Bemerkungen über die geplante Aufführung der „Euryanthe“ in Berlin von Carl Maria von Weber
Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften.
Ueber die Aufführung der Oper Euryanthe von C. M. v. Weber, in Berlin*.
Die Abendzeitung hat bisher über diesen vielfältig besprochenen Gegenstand ein vollkommenes Stillschweigen beobachtet, ja sogar – auch dem ausdrücklichen Wunsche des Kapellmeisters von Weber gemäß – mehrere scharfe gegen die General-Musik-Direktion zu Berlin gerichtete MittheilungenΔ abgelehnt. Sie ist aber nun veranlaßt, bekannt zu machen, daß der Componist der Euryanthe sich genötigt gefunden hat, selbst auf’s dringendste um AufschubΔ der Aufführung dieser Oper in Berlin zu ersuchen, welches Wunsches Erfüllung er auch der stets das Rechte und Gute wollendenΔ obersten Theater-Behörde zu verdanken hat*.
Ob hinreichende Gründe vorhanden waren, seinen Wunsch zu rechtfertigen, mögen folgende wenigen Thatsachen dem öffentlichen Urtheil anheim stellen.
Seit Monaten hatte der Componist nichts Bestimmtes über die Aufführung seiner Oper erfahren können; trotz der schmeichelhaftesten sich um die Sache drehenden Correspondenz, und nur auf Privatnachrichten hin*, und unter Voraussetzungen, deren Wahrheit sich bestätigte, stellte er obige Bitte an die General-Intendanz der königl. Schauspiele.
Mit einem fast übertriebenenΔ Eifer sollte auf einmal Euryanthe in cirka achtzehn Tagen einstudirt werden, welches dem ComponistenΔ bei der Schwierigkeit und dem Umfange des Werkes, trotz der gewiß regen Güte aller Mitwirkenden, den Sturz desselben unausbleiblich zur Folge zu haben schien. Er beruft sich hier auf die Erfahrungen des ganzen Berliner Publikums, welches an der Dauer des Einstudirens anderer großen Opern einen Maßstab zur Beurtheilung dieser Behauptung besitzt. Gesetzt aber auch, die Aufführung gelang, so konnten höchstens zwei Vorstellungen statt finden, denen eine Monate dauernde Unterbrechung folgen mußteΔ, da den 15. July der Urlaub der Mad. Seidler beginnt, später Mad. Schulz außer Stand ist, zu singen u.s.w.
Nicht ganz unbemerkt dürfte es wohl auchΔ bleiben, daß, trotz der öffentlich in den Berliner Zeitungen erschienenen Verhandlung der General-Musik-Direktion (deren Inhaltswahrheit hier übrigens nicht erörtert werden soll), in welcher der königl. Herr General-Musik-Direktor Ritter Spontini ausdrücklich zu den übrigen geehrten Mitgliedern der Musik-DirektionΔ sagt: „Die Rollenbesetzung der Euryanthe ist übrigens, wie Sie wissen, von Herrn von Weber selbst bezeichnet worden“ – doch die Rollenbesetzung nicht nach Herrn von Webers Willen geschah.
Es wäre eine mehr als törige‡Δ Vermessenheit gewesen, wenn der Componist der Euryanthe unter diesen Umständen einen günstigenΔ Erfolg hätte hoffen wollen, da er ohnehin die feste Ueberzeugung hegt, daß nur eine vollkommen gereifte Darstellung durch ihre individuelle Vollkommenheit diesem dramatischen Versuche Theilnahme erwerben und erhalten kann.
Dresden, am 23. Junius 1824.Apparat
Zusammenfassung
erörtert die Gründe für seinen Wunsch um Aufschub der Euryanthe-Aufführung in Berlin aufgrund von zu kurz angesetzter Probenzeit und ungünstigen Bedingungen hinsichtlich des Sängerpersonals
Generalvermerk
Lt. Kaiser (S. CXVI) handelt es sich hierbei um das einzige von Weber der Öffentlichkeit übergebene Dokument seiner brieflich geführten Verhandlungen mit Spontini um die Aufführung der Euryanthe in Berlin; vgl. auch Eveline Bartlitz: „Unrichtigkeit“ oder „Ungenauigkeit“? Der Streit um Webers Berliner Euryanthe-Honorar im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Brühl und Spontini, in: Weberiana 21 (2011), S. 7–36
Entstehung
23. Juni 1824 (laut A und TB)
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung in 2 Textzeugen
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1. Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 8, Nr. 153 (26. Juni 1824), S. 612
Dazugehörige Textwiedergaben
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MMW II, S. 568–569
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Kaiser (Schriften), S. 402–404 (Nr. 153)
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2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (XIV), Bl. 82b/v–83a/rQuellenbeschreibung
- über dem Ms. Titel: „Für die Abendzeitung. Ueber die Aufführung der Oper Euryanthe von C. M. v. Weber in Berlin.“; Incipit: „Die Abendzeitung hat bisher über diesen vielfältig besprochenen Gegenstand ein vollkommenes Stillschweigen“; datiert: „Dresden d: 23t. Juny 1824.“
- Beginn auf Bl. 2v von DBl. (Format 33,6x20,7 cm, WZ: bekröntes Posthorn, darunter: K, Gegenmarke: A. WERNER, Kettlinien ca. 2,5–2,7 cm); Forts. auf Bl. 1r von DBl. (gleiche Papiersorte), mit vielen Korrekturen Webers, in HellS nicht enthalten
Textkonstitution
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„törige“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… v. Weber , in Berlin“Die EA fand erst am 23. Dezember 1825 statt.
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„… obersten Theater-Behörde zu verdanken hat“Vgl. Webers Korrespondenz mit dem Intendanten Carl Graf von Brühl: Webers Briefe an Brühl vom 7. Juni 1824 und 24. Juni 1824 sowie dessen Reaktion vom 16. Juni 1824.
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„… und nur auf Privatnachrichten hin“Vgl. den Briefwechsel Webers mit Hinrich Lichtenstein und Johann Philipp Samuel Schmidt aus der Zeit.
Lesarten
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Textzeuge 1: „– auch dem ausdrücklichen Wunsche des Kapellmeisters von Weber gemäß – mehrere scharfe gegen die General-Musik-Direktion zu Berlin gerichtete Mittheilungen“Textzeuge 2: „ auch mehrere scharfe gegen die GeneralMusikDirektion zu Berlin gerichtete Mittheilungen dem ausdrüklichen Wunsche des K:pMstr v. W. gemäß“
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Textzeuge 1: „Aufschub“Textzeuge 2: „Aufschieben“
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Textzeuge 1: „und Gute wollenden“Textzeuge 2: „wollenden Güte der“
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Textzeuge 1: „fast übertriebenen“Textzeuge 2: „ihm übertrieben scheinenden“
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Textzeuge 1: „dem Componisten“Textzeuge 2: „ihm“
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Textzeuge 1: „folgen mußte“Textzeuge 2: „folgte“
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Textzeuge 1: „auch“Textzeuge 2: „noch“
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Textzeuge 1: „ausdrücklich zu den übrigen geehrten Mitgliedern der Musik-Direktion“Textzeuge 2: „zu den übrigen Mitgliedern der geehrten Musikdirektion, ausdrüklich“
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Textzeuge 1: „törige“Textzeuge 2: „thörigte“
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Textzeuge 1: „günstigen“Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.