Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 1. bis 18. November 1817 (Morlacchi’s La Semplicetta und Barbiere di Siviglia)

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Dresden. Am 1sten Nov. führte die italien. Gesellschaft zum erstenmale die vom Hrn. Kapellm. Morlacchi neuerlich in Musik gesetzte Oper, La Semplicetta, auf. Ihr Titel entspricht der Musik, und der Compositeur scheint sich viele Mühe gegeben zu haben, sowol durch die Beschaffenheit, als durch die Wirkung seiner Musik die "Semplicetta" auszudrücken. Doch kann man auch nicht leugnen, dass sich mehre Stücke von guter Wirkung in dieser Oper befinden; z. B. das Terzett des 1sten Acts in Es dur, zwi¦schen Sopran, Tenor und Bass, das von Mad. Sandrini und den Hrn. Benelli und Benincasa gesungen wurde. Es ist dies sehr melodiös und mit gut theatralischem Ausdruck geschrieben; vorzüglich hebt es der ungeschlossene, imitirende Canon, der sich mitten in demselben befindet. Die von Hrn. G. Sassaroli gesungene Bass-Arie mit obligater Viola, that keine grosse Wirkung; gegen das Ende derselben findet man eine unlängst gehörte Passage, von Mehul nämlich; allein so etwas hilft nicht auf, wenn etwas wirklich des Aufhelfens bedarf. Das Duett in As dur zwischen Sopran und Tenor, das blos von Blasinstrumenten begleitet und von Mad. Sandrini und Hrn. Benelli gesungen wurde, ist, wegen der schönen Melodie, mit welcher es der Verf. ausgestattet hat, anziehend; auch ist es, sowol in der Instrumental-, als in der Vocalmusik regelmässig und in guter Harmonie geschrieben. Das Publicum erklannte dies, und bezeigte sein Vergnügen laut. Die Bass-Arie in D dur, welche Hr. Benincasa sang, ist zu lang, aber in wirksamer Lebhaftigkeit gesetzt. Zu bemerken ist darin gegen das ¦ Ende ein sehr angenehmes Crescendo; dies frischt dem Stücke sein Leben an, und macht, dass es gefällt. Das Duett, welches den ersten Act schliesst, ist auf eine graziöse Weise komisch: aber seine Länge mindert seine Wirkung. Die von Mad. Mieksch gesungene, von verschiedenen Blasinstrumenten begleitete Arie ist lang, bis zum Langweiligen. Die kleine Ariette in Es dur, von Hrn. Decavanti gesungen, und von einem Violoncello begleitet – welches letztere vom Hrn. Kammermus. Dotzauer mit grosser Genauigkeit und schön gespielt wurde – fängt angenehm an, wird aber hernach gleichgültiger. Das kleine Duett in G dur, das mit einer Imitation in der Tertie zwischen Sopran und Tenor beginnt, ist graziös und von gutem Eindrucke; doch nicht so, wie das im 1sten Acte. Das Quartett in B dur, dem erst ein kleines, anmuthiges Duett zwischen Sopran und Bass vorausgeht, ist eins der nichts sagenden Stücke; seine Theile sind verworren: daher bewirkt es nichts; auch ist in einigen Stellen die Harmonie verletzt. Zum Beweise und zur Rechtfertigung dieser Behauptung führen wir ein Beyspiel an:

¦

Im vorstehenden Beyspiel findet man die Figur des Tenors tiefer, als den Bass: er fängt mit einer grossen Tertie vom Canon des Basses an. Wie kann der Tenor eine solche diatonische Art intoniren, und wie kann die hohe Stimme (da der zweyte Sopran in B dur hält und der Tenor die Note Des zum Grunde bekommt, und so einen sonderbaren Accord bildet,) fast ein Diton von Des zum natürlichen E intoniren, da dieses nicht nur schwer und ohne die geringste Wirkung, sondern, eben deswegen, von den Gesetzen der Harmonie verboten ist, um so mehr, weil fà gegen mi fällt. Die Alten sagen:

Mi contra fàDiabolus est in musica.

Kunstverständige mögen die Wendungen und Auflösungen davon näher untersuchen, so werden sie sehen, ob die Verhältnisse richtig sind. Freylich ist es bey den meisten neuern, und noch jungen Meistern zu einer Art Mode geworden, dergleichen Betrachtungen zu verachten, oder auch deren Verachtung zu affectiren: es liegt aber, vielleicht ohne irgend eine Ausnahme, nicht, wie sie gern glauben machten, an einem überhohen, sich selbst zuweilen überflügelnden Sinn, noch an einem Uebermasse ungebändigter Kraft: sondern, recht sehr irdisch, daran, dass sie die höhern Grundsätze der Harmonie nicht studirt haben, nicht kennen, wenigstens nicht durch strenge Uebungen in die Gewalt bekommen haben: oder weil sie ohne gehörige Ueberlegung schreiben – wenn’s nur im Ganzen hingeht. Hr. Benelli sang die Arie in E dur, mit Begleitung einer obligaten Flöte und Oboe; (welche die Hrn. Kammer-Musici, Prinz und Dieze, schön bliesen:) da aber dies Accompagnement in sehr schweren und den Instrumenten nicht natürlichen Gängen geschrieben, und der Bau des Gesanges nicht für Hrn. B’s Stimme geeignet war: so wollte diese kleine Leckerey dem Publicum nicht recht munden. Die Arie in Es dur, welche Mad. Sandrini singt, und welche von einem Violinsolo begleitet ist, das unser berühmter Concertmeister, Hr. Polledro, spielte, ist wahrhaft schön: allein das eigentliche Leben, das stärkere Eingreifen beym Publicum, verschaffte ihr Hrn. Polledro’s Kunst, welcher in seinem Solo überraschende Wendungen, Cadenzen und Gänge anzubringen wusste, und alles ganz meisterhaft ausführete. Sonst würde das Stück schwerlich Glück gemacht haben. Das Finale ist nicht übel; ¦ in der Mitte desselben befindet sich eine Imitation auf 6 Stimmen, welche der Verf. einen Canon für 6 Stimmen nennt. Allein er irrt, weil bey dem letzten Wiederholungs-Zeichen die hohe Stimme verändert und colorirt wird. Wir wollen uns in eine Analyse desselben nicht einlassen, sondern blos sagen, dass es keinen übeln Eindruck macht. – Die Dichtung ist so nichtssagend, und die Handlung des ganzen Stücks so abgeschmackt, dass es nicht der Mühe werth ist, davon zu reden. Beym Publicum blieb die Semplicetta, nicht sowol wegen der Musik, als wegen der Dichtung, semplicissima. Mad. Sandrini, als Semplicetta, spielte mit grosser Natürlichkeit und Einfachheit: sie zeigte von neuem ihre Kunst als treffliche Schauspielerin, und wusste dem Charakter mit vielen Feinheiten aufzuhelfen, wie nur eine selbst feine und sehr gebildete Frau sie auffinden, und leicht, naturgemäss darlegen kann. Sie sang auch ihre Solostücke, und vorzüglich ihre grosse Arie des 2ten Actes, mit obligater Violine, sehr gut. Hr. Benincasa, als Tibaldone, spielte mit vielem Feuer und wahrhaft komisch; seine schöne, sonore Stimme zeigte sich vorzüglich glänzend in der Arie in D dur des 1sten Aufzugs. Hr. Benelli, als Graf Alberto, spielte mit guter Haltung, und zeichnete sich als Sänger in den schon beschriebenen Duetten aus, wo seine Stimme, verbunden mit der Stimme der Mad. Sandrini, sich vollkommen verschmolz. Das ganze Orchester zeigte grosse Genauigkeit in der Ausführung und verdiente vieles Lob.

Den 12ten und 18ten wiederholte die italien. Gesellschaft Hrn. Morlacchi’s Barbiere di Siviglia. Wir haben schon im vorigen Jahre, No. 23, S. 384 flg., über die Musik und Aufführung gesprochen, und setzen hier blos hinzu, dass beyde Vorstellungen sowol von den Singenden, als vom Orchester, mit mehr Genauigkeit und besserer Laune, als damals, gegeben worden sind. Mad. Sandrini zeigte sich, als Rosina, musterhaft im Spiele; die Hrn. Benelli, (Graf,) Bassi, (Bartolo,) und Benincasa, (Figaro,) waren ausgezeichnet. Auch sey noch erwähnt das schöne Spiel der obligaten Viola des Hrn. Pohland, in der grossen Arie des 2ten Acts, welches ein schönes Ganzes mit der Stimme der Mad. Sandrini bildete; obgleich dies Stück durch seine Länge für den Sänger bis zum Unbilligen erschöpfend ist.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 19, Nr. 50 (10. Dezember 1817), Sp. 845–860

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