Julius Rietz an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Dresden, Freitag, 14. Januar 1870

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Sehr geehrter Freund.

Hochaufgethürmt lagen auf meinem ArbeitsTische Papiere, Briefe, Zeitungen, Broschüren etc. Kaum im Stande noch einen Quadratfuß Platz zum schreiben zu finden, entschließe ich mich heute früh in einer Art Desparation buchstäblich reinen Tisch zu machen u. finde dabei zu meinem Entsetzen noch einen Brief von Ihnen, der da nicht beantwortet ist; er ist vom 10ten December vorigen Jahres horribile dictu und enthält neben andern erfreulichen Dingen (das rüstige Fortschreiten Ihres Werkes — die öffentliche Aufführung des Offertoriums in es, für die ich Ihnen meinen wärmsten Dank sage) eine Frage wegen einer zweifelhaften Stelle in der Musik Webers zu Turandot. Wenn ich nicht sehr irre, so ist derselbe Gegenstand schon einmal zwischen uns zur Sprache gekommen; gewiß aber ist es, daß Sie rechthaben wenn Sie annehmen, daß der gewisse Akkord nicht [Notenbeispiel: Notenbeispiel] sondern [Notenbeispiel: Notenbeispiel] heißen, das zweite Eshorn statt F, ein Fis [Notenbeispiel: Notenbeispiel] haben müsse; jenes wäre denn doch allzu chinesisch; das F im Baß wird schon Manchem etwas befremdliches u. anstößiges haben; das as dazu aber u. darauf bg wäre doch gar arg u. ich glaube, Sie dürfen unerschrocken darauf hinweisen, daß hier ein lapsus calami Webers oder ein Druckfehler den Frieden stört. Existirt das Autograph der Musik nicht?*

Vor allem, verzeihen Sie mir meine Vergeßlichkeit; ich hatte damals eine Fahrt nach Prag im Kopfe, konnte sie nicht wegen eines abermaligen Leidens am linken Bein (von dem ich noch nicht befreit bin) zum bestimmten Tage unternehmen, war verdießlich u. ärgerlich u. dabei ist denn manches unerledigt geblieben. Sie kennen mich ja wohl sonst als ziemlich prompten Korrespondenten.

Das bewußte Ave Maria a capella ist denn endlich auch wieder zum Vorschein gekommen u. Sie sollen nicht zu lange auf eine Abschrift warten. Sie kennen den Zustand wohl, wenn man viel u. dringende Arbeit hat u. es fleckt dann grade nicht recht u. will nichts von der Hand; so ergeht es mir seit Wochen schon — dabei viel Theater u. Kirchendienst u. Konzerte über die Maaßen, wenn alle vorüber sind, habe ich in diesem Winter grade 18 dirigirt, darunter Paulus* u. große Messe von Beethoven, 8 Sinfonieabende etc. etc. Das Notenlesen verlernt man nicht, aber müde und matt wird man u. ich kann mich rühmen es in vollstem Maaße zu sein. Unter allem dem noch viel schriftliche Arbeiten zu machen ist eine schwere Aufgabe — ich bin ihr für jetzt nicht ganz gewachsen.

Von Herrn v. Webers Selbstverabschiedung* habe ich nur oberflächlich gehört u. weiß nichts näheres; da ich nicht mehr in der Pragerstraße wohne, wo wir uns häufig begegneten, sehe ich ihn garnicht mehr. Sollte er sich nicht noch besinnen?

     Mit allerbestem Gruße Ihr hochachtungsvoll ergebener
Julius Rietz

Apparat

Zusammenfassung

gibt J. Recht in einer Notenlesart im Turandot-Marsch Act 5; dankt für die öffentliche Aufführung seines Offertoriums in Es; von Max Maria von Webers Selbstverabschiedung habe er nur oberflächlich gehört, da er nicht mehr in der Prager Straße wohne, treffe er ihn nicht mehr

Incipit

Hochaufgethürmt lagen auf meinem ArbeitsTische

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 531

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)
    • Beilage: ein von J. geschriebener Partiturauszug aus Turandot mit der fraglichen Lesart

    Einzelstellenerläuterung

    • „… das Autograph der Musik nicht?“Das Autograph befand sich in Weber’schem Familienbesitz, heute D-B, Mus. ms. autogr. C. M. v. Weber WFN 4 (1).
    • „… grade 18 dirigirt, darunter Paulus“Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy.
    • „… Von Herrn v. Webers Selbstverabschiedung“Max Maria von Weber ging 1870 von Dresden nach Wien.

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