Aufführungsbesprechung Wien: 26. Oktober bis 4. November 1822

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Correspondenz-Nachrichten.

Tagebuch aus Wien.

Am 26. u. 27. Oct. 1822. Dlle. Laucher gab ihr zweites Debüt, als Friederike Hainfeld, in Iffland’s Hausfrieden, und machte das Haus zufrieden. – Minder friedlich lief es mit einem neuen fantastischen Zeitgemälde: „1722, 1822, 1922“ ab, welches im Josephstädter-Theater, unter zweifelhaftem Erfolge, gesehen wurde. Der Verfasser ist Herr Meisl. Einzelnheiten sind recht komisch; das Ganze ist zu breit. Unter den Schauspielern zeichnete sich Herr Hopp in der Hauptrolle, und Dlle. Sutorius d. ä. in einem Gesangstücke aus. Die Musik ist nicht übel zusammengestellt. Warum zur dritten Abtheilung Mozart’s Ouvertüre aus der Zauberflöte gegeben wurde, begreife ich nicht. Im Verhältnisse mit den übrigen Fratzen dieses Zeitraumes, wäre ein stürmisches – durch 100 volle Takte laufendes – Paukensolo weit bezeichnender gewesen! Statt des Haydn’schen Chores aber, welchen der Poet nach einem Säculo in den Mund ehrlicher Schnitter legt, nätte Referent lieber den Text: „In diesen heil’gen Hallen““, nach der Melodie: „Rinette, Deine Treue“, angebracht. – Die wunderbare Demoiselle, welche sich – wie sich meine Leser entsinnen werden – im Theater a. d. Wien auf Clarinett und Violine hören ließ, zeigte sich abermal in einem Concerte. Das alte Spruchlein: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ fand auch hier wieder seine Bestätigung. – Die flötende Karoline Schleicher fand den flötenden Ernst Krähmer; Schlich sich in sein Herz, und gab mit ihrem Gemahle ein gemeinschaftliches Künstler-Diner. Das Ehepaar errang einen allgemeinen Beifall. Der arme, unbehülfliche Chakan fand an Ernst Krähmer einen wackeren Patron. Alles Uebrige machte sich, ohne eben viel zu machen.

Vom 28. bis 31. Oct. Ein komisches Gerücht – ob wahr, ob unwahr, thut dem Komischen keinen Abbruch – trug sich dieser Tage in der Stadt herum. – Ein Jude, seines Handels und Wandels müde, faßt den heroischen Entschluß, dieser undankbaren Welt einen so wuchernden Schatz, wie er, zu mißgönnen und zu entreißen. Er schreibt demnach ein larmoyantes Briefchen, und verschwindet. Das geschah Morgens. Unter Tags findet seine Familie das compendiöse Testat – lieft, und trifft – mit Schaudern – auf die Worte: „Während Ihr dieses lest, bin ich nicht mehr“. – Des Jammerns wird kein Ende, bis – zum Diner – Gerechten Schmerz muß man nähren; demnach gehen die halb vor Angst Verzehrten ans Verzehren, wie Macbeth, den Platz ihres Hausherrn unbesetzt lassend. Da kommt – die Suppe? – nein! – der Hausherr selbst – oder sein Geist. Alle Löffel fallen nieder, wie der Auferweckte, oder noch nicht Eingeschlafene sich ruhig niederläßt, mit schmaust, und bei dem ersten Dukaten, der ihm zu Händen kommt, zeigt, daß er noch lebe und der undankbaren Erde länger sich dankbar freuen wolle. So erhielt sich der Mann seiner Familie, und gab der Welt eine goldene Lehre mehr. – Herr Wilhelmi gab als sein zweites Debüt den Paul Werner in Lessing’s Minna von Barnhelm, und gefiel allgemeiner, als das erste Mal: überhaupt scheint Hr. Wilhelmi mehr für’s Lustspiel geeignet. – Die Frau des Regisseurs Hrn. Demmer* betrat zum ¦ ersten Male die Bretter des Theaters an der Wien. Sie schlägt aus der Demmer’schen Familie. Talent scheint sie nicht im Ueberflusse zu haben. Ueberhaupt wimmeln die Regisseurstuben jetzt von Candidaten, die mehr oder minder Talent zeigen. Eine Dlle. Caché trat an der Wien, ein Herr Neuberg in der Leopoldstadt auf. Beide gefielen. Das tröstendste für derlei Aspiranten ist, daß sie Bekannte genug haben, um mindestens beim ersten Male gerufen zu werden.

Am 2. Nov. Unser unübertrefflicher Ferdinand Ochsenheimer dankte – nachdem er von der Direction pensionirt worden war – vom Leben ab. Er schien nur für die Uebung seiner Kunst leben und diese nur auf einem Hoftheater üben zu wollen. Nebst dem war er noch großer Naturhistoriker, Doktor der Philosophie und Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften. Er verschied im 55sten Jahre seines Alters an einer Herzentzündung; betrauert von seinen Freunden, deren es so viele gab, als die Kunst wahrhafte Verehrer zählt – und zum Leidwesen seiner Gattin und Kinder. Sic transit gloria mundi!-

Am 3. Nov. Das glorreiche Namenfest unserer Kaiserin verbreitete selbst über die Tempel der Musen ein schöneres Licht. Denke Dir, lieber Leser, mit welchem Opfer unser Operntheater huldigte! – Mit Fidelio. – Aber mit einer neuen transalpinischen Musik doch? – Nein! mit der ächt deutschen von unserm Beethoven. – So? Nun, da hast Du Dich neulich gewaltig getäuscht, mein Referent; sagtest Du nicht, Beethoven wäre kein Magnet mehr? – Distinguo; für Herzen ist und bleibt er’s, so lange es welche giebt: und ein kleines Häuflein davon dürfte sich doch erhalten; für’s Metall ist Beethoven freilich kein Magnet, was heute das mäßig besetzte Haus bewieß. – Nun, wie ging es denn? – Nicht so gut wie sonst, aber doch gut! Die Ouverture – staune Leser! – mußte wiederholt werden! Die Sänger thaten ihr möglichstes; Mlle. Wilhelmine Schröder gab den Fidelio mit überströmendem Gefühl, und das lobe ich mir. Herr Haitzinger, als Florestan, und die Chöre verdienten Auszeichnung. Soll ich von der Oper selbst etwas sagen? – Hört nur, und redet, wenn Ihr könnt! – An demselben Abende beging das Personale des Josephstädter Theater nach Beendigung der eigentlichen Vorstellung, die Feier des Namenfestes seines Directors, Karl Hensler. Sie bestand in einer Nachtmusik und anderen dankbaren Ehrenbezeigungen. Herr L. v. Beethoven soll eine Symphonie eigens für dieses Fest componirt haben. Herr Hensler verdient die Liebe seiner Untergebenen, wie die regste Theilnahme von Seiten des Publikums.

Am 4. Nov. Auch das Burgtheater feierte das Namenfest der verehrten Landesfürstin mit einer neuen Darstellung. Die Unterlage derselben war ein dramatisirter Scott’scher Roman – Diesen zweiten Kanal für den Handel, welcher mit Scott’schen Produkten, in Deutschland, längst schon auf dem Canalo die traduttori getrieben wurde, grub ein Mitglied des Hamburger Stadttheaters, Namens J. K. v. Lenz, und abermal, Namens Kühne, welcher des brittischen Dichters: Kenilworth, zu einem fünfaktigen Trauerspiele in Versen verarbeitet. Das Stück hat herrliche Einzelnheiten, aber keinen Zusammenhang.

Apparat

Zusammenfassung

„Correspondenz-Nachrichten. Tagebuch aus Wien.“ (26. Oktober bis 4. November 1822)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ran Mo

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 7, Nr. 29 (3. Februar 1823), S. 116

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Frau des Regisseurs Hrn. Demmer“Friedrich Demmer (ca. 1785–1838).

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