… zu berühren, Gelegenheit finden werde“Vgl. Dramatisch-musikalische Notizen (Prag): „Athalia“ von Johann Nepomuk Poißl.
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„… das Hoftheater zu Stuttgard geschrieben“Uraufführung 6. Januar 1813 in Stuttgart unter der Leitung von Conradin Kreutzer.
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„… dem Theater nächst dem Kärnthnerthore“Die Oper wurde nicht (lt. Webers Entwurf) am Theater an der Wien, sondern im Kärtnertortheater am 20. Oktober 1814 unter dem Titel „Die beyden Kalifen“ einmalig aufgeführt, vgl. Aufführungsbesprechung in der AmZ, Jg. 16, Nr. 47 (23. November 1814), Sp. 789.
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„… nicht die Kraft ihre Rolle“Rolle: Irene, Nichte des Kalifen.
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„… ersten Vorstellung in Frankfurt ausgezischt“Aufführung am 3. Mai 1789 in deutscher Sprache; vgl. Don Giovanni deutsch. Mozarts Don Giovanni in der deutschen Fassung von Neefe und Schmieder Frankfurt 1789, hg. von Friedrich Dieckmann, Sankt Augustin 1993, S. 4 und auch das Textbuch der Arien und Gesänge .
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„… er das Publikum – –“In der deutschen Fassung von Hassaurek mit einem Schlusschor von Seyfried zum ersten Mal im Theater an der Wien am 5. Dezember 1809 (dort noch 12 Vorstellungen bis 1812, 1817 Neuinszenierung); zum ersten Mal am Kärtnertortheater am 14. Juni 1815, wurde auch hier in zahlreichen Aufführungen bis 1822 gegeben (Neueinstudierung am 19. Januar 1828).
Lesarten
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Textzeuge 1: „das er“Textzeuge 2: „indem er es“
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Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.Textzeuge 2: „und“
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Textzeuge 1: „von der“Textzeuge 2: „durch die“
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Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.Textzeuge 2: „begründeten“
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Textzeuge 1: „Theaters“Textzeuge 2: „Hoftheaters“
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Textzeuge 1: „geliebt und geschätzt ist“Textzeuge 2: „geschäzt und geliebt sich sieht“
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Textzeuge 1: „sprechende“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
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Textzeuge 1: „darf“Textzeuge 2: „kann“
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Textzeuge 1: „sie“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
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Textzeuge 1: „vorzüglichen“Textzeuge 2: „vorzüglich“
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Textzeuge 1: „verdankt“Textzeuge 2: „dankt“
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Textzeuge 1: „großen“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
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Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.Textzeuge 2: „vorzüglichen“
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Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.Textzeuge 2: „Königl.“
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Textzeuge 1: „nächst dem Kärnthnerthore“Textzeuge 2: „an der Wien“
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Textzeuge 1: „beinahe“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
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Textzeuge 1: „das“Textzeuge 2: „die“
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Textzeuge 1: „gut“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
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Textzeuge 1: „,“Textzeuge 2: „zum erstenmal“