Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 18., 20 u. 22. Juni 1821 (Teil 2 von 2)
Theater.
Montag, Mittwoch und Freitag: der Freischütz, Oper von Kind und von Weber. (Schluß.)
Der zweite Akt hat nur ein ganz vollendetes Musikstück aufzuweisen, die vortreffliche Scene der Agathe, die Mad. Seidler so schön singt, und die wir gern durch und durch commentirten, wenn nicht unsre Relation unter der Feder schon so angewachsen wäre. Die jubilirende Freuden-Arie: „All’ meine Pulse schlagen“ im jauchzenden E-Dur ist von tüchtiger Wirkung, und klingt sehr gut gedacht an die Ouvertüre an. In dem Anfangs-Duett dieses Aktes ist besonders der Schluß: „Grillen sind &c.“ der Aufmerksamkeit werth, wo die beiden Soprane sehr kunstreich zusammen gestellt sind, und in der Melodie des ersten der leibhaftige Weber nicht zu verkennen ist. Schwächer ist das folgende Ariettchen, aber reich an schönen Intentionen das Terzett in Es: „Wie? was?“ So kündigen die Bässe bei den Worten: „Ich bin vertraut mit jenem Grausen“ sehr geschickt den zu erwartenden Sturm an, und der canonische Satz: „Doch hast du auch vergeben“ mit der originell durchgeführten Unterstimme hat gewiß jenes Lob verdient. Es folgt nun der Culminationspunkt der „romantischen“ Oper, für welchen vor Allen den Dekorateurs und Maschinisten der gefühlteste Dank gezollt werden muß, worin alle weiche Seelen einstimmen werden. Aber eben weil hier das Auge so übermäßig beschäftigt ist, hat das Ohr kaum Kraft, ihm zu folgen, was doch bei den düster-wilden Musikstücken dieses Finals wohl Noth thäte: und der Componist muß uns deshalb entschuldigen, wenn wir uns noch nach den wenigen Vorstellungen nicht getrauen, seineAbsichten‡ in dieser Scene ganz zu entwickeln. Viele derselben sind uns nicht entgangen: so z. B. die sinnige Wiederholung der Melodie aus dem ersten Spott- und Schimpf-Chor, den dem zaudernden Max der böse Dämon hämisch vorzuhalten scheint; aber eine musikalische Scene, wie diese, ist nie und nirgend geschrieben, und sie fordert darum nur verdoppelte Aufmerksamkeit, um gewürdigt zu werden.
Die Introduktion zum dritten Akte verkündet den nahen | Sieg des guten Genius über den Bösen; freudig klingt schon der Jagdchor (No. 4.) an, aber der böse Geist hat auch aus Neckerei einen Augenblick die Vestalin mit eingeflochten! Agathen’s Cavatine in A ist zart, und reich an Modulation; mit der Zusammenstellung von Bässen, Hörnern und Fagotten hat der Componist an diesem Orte wohl schicklich eine Orgel ahnen lassen wollen. Die folgende Romanze würden wir ohne Schmerz ganz entbehren; wie sie einmal da ist, zeichnen wir das von Herrn Semmler sehr gelungen ausgeführte Bratschen-Accompagnement aus. Dafür folgen ihr aber unmittelbar wieder zwei sehr seltene herrliche Stücke. Das allerliebste, einfache Volkslied (C-Dur) „Wir winden dir den Jungfernkranz“ bewährt auf’s Neue Weber’s längst anerkannten Beruf zum wahren Volkslieder-Componisten. Die Naivität, die Unschuld, die Neuheit dieser kleinen Composition läßt sich nicht wiedergeben; man höre das Lied, und man wird es fühlen. Flöten und Oboen gehen geschickt mit. Der wirksame Theatercoup in dem Liede beweist, daß nicht immer Massen und äußere Mittel nöthig sind, um zu ergreifen! Ein sehr genialer Uebergang bereitet der Jäger-Chor (D Dur) vor, in dem man, in seiner freien Fröhlichkeit, in seinem kecken Uebermuth, den Componisten von „Lützow’s“ berühmter Jagd gleich wieder erkennen wird.
Von nun an sinkt aber das Interesse der Oper, wegen des zu entsetzlich breiten und langen Schlusses, und das Finale geht leider! in den Fehlern des Dichters so ziemlich mit verloren. Im Allgemeinen wird man überhaupt bemerkt haben, daß die Lieder und Chöre in dieser Oper die größern Ensembles an Vortrefflichkeit überwiegen; die Meisterschaft in jenem Theile der Musik ist aber auch so groß und bewundernswerth, daß Weber sich durch sie jetzt gewiß seinen Platz für die Unsterblichkeit gesichert haben würde – wäre der ihm nicht längst gewiß.
Die Aufführung auf unserer Bühne, welche zugleich das Interessante darbot, daß sie das erste Singspiel im neuen Schauspielhause gab, gelingt so vorzüglich, daß wir nur die Namen Seidler, Eunicke, Blume und Stümer nennen wollen, um allen gemeinschaftlich einen großen Dank zu bringen. Auch die Nebenpartieen, so wie die Chöre, das Orchester, die Anordner und Maschinisten verdienen nur Lob.
Von der so glänzenden und ehrenvollen, als verdienten Aufnahme des Meisterwerkes und seines Schöpfers hat bereits ein früherer Artikel erzählt; es ist ein seltner Fall, daß eine dramatische Neuigkeit bei uns dreimal in einer Woche das Haus überfüllt, und jedesmal lebhaften Enthusiasmus erregt. –
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821. Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Heft 77 (28. Juni 1821), S. 6–7