An Herrn Alexander von Dusch
An Herrn Alexander von Dusch.
Werthester Freund!Daß ich Sie so nenne, mag Ihnen beweisen, wie wenig ein anders Gefühl, als das der freundschaftlichsten Aufrichtigkeit mich beseelt, indem ich gegen Ihren, in den Stücken 77 und 78 der Zeitung für die elegante Welt enthaltenen, Aufsatz Einiges zu erinnern unternehme, was ich glaube, das zur Steuer der Wahrheit öffentlich erinnert werden muß.
Auch habe ich mehrere erbitterte, obgleich gerechte Aufsätze, die mir gegen Sie eingeschickt wurden, nur mit der Versicherung ¦ zurückweisen können, daß das freundschaftliche Verhältniß, welches zwischen uns statt hat, mir die Pflicht auferlegt, Ihnen mit der Ruhe und Gelassenheit, die von einem Freunde zu erwarten ist, die nöthigen Einwendungen zu machen.
Als ich während Ihres letzten Aufenthaltes in München das Vergnügen genoß, manche angenehme Stunde in Ihrer Gesellschaft zu verplaudern, kamen wir oft auf den Gegenstand zu sprechen, worüber Sie nun dem Publikum Ihr Urtheil öffentlich mittheilten. So wie wir damals über gar Vieles miteinander einverstanden waren, so kann ich auch jetzt nicht umhin, Ihrem Aufsatze in vielen Stücken Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen; aber der Punkt, worüber wir schon früher nicht ganz einig werden konnten, ist gerade derselbe, der mich bestimmt, Ihrer in der Zeitung für die elegante Welt öffentlich ausgesprochenen Meinung darüber auch meine Gegenbemerkungen öffentlich in diesem Blatte gegenüber zu stellen.
Für’s Erste, mein werthester Hr. v. D., haben Sie gegen einen unserer beliebtesten Virtuosen, gegen den vortrefflichen Baritonsänger, Hn. Mittermayer, dadurch eine Ungerechtigkeit begangen, daß Sie seiner bey Aufzählung der merkwürdigern Mitglieder der hiesigen Oper vergaßen. Ich kenne Ihr Urtheil über diesen Künstler, und kann daher nicht glauben, daß Sie ihn unter die Zahl derjenigen rechnen wollten, von denen Sie sagen: es lohne sich nicht der Mühe, sie aufzuzählen.
Ferner thut es mir leid, daß Sie die Herren Zuccarini, Caro, Tochtermann, Schack (als Tonkünstler) Flerx, so wie die Mes-Dames, Elise und Anne Lang, Reinhard, Flerx und noch manche andere brave Mitglieder des hiesigen Theaters, deren Verdienste das Publikum mit gerechtem Lobe anerkennt, unter die Zahl der Unbedeutenden versetzen. Sie müssen gestehen, daß Ihr Aufenthalt in München dennoch zu kurz war. Man muß sehr lange Zeit hier verweilen können, wenn man unser Theater-Personal kennen lernen will; denn der Fall ist nicht selten, daß einige unserer beliebtesten Schauspieler oft ganze Monate nicht auftreten, daher es leicht möglich ist, daß Sie die obengenannten Personen wohl gar nicht einmal spielen sahen.
Ein anderer Punkt in Ihrem Aufsatze, der unter unserm Publikum großen Unwillen erregte, ist der, daß Sie einen unserer besten prosaischen Dramatisten, auf welchen das Vaterland mit Recht stolz ist, den verdienstvollen, leider nicht von Ihnen allein verkannten Hn. Babo, vor den Augen des Publikums durch die Behauptung herabsetzen: das Theater wäre unter seiner Intendance schlecht berathen gewesen.
Obgleich eine so absprechende Behauptung auf keinen Fall statt haben kann, so hätte ich es doch für Sie gewünscht, daß Ihr Urtheil gründlicher ausgefallen wäre; denn die Gründe, womit Sie Ihre Behauptung beweisen wollen, können nicht auf Gültigkeit Anspruch machen.
Dieses mit wenigen Worten zu zeigen hält nicht schwer; nur muß ich noch vorher erklären, daß es bey dieser Gelegenheit, wo ich die alte Intendance vor unverdienten Beschuldigungen in Schutz nehme, ganz und gar nicht meine Absicht ist, von der neuen deßwegen nachtheilig zu sprechen.
Sie rechnen der neuen Intendance 1) die Aufführung der Jungfrau von Orleans, und 2) den Umstand, daß | dieses Drama in einem Zeitraume von 3 Wochen viermal wiederholt wurde, zu einem so großen Verdienste, daß Sie die Behauptung daraus folgern, man könne dieses als einen Beweis ansehen, wie schlecht das Theater unter der vorigen Intendance berathen gewesen sey.
Sollte die Folgerung mit dem Grunde übereinstimmen, aus dem sie hergeleitet wird, so müßte man denken, die vorige Intendance hätte wirklich niemal ein neues Stück auf die Bühne gebracht, das bey dem Publikum so großes Aufsehen erregte, wie die Jungfrau von Orleans! – Darauf muß ich Ihnen aber antworten, das die alte Intendance 1) neben den besten neuesten Opern fast alle Schiller’schen Dramen auf die Bühne gebracht; 2) daß das Publikum an Wallensteins Tod, Maria Stuart, Wilhelm Tell, Don Carlos und der Braut von Messina sich fast nicht satt sehen konnte. Sodann muß ich auch noch die Bemerkung hinzufügen, daß die vorige Intendance neben dem Ob auch sehr gewissenhaft das Wie in Betrachtung zog; ein Umstand, der es ihr unmöglich machen mußte, die Jungfrau von Orleans auf die Bühne zu bringen, wenn auch selbst ihr Personal schon damals durch die von der neuen Intendance engagirten Schauspieler vermehrt gewesen wäre.
Bey dieser Gelegenheit darf ich nicht vergessen, eines andern Umstandes zu gedenken, den Sie ergreifen, um das von der vorigen Intendance angestellte Personal herabwürdigend zu behandeln. Sie wissen es nicht genug zu rühmen, daß wir der neuen Intendance den Besitz des Hn. Wohlbrück verdanken. Allerdings besitzen wir an Hn. Wohlbrück einen Schauspieler, der sich in manchen Rollen bis zur Höhe eines Künstlers empor arbeitet; aber damit sehe ich noch nicht ein, welches Uebergewicht er in irgend einer Hinsicht bey seinen sichtbaren Mängeln über das ganze Theater-Personal haben soll? wie man ihn dabey noch gar zum Muster für Alle erheben könne? – Bedenken Sie, daß Hr. Wohlbrück nur für einige wenige Rollen ganz paßt, und außer dem Charakter eines Polterers, und was überhaupt in dieses Fach gehört, keine andern Chara[c]tere ihm so treffend gelingen! Für das Zärtliche sowohl wie für das Heroisch-Tragische paßt Hr. Wohlbrück ja gar nicht. Und sodann beschränken ihn seine Stimme und seine Gestalt oft sehr bedeutend!
Der Vorzug bleibt Hn. Wohlbrück unbestritten, daß er seine Rollen studirt, und wir da, wo er mit seiner Kunst nicht ausreicht, doch vielen Fleiß an ihm erblicken. Es kann aber, was diesen Punkt betrifft, Hr. Wohlbrück nicht allein zum Muster aufgestellt werden, denn er theilt dieses Verdienst noch mit mehrern seiner hiesigen Kollegen; wenn auch deren zu viele nicht sind.
Haben Sie bey Gelegenheit des Hrn. Wohlbrück so viel Rühmens machen können, so darf ich Sie nun schon fragen, warum Sie die Herren Carl, Kohrs, Schwadtke, Hölzel, und die Mesdames Wohlbrück, Neumann &c. mit Stillschweigen übergingen, und diese von der neuen Intendance engagirte Personen dadurch der Zahl derjenigen beygesellten, von denen es sich der Mühe nicht lohne, ihrer zu erwähnen? Wenn Sie Hrn. Stentzschens Verdienst so zu schmälern wußten, warum fiel es Ihnen nicht ein, Etwas über Hrn. Karl zu sagen? Es wäre interessant gewesen, Ihre Bemerkungen darüber zu vernehmen. ¦ So viel kann ich Sie aber versichern, daß es Ihnen schwer gewesen seyn würde, auch bey dieser Gelegenheit der alten Intendance einen Seitenhieb zu versetzen! Das sahen Sie wohl von selbst ein, und thaten daher wohl daran, die Sache mit Stillschweigen zu übergehen.
Schließlich noch Etwas zu Gunsten der vorigen Intendance. Alle Mitglieder, der Oper sowohl, als des Schau-Spiels (Hrn. Wohlbrück allein ausgenommen), die Sie selbst in Ihrem Aufsatze rühmlich anführen, verdanken wir der alten Intendance. Verloren haben wir unter der neuen Intendance Mad. Regin. Lang – ein Verlust, der, wie Sie selbst sagen, für die Oper von großer Bedeutung ist. – Sie war Künstlerin!
Gott erhalte die Kunst, lieber Freund! und erfülle die frommen Wünsche, die wir für ihr Aufkommen täglich entrichten. Lassen Sie uns unpartheyisch und frey von Haß, Freundschaft und allem Einfluße conventioneller Verhältnisse nur das Wahre im Auge behalten! – Billige Beurtheilung ist immer eine fruchtbare Lehrschule, die zugleich den Künstler hervorhebt und ermuntert; einseitiger Tadel fällt auf den zurück, der ihn ertheilte. Leben Sie wohl.
München, den 24. May. Gutwill Rechtens.
Apparat
Generalvermerk
Zuschreibung: Sigle
Kommentar:
Unter der Sigle Gutwill Rechtens erschien im Gesellschaftsblatt für gebildete Stände dieser Artikel, der sich kritisch mit Duschs Berichts Über München (Auszug aus einem Tagebuche), erschienen in der Zeitung für die elegante Welt, Jg. 12, Nr. 77 (17. April 1812), Sp. 607–611 und Zeitung für die elegante Welt, Jg. 12, Nr. 78 (18. April 1812), Sp. 620–622 auseinandersetzt. Es entwickelte sich daraufhin ein offener Briefwechsel zwischen Alexander von Dusch und Gutwill Rechtens im Gesellschaftsblatt für gebildete Stände; vgl. hierzu: „Antwort auf das im Gesellschaftsblatte enthaltene Schreiben gegen mich. Von Alexander von Dusch“ und „Schluß Erklärung an Hn. Alexander v. Dusch von Gutwill Rechtens“
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Schaffer, Sebastian
Überlieferung
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Textzeuge: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände, Jg. 2, Nr. 43 (27. Mai 1812), Sp. 341–344