Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 11. April 1823

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Während der "Freischütz" – der am 11ten bei der gewöhnlichen Frequenz im Schauspielhause gegeben wurde – das Schooßkind des größeren Publikums zu seyn fortfährt, bleibt Mad. Seidler in der Rolle der "Agathe" auch das Lieblingstöchterchen beider, des größeren wie des kleineren. Ihre ganze Individualität ist zu dieser Rolle wie geschaffen, es gehört gerade ihre Sentimentalität und Innigkeit des Gefühls, ihre Virtuosität und Natürlichkeit des Gesangs, ihre Grazie und Lieblichkeit der Haltung dazu, um hier auch der eigensinnigsten Kritik völlig Genüge zu leisten. Höchstens möchte man sie bitten, in den frommen Stellen, z.B. "Feiernd walle mein Gebet zur Himmelshalle" etwas weniger künstliche Virtuosin zu seyn. Das Kirchliche, was der Komponist, seinem bessern Genius getreu, in dergleichen Stellen zu legen bemüht gewesen ist, ladet ja wie von selbst dazu ein!

Auch Herr Blume machte seinem verteufelten "Kaspar" alle Ehre, obwohl man ihn "Plack und Qual" des armen | Erdenlebens diesmal nicht wiederholen ließ. Daß er mit der Schluß-Arie des 1sten Akts "Schweig, Schweig, damit dich Niemand warnt" weiter keinen auffallenden Eindruck machen konnte, ist weniger seine als des Dichters und Komponisten Schuld, die, wenn sie uns glauben wollen, hier den Ausdruck des Schauderhaften nicht sonderlich trafen.

Herr Stümer zeichnete sich in der Rolle des "Max" als Sänger und Schauspieler aus, gefiel aber am meisten in dem Terzett des zweiten Akts, "Wie? Was? Entsetzen!" wo er sonderlich die Schlußworte: "Mein Schicksal reißt mich fort!" mit eben so richtiger Deklamation als sprechendem Ausdrucke vortrug.

Um die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft nicht zu verletzen, müssen wir Dem. Strenge, vom Hoftheater zu Strelitz, einräumen: daß sie erstlich negativ die dermalige Vorstellung des „Freischütz“ dadurch förderte, daß sie an der Rolle der „Annchen“ nichts wissentlich verdarb: denn das eine Mal, wo sie auf Irrwege gerieth, können wir allenfalls ignoriren, da es wohl Befangenheit des Augenblicks war; zweitens aber auch positiv, indem sie das Favorit-Ariettchen "Kommt ein schlanker Bursch gegangen" zur allgemeinen Zufriedenheit und nicht ohne Naivetät sang. Auch zeigte sie bei dieser Gelegenheit vornehmlich, daß es ihrer Stimme weder an Annehmlichkeit, noch Stärke, noch Biegsamkeit, und ihr selbst nicht an Schule fehlt. Bei dem Allen möchten wir aber Dem. Strenge doch anrathen, künftig den Grazien noch sorgfältiger als bisher zu opfern; denn bisjetzt sind diese oft eigensinnigen Göttinnen nicht so gefällig gegen sie gewesen, als selbst die jüngste Künstlerin dies wünschen muß. Sie macht und singt nämlich Manches in der That recht hübsch, was ihr doch noch nicht so läßt. Wie aber jene Opfer zu bringen seyn möchten, kann leider kein Kritiker sagen und wäre er auch ein Lessing oder Göthe. Wem der eigene innere Genius das schöne Geheimniß nicht enträthselt, der wird es nie unverschleiert vor sich sehen. Da indessen, wie es scheint, Dem. Strenge den Zenithpunkt der holden Jugend noch vor sich hat, so ist für ihr künftiges Studium vielleicht schon viel gewonnen, wenn sie nur den Muth nicht sinken läßt.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 11. April 1823.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Heft 45 (15. April 1823), S. 6–7

Textkonstitution

  • „bisjetzt“sic!

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.