Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 25. Mai 1823

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Wenn man, wie Referent, den beliebten "Freischütz", am 25sten im Schauspielhause nicht zum vier und fünfzigsten, sondern erst zum – vierten Male gehört hat, so wird man nach der Meinung mancher – sonderlich vornehm thuenden Kennerlinge – vermuthlich gar kein Urtheil darüber haben. Denn wie sollten sie (die eine Instrumentalmusik einzig finden, welche, bei dem entsetzlichsten Aufwande von Fingerfertigkeit, sich doch nur ewig in eintönigen Septimengängen umtreibt) hier, nach einem fünfzigmaligen Besuche, nicht auch die einzigen competenten Richter seyn? – Wir meinen in aller Demuth, was der "Freischütz" Schönes hat, schon bei dem ersten Besuche vernommen zu haben. Wir urtheilten | nehmlich schon damals, C. M. v. Weber sey ganz der Mann, der Welt zu zeigen, daß eine wirklich vortreffliche Musik auch heutiges Tages nicht in bloßem Geklingel bestehen müsse. Der erste, so wie der dritte Akt seiner Oper, sind, ohne Widerrede, die erfreulichsten Erscheinungen auf der neueren Bühne. Sämmtliche Melodien sind eben so neu und genial, als wahr und natürlich. Von wie wenigen musikalischen Produkten der jetzigen Zeit läßt sich dies mit Recht sagen? Wer aber am Schlusse des gräßlichen zweiten Akts Alles schöne Musik, ja auch nur Alles überhaupt Musik nennen kann, der muß wahrlich nicht bloß ganz andere Ohren und Empfindungen, sondern auch einen ganz andern Geschmack besitzen, als ihn etwa Gluck und Mozart bei ihren Werken voraussetzen. Wir lassen übrigens Jedem seine Meinung, können aber nicht umhin, es schmerzlich zu bedauern, daß C. M. v. Weber in diesem Akte der herrschenden Mode, auf Kosten seines bessern Genius, gehuldigt hat.

Der Gast, Hr. Dobler, gab den "Caspar" zwar etwas weniger lebendig, als Herr Blume, aber vielleicht eben deshalb auch seiner Satansnatur getreuer. Als Sänger zeichnete er sich besonders in der Schlußarie des ersten Akts vortheilhaft aus, und die Worte: "Nichts kann vom tiefen Fall dich retten!" sang und deklamirte er mit einer solchen intensiven Kraft, daß die Versammlung in die nöthige schauerliche Empfindung versetzt wurde. Ein ungetheilter Beifall sagte ihm laut, daß er hier den einzig richtigen Ausdruck glücklich getroffen haben müsse. – Auch Mad. Seidler gefiel, wie immer, durch eine ihrer Lieblingsrollen, die "Agathe"; sang aber, wie es schien, nicht ganz mit dem lebendigen Interesse, mit welchem sie bei der vorletzten Aufführung so großen Eindruck machte. – Dagegen waren Gesang und Spiel der Dem. Eunicke ("Annchen") diesmal im höchsten Grade naiv, liebenswürdig, launig und herzvoll. Kaum läßt sich etwas Ausdrucksvolleres denken, als sie in das Ariettchen: "Kommt ein schlanger Bursch gegangen" zu legen wußte. Ihre Sprache hatte bei aller Natürlichkeit doch etwas Raffinirtes. Sie verließ sich nicht bloß auf ihren Genius, man merkte, daß sie ein eigenes Studium auf diese Situation verwendet hat. "Bald heißt’s Bräutigam und Braut." – wer hat diese Worte von einer Sängerin je eigenthümlicher und sprechender vortragen hören? – Auch in der Romanze des dritten Akts: "Einst träumte meiner seel’gen Baase", gelang ihr die Naivetät, mit der sie gesungen und mimisch begleitet werden muß, sehr glücklich. Ihr ward auch mit Recht der lauteste Beifall.

Neben Herrn Stümer, der den ("Max") wieder sehr wacker gab, zeichnet sich auch Hr. Busolt als "Eremit" an diesem Abend zu seinem Vortheil aus.

Unser früher geäußertes Urtheil über Hrn. v. Zieten-Liberati hat sich bestätigt durch seine Darstellung des "Lear", womit er bei weitem sicherer auftrat, als mit seinen ersten Leistungen. Die Befangenheit vor einem fremden Publikum kann nur durch den Beifall desselben verscheucht werden und die Kritik muß vermittelnd wirken, wenn das nicht gleich in dem Grade geschieht, als bei näherer Bekanntschaft zu erwarten ist. Vor Allem soll dies der Fall seyn, wenn ein Künstler bescheiden daher tritt, wie H. v. Z. thut; denn bei denen, die ihr vollgerüttelt Maaß von Arroganz mitbringen, ist freilich eine andere Ausgleichung nothwenig. – Den "Lear" nahm der geschätzte Künstler vielleicht anfangs etwas zu kräftig, aber alle Momente waren durchdacht und wohlberechnet; auch mahnte in den leidenschaftlichen Ausbruch immer noch der künstlich unterbrochene Athem an den Zoll, welchen das Alter einfordert. Der Referent wüßte in den ersten Akten nichts aufzufinden, was nicht der Art vollkommen zugehörig wäre, mit der hier dieses Bild eines noch mannhaften, bald tiefgebeugten, bald wieder in alter Kraft aufloderndern Vaters uns ¦ hingestellt wurde; ja die stete Erinnerung an heldenhafte Größe, die auch in der ganzen Gestalt schon sich trefflich kundgab, war meist eher wohlthuend, als nachtheilig, obwohl sie oft über die durch andere Künstler herbeigeführte Gewöhnung hinaus ging. Herrlich wurde das väterliche Drohen und Bitten nüancirt und die Liebe zu den Kindern kämpfte erschütternd gegen die innerste Empörung. Minder war der Referent mit den Scenen zufrieden, wo der Wahnsinn den königlichen Greis dichterisch höher stellt; die zu merkliche Besonnenheit des Darstellers war ein schwächender Gegensatz: denn es sind hier nicht die Trümmer der Vernunft zusammen zu bauen, sondern der Geist muß übermächtig erscheinen, er muß nach Befreiung von allem Irrdischen ringen, ohne doch eines festen Zieles bewußt zu werden. Die Kunst und die Theorie erliegen hier, wenn die Natur nicht Beides mit ihrem glühendsten Hauche belebt. Auch das Erwachen bei "Cordelias" Pflege hatte zuviel Alltägliches, der Ton klang in das bürgerliche Leben hinein; dagegen erhob sich Hr. v. Z. wieder bedeutend in den letzten Scenen, wo nichts mehr auszudrücken ist, als das Festhalten seines einzigen Gutes, der Liebe seiner Cordelia und meisterhaft waren besonders die Momente vor dem Hinsinken zum Tode. Wir wünschten, daß Hr. v. Z. diese Rolle wiederholen könnte – Aber freilich, es gehört jetzt, wo die Natur draußen mit Recht mehr Anziehendes hat, ein ganz anderes Spektakel dazu, um das Haus zu füllen. Shakspeare thut so große Dinge nicht; es sind dazu schöne Dekorationen und Costüme oder Späße zum Todtlachen erforderlich, die man freilich deshalb schon rasch mit genießen muß, weil sie vielleicht in vier Wochen schaal und vergessen sind. – Von unsern Schauspielern nennen wir vor Allen Hrn. Beschort, der die Weisheit des "Narren" brillant hervor zu schleifen weiß. Auch Mad. Schröck ("Cordelia"), Hr. Mattausch ("Gloster") und Hr. Lemm ("Edgar") hatten gute Momente.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 25. Mai 1823. Im zweiten Teil eine Besprechung der Aufführung von „Lear“ mit August von Zieten-Liberati.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Heft 64 (29. Mai 1823), S. 7–8

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