Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 12. Februar 1817

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Am 12. Februar: Griselda, o sia: la Virtù al Cimento, von Paer. Etwas zum Lob dieser trefflichen Oper zu sagen, wäre überflüssig, sie gründete den Ruhm ihres Meisters, der nach ihr wohl den Beinamen: Frauenlob, verdiente, sie sprach stets zu allen Herzen, sie war eine der ersten Opern welche die Wahl der romantischen Gegenstände aus der Geschichte und den Sagen des Mittelalters so beliebt machte, daß seitdem diese Gattung eine der dankbarsten wurde. In Griselda wird die hohe Bewunderung und innige Rührung, welche uns die seltenste Tugend einflößt, von so südlich regem Leben begleitet, daß der Eindruck davon unbeschreiblich süß und wohlthuend ist. Die heutige Darstellung darf man in mehrern Theilen wohl gelungen nennen. Signora Sandrini übertraf sich selbst als Griselda; mit tieferm Gefühl, edler und rührender kann dies reizende Bild der lammherzigsten Geduld nie dargestellt werden; der stille Kummer auf dieser reinen Stirn, dies sprechende Auge, welches dem Himmel selbst kein Leid zu klagen, sondern ihn nur um Kraft zu flehen schien, die anspruchlose Würde in der zarten Gestalt, diese tieferschütternde Stimme welche selbst bei den schmerzlichsten Seelenlauten immer so rein und wohltönend blieb, alles zauberte uns die ächte Griselda vor! Besonders gelungene Momente waren: in der ersten großen Scene, wenn sie sich von der Ohnmacht erholt und bei den Worten: „quel sguardo si innocente“ alle Ahnung und Sehnsucht der Mutterliebe in ihr erwacht, das ganze herrliche Finale des ersten Aktes wo sie die sanfteste Resignation mit dem glühendsten Gefühl trefflich zu vereinen ¦ wußte, das berühmte Duett zwischen ihr und Lisette im zweiten Akt, die große tiefergreifende Scene, wo unsers Polledro süße, seelenvolle Töne sie umschwebten, die namenlos rührende Bitte für Doristella zuletzt, und endlich der Moment der selig trunknen Mutterfreude, wo sie die Wiedergefundene an das Herz schließt! Ihr Anzug war eben so passend als reizend gewählt. Signor Ricci der heute als Marchese debutirte, zeigte in dieser nicht sehr brillanten Rolle eine gute Methode des Gesanges, besonders im Vortrag der Passagen; ein ausführlicheres Urtheil über seinen Gesang mögen wir noch nicht fällen. Sein Spiel war befangen. Signora Micksch gab die Lisetta mit der muntersten Laune und einem fein durchdachten Spiel. Frau von Schüler-Biedenfeld als Herzogin entfaltete ihre schöne, reine, biegsame Stimme wieder in der glänzenden Arie, die sie im ersten Akt sehr passend eingelegt hatte. Ueberhaupt verdient der Fleiß und Eifer womit diese Künstlerin jede Rolle zu bereichern weiß, die dankbarste Anerkennung.

Mit ächt fröhlicher Laune, mit Lieblichkeit, Anstand und reger Teilnahme griffen die meisten der übrigen Sänger in das Ganze ein, und mit freundlich warmer Anerkennung nahm das Publikum dasselbe auf. Sollten hier und da Einzelne meynen, vor 16 Jahren bei den ersten Vorstellungen habe es sie doch noch anders ergriffen! so liegt die Schuld davon sicher nicht in ihnen, eben so wenig in dem jetzigen Künstlerverein, sondern einzig wohl in – dem Jahrhundert, welches seitdem so ernst waltete, daß es unter allen Fähigkeiten, die, rein und froh zu genießen, am wenigsten in uns entwickelte!

C.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Griselda“ von Paer am 12. Februar 1817

Entstehung

vor 12. Februar 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 44 (20. Februar 1817), Bl. 2v

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