Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, mit allgemeinen Bemerkungen (März 1822)

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Dresden.[…]

Also zu dem, was zu aller Zeit erfreut. Und da möcht’ ich Ihnen wohl vor Allem von unsers Weber’s treflichem "Freischütz" Einiges erzählen; aber was soll ich Ihnen auch von diesem sonderlich Neues sagen, da bereits alle Blätter seines Lobes voll sind – wahre Lorbeerblätter, die sich ihm zu einem Kranze winden, gegen den der Lorbeerbaum, der hier bei der ersten Vorstellung, unter dem Zujauchzen des Parterres, leibhaftig ins Orchester rückte, ein bloßes Kinderspiel ist. Sie wissen längst, daß das Stück auch bei uns mit dem lautesten Beifall aufgenommen worden; daß es auch hier nicht an einzelnen Tadlern gefehlt habe, können Sie denken; daß aber ihre Stimme über das Urtheil der Unbefangenen nichts vermag, werden Sie mir glauben und die Ueberfüllung des Theaters bei jedesmaliger Wiederholung des Stücks müßte auch den Zweifler überzeugen. Die Direktion hat, wie vor einiger Zeit bei Kleist’s "Homburg", auch diesmal wieder einen Beweis gegeben, wie bereitwillig sie alles Schöne fördere und wie gern sie jedem billigen Wunsche entgegen komme, sofern dessen Ausführung nur einigermaßen möglich ist. Auf Antrag des Tonsetzers wurden bei der Aufführung größtentheils die Einrichtungen der Berliner Bühne zum Muster genommen. Einiges, was minder passend schien, ward schon bei der zweiten Vorstellung geändert. Anderes fand an – dem Dichter einen Widersacher. Dieser, dem über die Art, wie er sich die Darstellung gedacht, allerdings wohl eine Stimme zusteht, war nicht zu Rathe gezogen worden und hat nun seine abweichenden Ansichten über die beste Aufführung in einem Aufsatz in der „Abendzeitung“ niedergelegt, der allen deutschen Sangbühnen hiermit empfohlen seyn mag.* Leider werden wir nun wohl für einige Zeit auf die Wiederholung dieser köstlichen, ächt deutschen Oper verzichten müssen, da unser Weber, den wir jetzt, nachdem er mehrere ehrenvolle Anerbietungen ausgeschlagen, mit doppeltem Rechte den Unsrigen nennen, auf einer Kunstreise nach Wien begriffen ist, um dort die Aufführung einer neuen Oper vorzubereiten. Daß Berlin und Wien uns den Erstgenuß seiner Werke voraus nehmen, liegt wohl nur an der Bescheidenheit des Künstlers. Ob auch eine zweite neue Oper, an der er arbeitet und wozu Frau v. Chezy den gelungenen Text geliefert, bereits ihre Bestimmung habe, wissen wir nicht. Welcher Deutsche möchte nicht mit uns im voraus schon diesen neuen Schöpfungen des theuren Meisters sein: plaudite victori! entgegen rufen! Dem Ausländer sey es vergönnt, mit einem stolzen non capisco von sich zu weisen, was er in der That nicht begreift. Darum lasen wir vor kurzem mit vollkommener Gemüthsruhe, obwohl nicht ohne einiges Mitleid mit dem ungenannten, wenn auch leicht zu errathenden Verfasser, einem Landsmanne Spontini’s, ein Sonett in unserer politischen Zeitung*, welches die "Vestalin" und den "Freischütz" (il mago cacciatore) vergleichend, ¦ mit den Worten endigt: "La Vestal ci apre il Ciel, Caspar l’Inferno[.]" Damit meint der gelehrte Sonettist den Nagel, d. h. den "Freischütz", auf den Kopf getroffen zu haben, und seine Schuld ist es somit nicht, wenn das Teufelsstück dennoch fortlebt. Hoffentlich wird kein Billigdenkender uns Dresdnern diesen italienischen Stoßseufzer anrechnen, eben so wenig als einen von Dresden aus datirten Brief, den wir vor einiger Zeit in der sonst recht verständig redigirten "Biblioteca italiana" lasen, dessen Verf. mit einem gewaltigen, ächt horazischen hiatus seinen Landsleuten nichts Geringeres verspricht, als eine Uebersicht des gegenwärtigen Zustandes der deutschen Literatur*[.]

[…]

St.

Apparat

Zusammenfassung

Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Gesellschafter, Jg. 6 (20. März 1822), S. 217–218

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Sangbühnen hiermit empfohlen seyn mag.“Kind hat seine Ansichten („Auch eine Stimme über die erste Aufführung des Freischützen auf dem königl. sächs. Hoftheater, am 26. Januar 1822“ über die Dresdner Aufführung dargelegt in: Abend-Zeitung, Nr. 46 (22. Februar 1822), S. 184, Nr. 47 (23. Februar 1822), S. 188 und in der Beilage Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften, Nr. 16 (23. Februar 1822), S. 61–63.
    • „… Sonett in unserer politischen Zeitung“Leipziger Zeitung, 1822, Nr. 30 (11. Februar 1822), S. 304: „Parallelo fra la Vestale, e’l Freischütz“.
    • „… gegenwärtigen Zustandes der deutschen Literatur“Vgl. den Brief aus Dresden vom 28. Dezember 1821 in: Biblioteca Italiana o sia Giornale di Letteratura, Scienze ed Arti, Bd. 25 (Januar bis März 1822), Januar-Ausgabe, S. 107f.

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