Charlotte von Wiebeking an Ludwig Tieck in Dresden
München, Samstag, 28. Dezember 1822

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Sie haben mich sehr glücklich durch Ihren freundschaftlichen Brief gemacht; wenn mein inniger Dank, den ich bey dessen Empfang empfand, ohne Tinte, Feder und Papier zu Ihnen hätte gelangen können, Sie würden ihn schon längst erhalten, und da seinen Freunden wohlgethan zu haben eine der höchsten menschlichen Freuden ist, vielleicht nicht ohne angenehme Empfindungen. Ihre Aeußerungen über den Werth unsrer verewigten unvergeßlichen Fanny, Ihre Theilnahme an unserm Verlust, hat mein schmerzlich geprüftes Mutterherz erhoben und erquickt! sie können sich daher meine Empfindungen vorstellen, als ich ihr früher an sie gerichtetes Gedicht in Ihrer vortrefflichen Sammlung fand!* Die Verstorbene, so wie alle Glieder unsrer Familie, haben Ihrem lehrreichen Umgange sehr viel zu verdanken! Jene genußreichen Tage Ihres Hierseiens werden mir ewig unvergeßlich bleiben! Wäre ich König von Bayern, ich würde dem der Sachsen Ihren Besitz auf alle Weise streitig machen – so habe ich in meiner Ohnmacht die beglückende Erinnerung, die kein Monarch der Erde sich erkaufen kann, voraus.

Die Frage wäre aber, ob Sie das schöne Dresden mit dem sterilen München vertauschen möchten?

Als Ihre theuren Zeilen hier anlangten, waren wir, mein lieber Wiebeking und ich, auf einer Reise nach dem Bade Kißingen, und von da nach meiner Vaterstadt Gotha begriffen. Indeßen haben wir bey unsrer Zuhausekunft die Bekantschafft der beiden Herren Ueberbringer noch gemacht, und einige Mahle das Vergnügen gehabt, sie bey uns zu sehen. Daß Doktor Waagen von hier wieder abgereist, ist für unsre Familie ein großer Verlust; als begünstigter Verwandter von Ihnen war er mir, schon ehe ich ihn kannte, interessant; bey näherer Bekanntschaft wurde er mir und uns allen durch eigne Vorzüge werth. Mit ihm, der Sie eben so aufrichtig höchschäzt und dankbar verehrt, von Ihnen theuerster Freund uns zu unterhalten, gab uns gegenseitig wahren Genuß! Auch mit Ihrem schönen Familien-Kreise, Ihrer würdigen Gemahlin, Ihren geistvollen, liebenswürdigen Töchtern machte er uns durch seine Mittheilungen bekannt; daher bitte ich Sie, mich ihnen zu empfehlen. Insbesondere aber beruhigte und erfreute mich die Bestätigung, die er uns über die Befestigung Ihrer theuren Gesundheit gab. Wie unschätzbar ist dieses für jeden unentbehrliche Gut für die, welche so wie Sie Mit- und Nachwelt belehren, veredlen und erfreuen!

Von meinem l. Wiebeking, der seit den ersten Tages des Monats September eine Reise nach Italien unternommen, kann ich Ihnen heute nichts sagen, als daß er sich sehr wohl in diesem schönen Lande befindet und wichtige Materialien zu seinem neuen architektonischen Werke dort einsammlet; sein lezter Brief war von Mailand, von wo er über die Schweiz zurückzukehren gedenkt. Meine Tochter Köhler hat sich Ihres freundlichen Andenkens sehr erfreuet und trägt mir viel Schönes an Sie auf; sie und ich haben in dem kleinen dreyjährigen Sohn unsrer verewigten Fanny, der ihr geistig und körperlich ähnlich zu werden verspricht, Trost und süße lohnende Beschäftigung. Schlichtegroll’s Tod haben Sie gewiß nicht ohne Theilnahme gelesen; er ward seiner Familie zu früh entrißen! seine gebeugte Wittwe und Kinder* empfehlen sich Ihnen, besonders der Baurath, dem in London der Vorzug ward, Sie wiederzusehen.

Wenn Sie Carl Maria Weber sehen, so bitte ich Sie, ihn freundlich von mir zu grüßen. Ich habe den Triumpf dieses genialen Künstlers mit allen seinen Freunden gefeiert.

Ich schließe, indem ich Ihnen herzlich Lebewohl zurufe mit der Bitte, mich in Ihrem freundschaftlichen Andenken zu erhalten. ZeitlebensIhre
aufrichtig ergebene
Freundin
Charlotte von Wiebeking.

Apparat

Zusammenfassung

reflektiert den Tod ihrer Tochter Fanny, berichtet über Reisen und Freunde und bittet Tieck, Weber zu grüßen, sie hätten mit seinen Freunden seinen Freischütz-Triumph gefeiert

Incipit

Sie haben mich sehr glücklich durch Ihren freundschaftlichen Brief gemacht

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Bartlitz, Eveline

Überlieferung

  • Textzeuge: Verbleib unbekannt

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Briefe an Ludwig Tieck, ausgew. und hg. von Karl Holtei, Bd. 4, Breslau 1864, S. 296–298

    Einzelstellenerläuterung

    • „… in Ihrer vortrefflichen Sammlung fand!“„An Fanny“ in: Ludwig Tieck, Gedichte, Th. 1, Dresden 1821, S. 240–242.
    • „… seine gebeugte Wittwe und Kinder“Das Paar hatte vier Söhne, darunter Antonin (1793–1873) und Nathanael (1794–1859), sowie die Tochter Sara(h) Maria (1796–1873, später verh. von Vogel).

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