Aufführungsbesprechung Frankfurt am Main: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 31. März 1822

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Unter den sehenswürdigen Meßherrlichkeiten machte ein Tambour, der dem Anschlagezettel zufolge der erste Tambour in der Leibgarde Napoleons gewesen, und allen hohen Häuptern von Europa vorgetrommelt haben soll, den meisten Lärm. Er besitzt auch in der That eine Geschicklichkeit, Präcision und Gewandtheit, welche ihn erdreisten durften, demjenigen eine Wette von fünfzig Karolins anzubieten, der es ihm gleich thun wolle. Es fand sich aber Niemand zur Annahme dieses Vorschlags. – Wessen Gehör von den Wirbeln dieses Virtousen erlabt oder erlahmt worden war, konnte in einer andern Bude gleich gegenüber die Schärfe seiner Gesichtsnerven an den Künsten eines bekannten Taschenspielers, des sogenannten Janchen von Amsterdam, üben. Doch verfehlte Janchen seinen besten Coup, nämlich den, ein zahlreiches Publikum in seine Bude zu locken. – Hatte Jemand keine Freude an der abgerichteten Kunstfertigkeit dieser Menschen, so fand er vielleicht Befriedigung seiner Wünsche bei dem combâts des animaux (von dem Anschlagezettel verdeutscht: Kampf eines Menschen mit einem Thiere!), welchen der Besitzer eines Baribal mit diesem liebenswürdigen Zöglinge zum Besten gab. Viele aber hielten den Baribal für nichts weiter, als einen alten, lebensmüden Tanzbären. – Eine in der That merkwürdige Erscheinung bot sich in einem Löwen und einer Löwin mit ihrem lebendigen Jungenpaare. Die Aeltern waren die größten ihrer Gattung, welche je hier gesehn worden. – Von sämmtlichen hier anwesenden Riesinnen, vielleicht ein halbes Dutzend, würde noch keine auf die Flügelmannsstelle unter König Friedrich Wilhelm I. von Preußen Leibgarde haben Anspruch machen können. –

Nachdem wir diesen Merkwürdigkeiten nur wegen ihrer Außergewöhnlichkeit den Vortrit[t] vor den Kunstleistungen unserer Bühne gestattet haben, wenden wir uns zu dieser. – Karl Maria von Weber’s Freischütz, in der ersten Meßwoche zum ersten Male gegeben, wurde auch hier mit ausgezeichnetem Beifalle aufgenommen, den dieses Singspiel selbst nach vielfachen Wiederholungen bis jetzt fortwährend zu behaupten gewußt hat. Es ist nicht der Zauber einer reichen und originalen Erfindungskraft, welcher, wie in Gluck’s, Mozart’s und Cherubini’s Opern, verbunden mit der Tiefe und Klarheit des sinnig ordnenden Gemüths, uns allgewaltig ergreift und alle Affekte der Seele an den geistigen Gang des Werks, und jedes erregte Gefühl des Innern an den Blitz des Moments gleichsam anschmiedet – von diesem Allen ist nichts in Weber’s Freischütz; aber wir erkennen gern den großen Harmoniker, den kunstreichen Instrumentisten, der in der wahrhaft dichterischen Leitung des Ganzen und der wirkungsvollen, in eigener Weise behandelten, Anwendung der Instrumente ein außerordentliches und höchst achtungswerthes Talent an den Tag legt. Ausgezeichneter Dank gebührt schon dem Komponisten deshalb, weil er dem Aftergeschmacke unserer Zeit, dem Schellengeklingel Rossinischer Flachheit nicht huldigte, sondern der deutschen Gründlichkeit, und der echten Kunstcharakteristik, nach den Mitteln, welche er in sich selbst fand, getreu bleib. Die Rolle der Agathe und des Aennchen waren durch Demois. Bamberger und Mad. Hofmann durchaus zweckmäßig besetzt. Hr. Nieser machte in der Partie des Marx die ganze schöne Biegsamkeit seiner lieblichen Tenorstimme, so wie Hr. Dobler, als Kaspar, die Fülle seines umfangreichen Basses geltend. Schaurig war Hr. Weidner in der Erscheinung des Samiel. – Calderon’s Andacht zum Kreuze – hier gegeben unter dem Titel: Eusebio, der Sohn des Waldes | hatte das Unglück, von dem hiesigen Publikum und – mit wenigen Ausnahmen, namentlich der Herren Weidner (Curcio) und Becker (Eusebio) – auch wohl von den Darrstellenden nicht verstanden zu werden. – Der Bräutigam aus Mexiko, Lustspiel in 5 Aufzügen, von Clauren, konnte erst bei der dritten Vorstellung sich einigermaßen in der Gunst des Publikums befestigen, und hatte diese wohl hauptsächlich dem lebendigen Zusammenklange in dem Spiele fast aller Theilnehmenden zu verdanken. Wir erwähnen in dieser Hinsicht besonders der Dem. Lindner, welche als Suschen einen wahren Schatz köstlicher Naivetät entfaltete; der Mad. Schulze als Euphrosine und des Hrn. Rottmaier als Alonso.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Frankfurt am Main: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Davor Bemerkungen über sie Sehenswürdigkeiten der Messe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 22, Nr. 117 (18. Juni 1822), Sp. 935–936

Textkonstitution

  • „Marx“sic!
  • „Darrstellenden“sic!

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