Aufführungsbesprechung Prag: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber 1822
NACHRICHTEN.
Prag. Der Freyschütz, romantische Oper in drey Aufzügen von Kind, mit Musik von C. M. von Weber. Wir müssen gestehen, dass der Text dieser Oper, aus Apels herrlichem Mährchen entlehnt, unter die besten gehört, die wir bis jetzt besitzen, wenn gleich manches zu wünschen übrig blieb, und, nach unserer Ansicht, manches noch mehr musikalisch hätte werden können. Da jedoch die Tendenz jener Erzählung tragisch ist, und das Publikum an einen fröhlichen Ausgang der Oper gewöhnt ist, dem sich beyde Künstler fügten, (wir wollen hier nicht untersuchen, ob sie daran ganz wohlgethan haben, da der Untergang des Gefallenen dem Dichter das Werk sehr erleichtert, den Tonkünstler zwar manches schönen, muntern Musikstücks beraubt, dagegen ihm aber auch Raum gegeben hätte, in | einem Schlussfinale seine ganze Kunst zu offenbaren); so ist doch nicht zu läugnen, dass der wackere Kind wohlgethan haben würde, die häufigen Ahnungen und Anzeichen zu beschränken, die dort auf den Fall des Helden vorbereiten, hier aber grossentheils mässig dastehen. Wenn wir auch das zweymalige Herabfallen des Bildes, in denselben Momenten, wo Max mit dem Bösen in Berührung kommt, billigen wollen (obschon die dramatische Wirkung, die dadurch hervorgebracht wird, nicht eben sehr bedeutend ist), da sie gleichsam die Missbilligung des Alten und eine Warnung desselben für den Jüngling ausspricht, der jedoch keine Strafe dafür erduldet, dass er die Warnung nicht achtet; so wird doch Agathens Traum, obschon der Dichter ihm eine angemessene Wendung zu geben suchte, der es jedoch an innerer Wahrheit fehlt, der Todtenkranz in der Schachtel und vorzüglich der Ausruf: „Schiess nicht! ich bin die Taube!“ ganz überflüssig, und es ist nicht zu läugnen, dass Max selbst durch den Klausner schlecht genug entschuldigt wird, und, wie wir ihn hier kennen lernen, weder des Amtes noch des Mädchens würdig ist.
Der Gegensatz der beyden Mädchen, der frommen schwärmerischen Agathe und des lebensfrohen Aennchens, ist vom Dichter eben so kunstgerecht angelegt und bis in die kleinsten Nuancen der Lebensansicht durchgeführt worden, als der Tonsetzer mit nicht geringer Kunst ihm zu folgen verstand. Nur schade, dass beyde zur Hervorhebung des sinnigen Contrastes mehr Darstellungsgabe erfordern, als man gewöhnlich bey Sängerinnen zu finden pflegt.
Was nun die Composition betrifft, so ist Hr. v. Weber schon desshalb nicht genug zu loben, dass er, als wahrer deutscher Künstler, es wagte, dem falschen Geschmacke, der sich seit einiger Zeit aller Hörer und Sänger bemeistert, muthig entgegen trat, und ein wahres Widerspiel zu den Rossiniaden unserer Tage bildete, dem es durch Kraft und Genialität gelang, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, und selbes erkennen zu lassen, dass es ausser jenem Gebiete lieblicher Sinnlichkeit auch noch ein Heil in der Tonkunst gebe.
Schon die Ouverture thut uns den ächten Tonmeister kund und ist als charakteristisches Werk um so erfreulicher, als wir heut zu Tage ¦ entweder nur ein Ensemble-Stück vor dem Aufrollen des Vorhangs hören, welches durchaus in keiner wahren innern Verbindung mit der darauf folgenden Oper steht; und (wie es bey Rossini’schen Ouverturen oft geschieht) von einer Oper zu einer andern übertragen werden kann; oder aber missverstehen manche Tonsetzer den Ausspruch, dass die Ouverture gleichsam der Prolog oder Exposition des Ganzen seyn solle, auf so arge Weise, dass sie die Handlung, oft Scenenfolge, der Oper in kleinlichen Massen in der Ouverture ausdrücken, die dadurch gleichsam anzuschauen ist, wie eine Oper en squelette. Hr. von Weber hat beyde Klippen glücklich vermieden, und seine Ouverture führt uns die Elemente des Ganzen in selbstständiger Kraft und Schönheit vor, und liefert einige gar herrliche, phantastisch reizende Motive, die dann auf eine höchst romantisch und charakteristische Weise in der Oper durchklingen.
Die Introduction und der Lachchor sind höchst charakteristisch und erfreulich, doch scheint uns der letztere hier zu schwach besetzt, und dem Chorführer (Hrn. Fleischmantel) fehlt es zu sehr an Stimme, um die Rechte dieses Tonstücks geltend zu machen. Sehr wahr gedacht und lieblich in ihrem Eingange ist die Arie des Max, leider aber liegt die ganze Partie in vielen Stellen für Hrn. Pohl zu tief, und er kann, trotz seines fleissigen Studiums derselben, nicht gehörig wirken.
Höchst rührend sind beyde Arien Agathens und ihr Duett mit Aennchen, deren freundliche Lieder, als Gegensätze zu dem tiefen Gefühle jener, von nicht geringerem Kunstwerthe sind. Dem. Sonntag (Agathe) sang ihre Partie sehr brav, und fand sich von Vorstellung zu Vorstellung mehr in Gesang und mimischen Ausdruck, welcher letztere ihr jedoch nur stellenweise vollkommen gelang. Weniger gelang Dem. Wohlbrück die Darstellung des Aennchen. Der Jägerchor, oder besser zu sagen, das Jägerlied im dritten Akte ist sehr kräftig und lebensvoll, und muss fast jedesmal wiederholt werden. Meisterstücke der charakteristischen Musik sind nächst der schauerlichen Scene in der Wolfsschlucht, die beyden Gesangstücke des Caspar im ersten Akte, das romantisch phantastische Trinklied mit seiner sonderbaren Begleitung und die kraftvolle Schlussarie, die wohl für ein Finale gelten kann | wie denn überhaupt der Charakter des Caspar vom Dichter und Tonsetzer vortrefflich durchgeführt und eine gar wirksame Gestalt in einem romantischen Drama ist. Hr. Kainz stellt diese Rolle mit Kraft und Fleiss dar, nur wünschten wir seiner starken Bassstimme etwas mehr Metall. Auch wäre es für das Ganze sehr erspriesslich, wenn der Erbförster und Eremit in bessern Händen wären, und Herzog Ottokar (Hr. Hassloch) etwas mehr fürstliche Würde besässe.
Die ganze Musik ist zu tief, um auf das erstemal begriffen und genossen zu werden, wesshalb auch Beyfall und Theilnahme mit jeder Aufführung zunehmen.
[…]
Apparat
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Ran Mo
Überlieferung
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Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 24, Nr. 15 (10. April 1822), Sp. 242–245