Carl Maria von Weber an Charlotte von Wiebeking in München
Hosterwitz, Mittwoch, 26. August 1818

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Hochwohlgebohrene, innigstverehrte Frau!

Sie werden wohl kaum Ihren Augen glauben wenn Sie die Schriftzüge deßjenigen erblikken der durch sein langes Stillschweigen fast die Strafe verdient hätte nicht mehr auf Ihr Andenken hoffen zu dürfen, wenn nicht das Bewußtsein ihn aufrecht erhielte, daß die innigste Verehrung und Anhänglichkeit an Ihr Haus und die lieben Ihrigen, stets mit gleicher Wärme in ihm lebte, und es nun eben mit zu seiner Bestimmung gehört oft gerade die ihm theuersten mit langem Stillschweigen kränken zu müßen.      Je mehr man in die Welt tritt mit desto 1000fältigern Fäden umspinnt sie ihr Opfer und entzieht es dadurch gleichsam sich selbst indem es die Verpflichtungen nach außen über die innern erhebt.

Seit Jahr und Tag bin ich meinen liebsten Freunden, meinem Gänsbacher und so manchem andern Nachricht schuldig geblieben bis ich endlich jezt mich aus dem Strudel auf eine kleine Zeitinsel gerettet habe die mir Raum giebt auch einmal etwas zu meiner Beruhigung und Freude zu thun.

Der überraschende Besuch Bärmanns* gewährte mir die hohe Freude recht viel von Ihnen sprechen zu können. Er brachte mir die beruhigendsten Nachrichten über meiner lieben Schülerin Gesundheit und die frohesten durch die Anzeige ihrer nahen Vermählung. Gottes Glük und Seegen dazu, und meine tiefgefühltesten Wünsche für ihr Wohl, denn unbedingt glüklich kann ich den Mann preisen, der, Sie erkennend zu seiner LebensGefährtin erwählt hat.        Bärmann wuste weder Nahmen noch Zeit der Vermählung genau und glaubt daß sie künftig in Gotha leben werde; dieser Ungewisheit halber schreibe ich heute nicht selbst an meine theure Schülerin, sondern bitte den besten willkommensten Boten den ich wählen konnte, die hochverehrte Mutter, meine lauterste Theilnahme und Segenswünsche der guten Fanny auszusprechen.      Umfaßenderes kann ich derselben | nicht wünschen, als wenn ich Gott bitte, Ihr dieselbe häusliche Glük[se]lichkeit zu schenken, deren ich genieße an welcher Sie säm[tlich] gewiß auch Theil nehmen.      Seit d: 4t 9ber 1817 besizze ich an meiner geliebten Caroline eine treue sorgsame heitere Hausfrau, die mit liebevoller Hand schon manchen dornenvollen Pfade mich leichten Schritts und guten Muths wandeln lehrte. Wir kannten uns seit 4 Jahren, aber unserer Verbindung stand nach meiner Ueberzeugung früher so manches im Wege, das erst hinweggeräumt werden muste ehe ich hoffen konnte ein auf feste Grundlagen gefußtes Gebäude häuslicher Ruhe ausführen zu können. Wir duldeten und litten eine schwere Zeit, und haben uns verdient.     Wie sehr freue ich mich darauf, Ihnen meine gute Lina einst vorstellen zu dürfen, sie kennt die Wiebekingsche Familie genau, denn wäre es mir möglich gewesen nicht unzählichemal von Ihnen zu sprechen?      sie bittet im Voraus um Ihre Güte und Freundschaft und hofft sie zu verdienen, so wie ich mit freudigem Stolze glaube, daß auch Sie, sie gerne in Ihrem Kreise sehen und — kennen Sie sie erst, wohl auch zu Ihren Lieben zählen werden.

Nun doch auch nur Etwas zu meiner Rechtfertigung anführen zu dürfen, erlauben Sie mir Ihnen die lezten Epochen meines Lebens gedrängt vor zu führen.

Die lezten Monate 1816 wo ich an Ihr Fräulein Tochter zum leztenmal schrieb verwendete ich zu anhaltendem Arbeiten, und Vorbereitungen zu einer großen Reise, als der Ruf hieher alle diese Anstalten unnüzz machte und entgegengesezte foderte.      In diesem Troubel erhielt ich d: 5t Januar 1817 zu Berlin eine Antwort von Fr: Fanny. d: 12t reiste ich nach Dresden ab. Hier erwarteten mich Verdruß und Geschäfte aller Art. Kabalen und Wiederstreben der Italiener und ihrer Anhänger, gänzlicher Subjekt Mangel der deutschen Oper, wenig Vertrauen der Regierung zu der leztern, deren Errichtung ihr blos die Zeitumstände und der sich immer lauter dafür aussprechende Wunsch des Publikums – abgedrungen hatten.      Auf diesem ewig wogenden Meere — wo ich alle Kräfte und Augenblikke der | neu zu gründenden Anstalt, der es an Allem, an Musik pp fehlte widmen mußte, und sehr oft auf dem Punkt stand das Ganze wieder fallen zu laßen und meinen Abschied zu nehmen, – habe ich fest bisher gelebt, gekämpft, gesorgt und gelitten. Doch die Theilnahme des Publikums zeigte sich bald laut und erfreulich, das Vertrauen des Hofes erwachte nach und nach. Mein sehr geliebter und wahrhaft verehrungswürdiger Cheff, litt und arbeitete mit mir, und um seinetwillen ertrug ich vieles, wo ich sonst früher wohl mit beyden Füßen darein gesprungen wäre.
Die Zeit wo ich meine gute Lina heimzuführen dachte nahte im 7b 1817 heran, als die VermählungsFeyer unserer Prinzeß Marianne mit dem Großherzog von Toskana, meine Anwesenheit und die Composition einer großen ital: Kantate erheischten. Unter der steten Sehnsucht nach meiner Braut – die ihr Quartier in Prag schon aufgegeben, sich aufs knappste behelfen muste, und dem Lärm der Handwerksleute beim Einrichten meiner neuen WohnungT, schrieb ich diese Musik, von einem Tage zum andern Erlösung hoffend, die erst d: 29t 8b erfolgte, d: 30t flog ich nach Prag, heyrathete d: 4t 9ber, sezte den 5t schon meine Frau in den Wagen, nach Mannheim wohin wir ihre Mutter zum Sohn brachten, und über Darmstadt, Gotha pp d: 20t Xber wieder in Dresden ankamen. Eine Last verhaltener Geschäfte wartete meiner, dazu meine Obliegenheit eine Meße zu schreiben. Diese, eine Frucht der Nächte, vollendete ich bis zum 8t März 1818, und erhielt dafür einen schönen BrillantRingT vom König.     Gastrollen zum Ergänzen der Opern Subjekte jagten und drängten sich. Endlich riß ich mich los um meinem angestrengten Körper und Geist Ruhe zu gönnen, und auch meine Oper die Jägersbraut bearbeiten zu können. ich erhielt Urlaub vom TheaterDienst auf 2 Monate, und zog d: 22t Juny hieher aufs Land*. Kaum angekommen drängten mich Aufträge für Berlin, und eine Kantate zum 3t August, als dem Namenstage unsrer Königin, Prinzeßin und Königs. nach deren Vollendung ich eine große Kantate zur Jubelfeyer unseres Monarchen im 7ber schreiben mußte. Dieses Alles griff mich so an, daß ich troz der herrlich auf mich einwirkenden Landluft, doch nach Vollendung der lezten Arbeit 2 Tage d: 23 und 24t huj: in der gänzlichsten Abspannung mich befand. Uebermorgen ziehe ich wieder in die Stadt um von Neuem den Geschäftslauf zu beginnen, und so meine | theuren Freunde sehen Sie, daß ich gewiß Ihrer gütigen Nachsicht bedarf daß es mir so wenig vergönnt ist mir selbst zu leben oder meinen Freunden, was daßelbe ist.

Bärmann hat eine kurze Zeit dieß Drängen und Treiben mit angesehen, und mir versprochen Ihnen ein treues Bild davon zu entwerfen.      Ich aber benuzte mit großer Freude diese wenigen Stunden, einem Hause das durch seine liebevolle Theilnahme mir so erhebende tröstende Blumen auf den dornenvollen KünstlerPfad streute, wenigstens durch diese gedrängte Uebersicht einen Beweis zu geben, wie gerne ich den Verdacht von mir wälzen möchte, als ob irgend eine Zeit oder Beschäftigung meine Verehrung und Anhänglichkeit an daßelbe mindern könne.

Sollte meine fleißige liebe Schülerin nicht mehr in Ihrer Nähe sein, so haben Sie wohl die Güte, Ihr diesen Brief mitzutheilen, wobey ich nicht umhin kann ganz leise die Lehrer Besorgniß einfließen zu laßen ob sie auch ihr schönes Talent nicht über den Freuden und Sorgen des neuen Standes vernachläßigen werde?T

Meinen inniggeachteten Freunden, dem edlen Haus Vater, Fr. v: Köhler, dem künftigen Gatten Fr: Fannys, Freund Schellings, Schlichtegroll pp allen meine herzlichsten Grüße, und von mir die Bitte nicht ganz zu vergeßen Ihren gewiß stets unveränderlich treu ergebenen Freund C: M: vonWeber

Apparat

Zusammenfassung

gibt dem in Dresden weilenden Baermann einen Brief mit Beschreibung seiner Situation mit, u. a. über die Mühen mit der deutschen Oper und Kabalen mit den Italienern; lobt seinen Chef, erwähnt anstehende Arbeiten, insbesondere für Dresden; grüßt seine Schülerin Fanny Wiebeking u. a.

Incipit

Sie werden wohl kaum Ihren Augen glauben

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: In Privatbesitz

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S.)
    • auf Bl. 1r am oberen Rand von fremder Hand in Tinte: „An die Frau Geheimräthin | von Wiebeking
    • auf Bl. 1r oben sowie 2v unten Zählungen von fremder Hand in Tinte

    Provenienz

    • Mémoire d’encres – Olivier Jean (Juni 2024), Tours, Paris online inkl. Faksimile
    • Erasmushaus, Autographen, Kat. 922 (2006), Nr. 71, S. 130–132, mit Teilfaks. S. 131
    • Erasmushaus Musik, Katalog 4 (2004), Nr. 98, S. 53–55, mit Teilfaks. S. 54
    • List & Franke (Leipzig), Auktion 13. Juni 1882, Nr. 1671

Textkonstitution

  • „… Nachrichten über meiner lieben Schülerin“Dazu Markierung (x) von fremder Hand und diesbezügliche Anmerkung am unteren Rand Bl. 1r: „(x) Fanny Wiebeking | verheiratet 1818 an | den Reg. Präsidenten v. Strauch | in Gera.“
  • „… Hand schon manchen dornenvollen Pfade“durchstrichenes unleserliches Wort
  • S„s“ überschrieben mit „S
  • s„S“ überschrieben mit „s

Einzelstellenerläuterung

  • „… Der überraschende Besuch Bärmanns“Besuche in Dresden bzw. Hosterwitz vom 20. bis 30. Juni und 31. Juli bis 19. August 1818.
  • „… t Juny hieher aufs Land“Der eigentliche Umzug der Webers nach Hosterwitz fiel laut Tagebuch auf den 18. Juni, Weber selbst reiste allerdings erst am Abend des 21. Juni endgültig dorthinT.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.