Über München (Auszug aus einem Tagebuche) (Teil 1/2)
Ueber
München.
(Auszug aus einem Tagebuche.)
München erhebt sich immer mehr zu einer der ersten Städte Deutschlands, und will man sie nicht nach der Größe der Volksmenge ordnen, so steht es schon jetzt keiner andern mehr nach; die Bevölkerung ist übrigens in beständigem Steigen begriffen (man zählt jetzt 66000 Seelen) und der innere Verkehr in dem blühendsten Zustande; daher das lebendige Regen und Treiben der Menschen untereinander, jene Bewegung, die erhält und Gedeihen bringt, und welche dem Reisenden ein so erfreulicher Anblick ist. Mit besonderm Wohlgefallen bemerkt aber der Fremde noch eine schöne Freiheit und Offenheit des Betragens unter den Einwohnern, welche als eine Wirkung der humanen und liberalen Regierung betrachtet werden muß.
Münchens Reichthum an Kunstschätzen ist bekannt, und die Gemäldesammlung hat wohl jetzt, außer zu Paris und Dresden, ihres Gleichen nicht; diese sowohl als die übrigen Denkmale der bildenden Kunst verdanken ihre fortgehende Bereicherung Baiern’s Kunstgenius dem Kronprinzen; vorzüglich gehört hierher ein Schatz von Gemälden aus der deutschen Schule, wie sie keine Gallerie aufzuweisen hat, und eine Sammlung ueugriechischer‡ Gemälde aus den frühern Jahrhunderten des Christenthums, beide in der Gallerie zu Schleißheim aufgestellt. Die Sammlung der Büsten aller großen Deutschen (eine schöne Hoffnung zu einem deutschen Pantheon), welche ihr Daseyn dem Kronprinzen verdankt, erhält täglich neuen Zuwachs, wo-durch eine Menge Künstler beschäftigt wird. Der berühmte Dannecker hat in diesem Augenblicke sieben Büsten* für jene Sammlung zu fertigen, worunter die des Componisten Gluck* ist. Auch der geschickte Bildhauer Christen aus Basel, der sich gegenwärtig in hiesiger Stadt befindet, arbeitet an der Büste des Schweitzerhelden Hans von Hallwyl* und das Modell in Thon, über die natürliche Größe, ist bereits fertig. Noch muß ich eine Venus* erwähnen, welche gleichfalls unter den Händen dieses Künstlers ins Leben steigt; die Figur ist nicht mehr als 22 par. Zoll hoch, ohne Bekleidung und stellt diese Göttin vor, wie sie eben aus der Muschel entspringt, halb aufgerichtet. Sie ist in dem schönen, erst vor kurzem entdeckten Graubündner Marmor gearbeitet, und schon so weit fertig, daß sie nur die zartere Vollendung im Ganzen noch erwartet. Christen hat die Antike studirt und lebt in wahrer Begeisterung für seine Kunst.
In Hinsicht auf das Theater und musikalische Aufführungen war die erste Zeit meines Aufenthalts nicht sehr genußreich. Die Carnevalsbelustigungen hatten beinahe alle Zeit für einen reellern Genuß verschlungen und es war in dieser Hinsicht eine wahre Fastenzeit zu nennen. Desto willkommner waren mir die Kirchenmusiken in hiesiger Hofkapelle, welche dadurch nicht gestört waren, unter welchen Aufführungen ich eine missa breve* von Gottfried Weber aus Manheim erwähne, ganz mit dem Geiste komponirt, der aus den häufigen theoretischen Aufsätzen dieses Mannes hervorleuchtet. – Was nun das hiesige Orchester betrifft, so läßt sich dessen Trefflichkeit nicht genug hervorheben, und Paris und Wien haben kaum ähnliche aufzuweisen; allein nicht durch die Zahl der Mitglieder glänzt dieses InstitutT so sehr (denn das Orchester von der Pariser Oper ist bei weitem zahlreicher), sondern durch jene hohe Vollkommenheit, welche bei den Zuhörern oft die Täuschung hervorbringt, als sey das ganze Orchester nur Ein Instrument (das Ideal eines Orchesters) und deren Grund nicht nur in der Meisterschaft jedes Einzelnen und in der Präcision des Ineinandergreifens, sondern auch und vorzüglich in dem Ineinanderschmelzen, in dem Geiste zu suchen ist, der das Ganze beseelt; o daß dieser Geist nie von ihm entweiche. – Kann ich mich doch beim Anblick alles Schönen und Herrlichen des trüben Gedanken seines Hinsinkens, seiner Zerstörung nicht erwehren.
Daß die abonnirten Winterkonzerte und die Opern zu den größten Genüssen meines Hierseyns gehören, brauche ich wohl nicht zu sagen. – Die Aufführung herrlicher Ensemble-Stücke von Mozart, Haydn und Beethoven*, unter der feurigen Leitung des Direktors Fränzl, steht darin oben an; nichts desto weniger waren aber auch die Solopartien von der Art, daß sie ein nicht geringes Vergnügen zu gewähren im Stande waren; ich hebe die vorzüglichsten aus. – Fränzl’s Concertino für Violine mit eingemischten Chören*, trug er selbst mit der ihm eigenen Meisterschaft vor, und die Idee der Komposition verdient Nachahmung, sie ist neu und wohl gefunden. – Ein Concertant für 2 Violinen von Cannabich*, gespielt vom Dir. Fränzl und dem kräftigen Konzertmeister Moralt erregte allgemeines Wohlgefallen und beide Künstler zeigten sich wetteifernd in ihrem höchsten Glanze. Nächstdem zeichnete sich der treffliche Violoncellist Legrand in dem Konzert Eb von Romberg* durch sein geschmackvolles Spiel und seelenvollen Vortrag aus; eine so zarte und der Natur so angemessene Behandlung dieses Instrumentes findet man selten, nur mangelt seinem Spiele in den tiefern Tönen, vielleicht eben aus zu großem Bestreben nach Zartheit, die nöthige Kraft und Fülle. – Vogler’s Lob der Harmonie (Trichordium)* wurde in diesem Jahre zum ersten Male aufgeführt und gewährte jedem echten Musikfreunde einen hohen Genuß.
Unter den Sängern stehen Brizzi und Mad. Harlas oben an und verdienen gleich große Auszeichnung vor allen übrigen; letztere mit einer vorzüglich schönen klangvollen und zum Herzen dringenden Stimme begabt, scheint sich nach Brizzi gebildet zu haben und steht demselben würdig zur Seite, ihr Gesang erschüttert und rührt, er ist zart und kräftig, und jeder Ton ist Ausdruck. So gab sie den Sexto im Titus* unübertrefflich schön und auch ihr Spiel harmonirte auf eine seltne Weise mit ihrem Gesange. – Und nun Brizzi, dieser hohe anerkannte Meister des Gesangs! – Am Bewunderngswürdigsten‡ erscheint dieser Künstler in der Deklamation des Recitativs; als bänden ihn keine Töne, so fließt seine Sprache; nur da wo eine zu betonende Stelle kommt, ruht er mit Wohlgefallen auf dem Tone und eilt dann wieder weiter, die Akkorde durchlaufend und Sprechen und Singen vereinigend auf eine bezaubernde Weise; die Coloraturen seines Gesangs sind leicht wie ein Hauch, und zu vergleichen einem reichen geschmackvollen Faltenwurf. Wahr ist es, er häuft diese Verzierungen zu sehr, aber sie ermüden nicht, denn sie schweben so leicht hin und so ohne alle Anstrengung, daß sie den Zuhörer erheben und ihm jede Aengstlichkeit benehmen. – Brizzi und Mad. Harlas sind es denn auch, welche hier die italienische Oper halten und heben, worin übrigens Mad. Weixelbaum noch eine Erwähnung vor den Andern verdient, da man bei den übrigen Sängern zu sehr die Natur des italienischen Gesangs vermißt, und ihnen das Recitativ gar nicht gelingt. Diese Oper wird natürlich schon ihrer Verpflanzung wegen nur als etwas Seltnes gereicht, und ich bekam während meines Aufenthalts nur Ginevra* und Titus zu hören, welche mir einen hohen Genuß verschafften; auch die deutsche Oper ist im Ganzen nur zu loben, obgleich Sänger und Sängerinnen bei weitem nicht in Verhältniß stehen zu dem unübertrefflichen Orchester. Herr Weixelbaum ist ein angenehmer Tenorist und besitzt eine vorzüglich schöne Stimme, allein ihm klebt ein wesentlicher, nicht oft genug zu rügender Fehler an, indem er die Worte des Gesangs ganz unverständlich, ja man möchte sagen, beinahe gar nicht ausspricht; seinem Spiele mangelt Leben und Gewandtheit. Mad. Weixelbaum gibt die ersten Rollen (denn Mad. Harlas tritt seltener auf, und ich hörte sie blos in der Sängerin auf dem Lande*) mit Glück, besonders seitdem Mad. Lang* zum großen Verlust der Oper die Bühne verlassen hat, und sie erntete als Schweizermädchen* großen Beifall[,] auch Mad. Fischer ist lobenswerth; am meisten fehlt es an einem guten Bassisten, worauf Hr. Hanmüller nicht Anspruch machen kann, dagegen Hr. Muck als Basso buffo in seinen Rollen befriedigt, ohne als Sänger viel zu leisten, indem er mit einer großen Deutlichkeit eine angenehme Laune verbindet.
Apparat
Generalvermerk
Zuschreibung: namentlich gezeichnet
Kommentar: Dusch hielt sich zu Beginn des Jahres 1812 längere Zeit in München
auf. Die Dauer seines Aufenthalts läßt sich anhand des erhaltenen
Reisepasses (GLA Karlsruhe, N. v. Dusch 2, 167), der am 11. Januar 1812
ausgestellt ist, und Vermerke aus Stuttgart und Ulm auf der Hinreise (14.
und 16. Januar), sowie auf der Rückreise (19. und 20. März) trägt,
eingrenzen. Die Ankunft in München ist nicht vermerkt, der letzte Eintrag
aus München stammt vom 14. März 1812. Damit stimmen die Daten der
Aufführungen, die Dusch besprach, überein. Er erwähnt Aufführungen zwischen
dem 28. Januar (Mayrs Ginevra) und dem 15. März 1812
(Weigls Schweizerfamilie). Der Text rief eine
Antikritik hervor, die unter dem Pseudonym Gutwill
Rechtens erschien in: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände,
Jg. 2, Nr. 43 (27. Mai 1812), Sp. 341–344. Auf diese Antikritik reagierte
Dusch ebenfalls im Gesellschaftsblatt. Vgl. An Herrn Gutwill Rechtens. Antwort auf das
im Gesellschaftsblatte enthaltene Schreiben gegen mich. Es
entwickelt sich ein offener Briefwechsel zwischen A. v. Dusch und
Gutwill Rechtens, der mit der Schluß
Erklärung an Hn. Alexander von Dusch desselben, ebenfalls im
Gesellschaftsblatt Jg. 2, Nr. 64, Sp. 511–512 endet.
Über Marianne
Schönberger und G. Webers Messe hatte Dusch bereits zuvor zwei ausführliche
Aufsätze für das Gesellschaftsblatt verfaßt (1812-V-07 und 1812-V-11).
Zum Personal der Münchener Bühne und zu Simon Mayrs Ginevra vgl. auch
C. M. v. Webers Münchener Kritiken des Jahres 1811, insbesondere 1811-V-36.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Kolb, Roland
Überlieferung
-
Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 12, Nr. 77 (17. April 1812), Sp. 607–611
Themenkommentare
Einzelstellenerläuterung
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„ueugriechischer“recte „neugriechischer“.
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„Dannecker hat in … Augenblicke sieben Büsten“Johann Heinrich von Danneckers Büsten von Friedrich von Schiller und Friedrich dem Siegreichen von der Pfalz stehen heute in der Regensburger Walhalla. Laut Adolf Spemann, Johann Heinrich Dannecker. Das Leben, das Werk, der Mensch, München 1958, S. 16, waren diese beiden Büsten und die Büste von Gluck die einzigen Aufträge für München. Auch C. M. v. Weber hebt Dannecker in seinem Bericht über Stuttgart (1810-V-04) hervor.
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„Christen aus Basel … Hans von Hallwyl“Joseph Christens Büste von Hans von Hallwil steht in der Regensburger Walhalla.
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„eine Venus“Ob es sich dabei um die Venus in der Muschel aus der Sammlung von Hans von Matt handelt, war nicht zu ermitteln; vgl. Adolf Reinle, Kunstgeschichte der Schweiz. Dritter Band. Die Kunst der Renaissance, des Barock und des Klassizismus, Frauenfeld 1956, S. 415.
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„missa breve“Gottfried Weber, Messe Nr. 3 e-Moll op. 33; vgl. dazu Kom. zu 1812-V-07, (Besprechung von Dusch).
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„Ensemble-Stücke von Mozart … Haydn und Beethoven“Bis zur Veröffentlichung dieses Textes waren im vierten Konzert am 24. Februar und im achten Konzert am 24. März je eine Sinfonie von Haydn, im fünften Konzert am 2. März eine Sinfonie und im sechsten Konzert am 9. März eine Ouvertüre von Mozart sowie im siebten Konzert am 16. März und im zehnten Konzert am 6. April 1811 je eine Sinfonie von Beethoven aufgeführt worden.
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„Fränzl’s Concertino für … mit eingemischten Chören“Ferdinand Fränzls Das Reich der Töne (Konzertino für Violine, Chor und Orchester) wurde im zehnten Konzert am 6. April 1811 aufgeführt; vgl. Konzertzettel.
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„Concertant für 2 Violinen von Cannabich“Welches der beiden Doppelkonzerte (C-Dur und A-Dur, beide später von Ferdinand Fränzl herausgegeben) von Carl Cannabich im sechsten Konzert am 9. März 1812 mit Fränzl und Joseph Moralt aufgeführt wurde, war nicht zu ermitteln.
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„Konzert Eb von Romberg“Bernhard Rombergs Konzert Nr. 4 e-Moll für Violoncello op. 7 wurde im fünften Konzert am 2. März 1812 mit Peter Legrand aufgeführt; vgl. Konzertzettel.
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„Vogler’s Lob der … ( Trichordium )“Georg Joseph Voglers Trichordium und Trias Harmonica oder Lob der Harmonie […] nach J. J. Rousseau’s Melodie zu drei Tönen wurde im vierten Konzert am 24. Februar 1812 aufgeführt; vgl. den Konzertzettel.
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„Titus“La Clemenza di Tito von Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 4., 5. und 17. März 1812 gegeben; vgl. die Theaterzettel.
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„Bewunderngswürdigsten“recte „Bewunderungswürdigsten“.
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„Ginevra“Aufführung am 29. Januar 1812; vgl. Theaterzettel.
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„Sängerin auf dem Lande“Aufführung am 14. Februar 1812; vgl. Theaterzettel; Helene Harlas trat als Rosa auf.
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„Mad. Lang“Regina Lang trat im November 1811 von der Bühne ab und wirkte nur noch als Hofsängerin.
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„Schweizermädchen“Emmeline in Schweizerfamilie von Joseph Weigl; die Oper wurde am 15. März 1812 gegeben; vgl. Theaterzettel.