Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 19. bis 23. November 1818 (Teil 1 von 2)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Am 19. Nov. Zum erstenmale: Der Rasttag. Posse in 1 Aufz., nach dem Französischen des Bouilly, von J. F. Castelli. Eine heitre Kleinigkeit, die recht lebendig dargestellt ward. Wer wollte es da mit einigen Unwahrscheinlichkeiten so genau nehmen. Oberster wie Subalternen sind lustige Leute, überdieß Franzosen, und erlauben sich daher am fröhlichen Rasttag einen Scherz, den man freilich nicht mit Ernst betrachten darf, wenn man ihm Unterhaltung abgewinnen will. Charakterzeichnung wird man auch in einer Posse nicht suchen, und so scherzt dieses kleine Stück über die Bühne, schnell und spurlos, wie ein Tänzer, der mit ein Paar lustigen Pirouetten von einer Seite des Theaters bis zur andern hüpft. Es war im Spiele vieles rege Leben, vielleicht hie und da gar zu viel, wodurch das Verstehen der sich überströmenden Reden erschwert ward, aber man muß sich eines solchen Fehlers um so mehr freuen, je häufiger die engegengesetzte Tugend, wenn es eine ist, auf mehrern Bühnen gefunden wird. Hierauf folgte: die zwei Worte, mit Musik von d’Alayrac, die wie früher, auch diesesmal sehr gefielen.

Am 21. Nov. Le cantatrici villane. Oft, aber stets wieder gern gesehn. Unerschöpfliche Laune belebte auch heute des braven Benincasa Spiel als Kapellmeister.

Am 22. Nov. Sappho.

Am 23. Nov. Die Waise und der Mörder, Schauspiel in 3 Akten nach Frederik, von Castelli, Musik vom Kapellmeister von Seyfried.

Schon lange hatte das Publikum sich auf eine Vorstellung gefreut, in welcher Mad. Schirmer als die verstummte Waise, Victorin von Luceval, ihre Kunst in der gefühlvollsten Mimik mit stummen und doch bei jeder Bewegung beredter hervortretenden Ausdruck entwickelt. Wir wären unwerth, eine solche Künstlerin – der Himmel gebe noch lange! – zu besitzen, wenn wir nicht auch bei einer spätern Vorstellung eine so seltene Leistung, wenigstens in diesen Blättern, laut anerkannten. Hatte ihre pantomimische Kunst – so möchten wir stets das bloß stumme Geberdenspiel in Gegensatz der die Rede begleitenden Mimik nennen – als Rosa in ¦ der kleinen Oper: Zwei Worte oder die Nacht im Walde, am 19. Nov., uns aufs neue mit wahrer Achtung erfüllt, worin sie vorzüglich in der Bezeichnung der warnenden Aengstlichkeit beim Zünden des Kamines und beim Verstecken des Briefs und der Strickleiter in die Bettkissen, eine Wahrheit legte, die alle frühern Darstellungen hinter sich ließ: so war ihre Darstellung heute eine ununterbrochene Folge des ausdruckvollsten Mienen- und Geberdenspiels, die in der reifsten Vollendung nichts zu wünschen übrig ließen. Die holde Angelika (von dem. Julie Zucker freundlich dargestellt) ist dem schmerzerfüllten Victorin das Liebste unter den Lebendigen. Aber wie wahr bezeichnete die Künstlerin diese erste, zarte Liebe durch jene keusche Scheu, die das Theuerste kaum zu berühren wagt! Wenn sie nach dem Erblicken der ihr zu Ehren aufgehangenen Schrifttafel alle andern in überströmendem Dankegefühl umarmt, so giebt sie der ihr am innigsten verwandten, nur einen leisen Händedruck. Wir haben dieselbe Scene von einer andern Schauspielerin mit einer Umarmung im Sturmschritt spielen gesehn und sie wurde mit dem lautestem Klatschen belohnt. Die richtigste Resonanz, wo die Saite so stark angeschlagen wird! – Bei uns ward die augenblickliche Stille, die nach der musikalischen Begleitung eintrat, nur durch die leisen Zeichen des bis zu Thränen gerührten Mitgefühls unterbrochen. Nach diesem Maßstabe muß nun auch alles Uebrige beurtheilt werden. – Als wahrhaft denkende Künstlerin zeigte sich Mad. Schirmer auch dießmal in der überall wohlberechneten Oekonomie des Spiels. Nie greift sie durch eine gesteigerte Bewegung einer späteren, diese Verstärkung erst fodernde Situation vor. Sie hat eigentlich nur drei Momente des bis zur Zungenlösung fortschreitenden Affects. Alle drei sind bis zur krampfhaften Zuckung zu erheben. Aber wo sie den wiedererkannten treuen Valentin umklammerte, ist’s Liebe, inniges Anschmiegen. Sie ließ dabei dießmal jenen halbkreischenden Laut hören, der uns in Stummen so schauerlich ergreift und auf eine mögliche Lösung des Zungenbandes hindeutete. In keiner frühern Vorstellung war dieser durch Kampf und Krampf ausgepreßte Ton, diese Naturhülfe, so wahr uns zu Ohren gekommen.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Verfasst von

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 19. bis 23. November (Teil 1 von 2), dabei besonders über „Der Rasttag“ von Castelli und der erste Teil von „Die Waise und der Mörder“ von Castelli und von Seyfried. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 291 (7. Dezember 1818), Bl. 2v

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.