Aufführungsbesprechung Prag: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 29. Dezember 1821 und am 11. Januar 1822
Aus Prag.
Die wichtigste Erscheinung der letzern Zeit auf unserer Bühne war der "Freischütz" des genialen Carl Maria v. Weber, der uns, wenn gleich in der Besetzung vieles zu wünschen übrig bleibt, doch schon einige genußreiche Abende gewährte. Der geistreiche Kind hat Apel’s Erzählung so vortheilhaft benutzt, als es die gewöhnlichen Forderungen an die Oper erlauben. Gestattet man dem Operndichter gerne einen tragischen Schluß, so würde das Ganze mehr Einheit erhalten haben und manches stünde nicht so locker darin, als es jetzt der Fall ist. Freilich müßten wir dann auch manche heitere und glänzende Stelle entbehren, und wir wollen uns, ohne Grübeleien, des schönen Werkes, wie es vor uns liegt, erfreuen. Was die Composition betrifft, so scheint tiefe und richtige Charakterzeichnung das erste Streben des Tondichters gewesen zu seyn, und wollte Gott! ein jeder löste seine Aufgabe so vollkommen, wie es hier geschehen ist. Herr v. Weber verfolgte den Text Schritt vor Schritt und gab uns alle Situationen mit der ergreifendsten Wahrheit und Kühnheit wieder, und selten ist es noch einem Tonsetzer gelungen, jeden Moment der Handlung so eingreifend‡ darzustellen und vor allen übrigen zu unterscheiden, wobei ihm freilich seine große Kenntniß von dem Effekt der Instrumentation, die er sehr weise zu benutzen versteht, ungemein zu Statten kam. – Was nun die Aufführung betrifft, so war leider! niemand ganz an seinem Platze, denn so brav Dem. Sonntag die Agathe sang, so neigt sich doch ihre Singweise mehr zum Brillanten als Sentimentalen, ihr Spiel mehr zum Muntern als Ernsten, und wir möchten fast wünschen, sie hätte mit Dem. Wohlbrück (welche das Aennchen viel besser sang als spielte) getauscht. Für Hrn. Pohl liegt die Parthie des Max viel zu tief, und er strengte sich daher über die Maßen an, ohne viel wirken zu können. Die herrliche Parthie des Kaspar, so dankbar sie für einen jugendlich kräftigen Bassisten wäre, liegt ganz außer der Sphäre des Hrn. Kainz, und überdieß ließen auch beide Herren in der mimischen Darstellung viel zu erwarten übrig, und wir wollen sie weit lieber als Sargines Vater und Sohn oder in einer anderen italiänischen Oper sehen. Da diese Composition keine von jenen ist, welchen man bei der ersten Production bis in’s innerste – balt hätten wir gesagt – Herz! schauen kann, welches doch bei diesen Modewaaren kaum gefunden werden dürfte, so ist es natürlich, daß sie immer mehr verstanden und geliebt wird. So fand z. B. die schöne Arie Agathens im zweiten Akte erst bei der dritten Production* volle Anerkennung.
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Apparat
Zusammenfassung
„Der Freischütz“ von Weber ist in Prag die wichtigste neuere Erscheinung; musikalische und textliche Kritik
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Kühnau, Dana
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 70 (22. März 1822), S. 280
Textkonstitution
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„eingreifend“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… erst bei der dritten Production“Laut Lemberts Taschenbuch für Schauspieler und Schauspielfreunde auf das Jahr 1823 (S. 306) fanden bis Ende Juni 1822 insgesamt 19 Vorstellungen der Oper in Prag statt; die 18 Wiederholungen nach der Premiere (29. Dezember 1821) sind im Tagebuch der deutschen Bühnen dokumentiert: 3., 11., 16. und 24. Januar, 6., 14., 17. und 26. Februar, 6., 20. und 29. März, 21. und 29. April, 16. und 24. Mai sowie 4., 11. und 15. Juni 1822. Die erwähnte dritte Produktion war demnach jene vom 11. Januar.