Rezension über Friedrich Kinds Libretto zum „Freischütz“

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Literatur.
"Der Freischütz", von Kind
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Daß dieses dramatische Gedicht weit hinter der Tonsetzung desselben zurückstehe, haben die Beurtheiler dieser Oper, selbst Böttiger* nicht ausgenommen, einstimmig anerkannt, jedoch hat sich noch keiner der Mühe unterzogen, die Fehler dieses Gedichts näher darzustellen, was wir jetzt thun werden. Eine noch dazu entstellte und gänzlich unverständlich gewordene Spukgeschichte macht den Inhalt dieses Gedichts aus, ein Jägerbursche ist der Held einer nicht komischen Oper, ein Fürst erscheint in derselben als Nebenperson, ein Eremit, von dem vorher bloß einmal die Rede gewesen ist, kommt am Schlusse der Handlung, wie auf einem Spaziergange, zufällig dazu, und giebt den deus ex machina ab. Da bei dieser Oper, so wie sie aufgeführt wird, der erste Akt weggelassen ist, so hätten die drei übrigen Akte darnach eingerichtet werden sollen. Wie flach sind alle Charaktere dieses Stücks, den des Caspar ausgenommen! – Welch eine langweilige Person ist die abergläubische Agathe! Wie kann dieselbe sich schon als Braut schmücken, da der Probeschuß noch nicht geschehen ist! Da alle Personen des Stücks, selbst der Kilian, wissen, daß sechs Freikugeln treffen, sieben äffen, wie kann sich da der Max von dem Caspar so betrügen lassen! Daß die Ahnungen der Agathe als leere Träumereien und die Verwechslung der Kränze als ein bloßer Spaß des Dichters erscheinen, ist schon anderswo bemerkt worden. Daß das Jägerlied gleich auf das Brautjungfernlied folgt, ist ein großer Uebelstand. Als Fehlgriffe des Dichters nennen wir: "Der Becher sprudelt" – "ob Mond wohl seinen Pfad erhellt" – "ein Kind mit runder Brust." – Das in dem Jungfernlied so oft wiederkehrende: "Veilchenblaue Seide," ist sehr unglücklich angebracht. Warum läßt denn der Dichter die veilchenblaue Seide so eine große Rolle spielen? Daß Maria von Weber dieses Gedicht durch seine Tonsetzung vergoldet hat, deshalb kann er nicht getadelt werden, denn der Erfolg hat bewiesen, daß er seinen Mann gekannt hat. Die Franzosen bringen, wie bekannt, nicht bloß die Ohren, sondern auch Verstand und Gemüth mit in das Opernhaus; wir Deutschen aber bringen bloß die Ohren und ein Paar nach Spektakel-Scenen spähende Augen mit. Das Aennchen hat der Dichter in das Stück hineingezwängt. Der Schluß verdient bei jedem dramatischen Gedicht die größte Aufmerksamkeit des Dichters, besteht hier aber aus lauter matten, aus Kirchenliedern entlehnten, Phrasen. Werden wir Deutschen denn nie einen Quinault oder | Metastasio besitzen? Sollen wir uns immer mit Opern-Texten von Castelli, Schikaneder u. dgl. behelfen?

Sonderbarer Weise hat diese Oper den Prunktitel: "Romantische Oper" bekommen. Ist wohl die geringste Spur von Romantik in derselben? Das Jägerlied enthält wenig Poesie; es läßt sich aber auch bei Beschreibung des wüsten Jägerlebens wenig Lyrik anbringen. Der Schluß ist, wie schon oben gesagt worden, der schwächste Theil dieses Gedichts. Hier häuft sich Unwahrscheinlichkeit auf Unwahrscheinlichkeit. Das durch Nichts veranlaßte Erscheinen des Eremiten, das Geständniß des Max, die eingelegte Vorbitte des Eremiten, das Unwahrscheinlichste endlich, die Begnadigung des Max, versetzen den Zuschauer in Erstaunen und Verwirrung. Soll das etwa Poesie sein: "Stets war er seiner Pflicht getreu"? Das Lied: "Kommt ein schlanker Bursch gegangen," hat mit der Handlung selbst gar keinen Zusammenhang.

So wie Kind in seine „Truhe“ lauter schlechtes Gerille* gepackt hat, so hat er für seinen "Freischütz" das Gewehr ganz falsch geladen. Wir sind keineswegs der Meinung, daß man an einen Opern-Text große Anforderungen machen dürfe, jedoch muß allemal, wie man das in Französischen Opern-Texten findet, die Handlung schnell fortschreiten, die Verse dürfen nicht matt sein, es müssen unter den Personen des Stücks einige interessante Charaktere sein. Das Brautjungfernlied ist gewiß das Schlechteste, was aus Kinds Feder geflossen ist. Wir beschließen diese Kritik mit dem Wunsche, daß die Direktionen lieber durch Opern, deren Texte aus dem Französischen übersetzt sind, auf den Geschmack des Publikums wirken möchten.

Velly.

Apparat

Zusammenfassung

vernichtende Kritik über das Freischütz-Libretto von Friedrich Kind

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für Theater, Musik und bildende Künste zur Unterhaltung gebildeter, unbefangener Leser. Eine Begleiterinn des Freimüthigen, Bd. 2, Nr. 22 (1. Juni 1822), S. 88

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Beurtheiler dieser Oper, selbst Böttiger“Vgl. die Aufführungsbesprechung (4 Teile) in der Abend-Zeitung von Böttiger zur EA am 26. Januar 1822 in Dresden.
    • „… seine Truhe lauter schlechtes Gerille“Gerümpel.

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