Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 3. November 1821

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K. K. Hof-Oper.

Carl Maria v. Weber’s Oper: Der Freyschütz, ist nun aufgeführt worden. Die Tiefe dieses trefflichen Tonsezters ist dem Werke auf die Stirn geprägt und imponirt in einer Zeit, wo die Tonsetzkunst von manchen ganz fabrikmässig betrieben, und von vielen eben so fabrikmässig beurtheilt wird, ganz wunderbar. Seine Phantasie stahlt sowohl aus den grossen Parthien oft hervor, als auch in den kleinsten, oft bis in’s Neckische getriebenen Momenten. Sein Muth beurkundet sich ganz besonders darin, dass er das Komische mit einem freyen kühnen Pinsel behandelt und eine kecke Zusammenstellung der Farben nicht scheut. Der Introductions-Chor, in welchem das Lachen einer Volkmenge auf so neue und treffende Art in musikalische Verhältnisse und ächt komische Formen gebracht ist, dient als sprechender Beweis für unsere Behauptung, und steht mit allen Rechte als eine Zierde dem ziemlich kühn entworfenen und ausgeführten Werke voran.

Er gibt sogar eine Ahnung des furchtbar höh|nischen Charakters, den der Dichter als grässlichen Schatten gegen die schönen gemüthlichen Bilder der beyden Liebenden aufgestellt hat, um das reine, schöne Licht dieser poetischen Charaktere dadurch recht hervorzuheben. Überhaupt aber ist die satanische Natur dieses bösen Dämons mit Kunst und begeisterter, aber doch besonnener Hand gezeichnet.

Das hohnlachende Lied desselben – um diese unsere vorausgeschickten Bemerkungen im Allgemeinen, mehr zu erläutern – im ersten Acte ist trefflich und effectvoll, wurde aber auch von Herrn Forti äusserst brav gesungen. Man kann sagen, dass die ganze Rolle von diesem Sänger mit viel Geschick ausgeführt, und so consequent gehalten wurde, dass man in der ganzen Darstellung gar nicht das ängstliche Probiren wahrnahm, welches bey neuen Opern, so oft die Unsicherheit des darstellenden Individuums vorblicken lässt. Wenn sie nähmlich auf die oder jene Art versuchen, ob der Charakter so oder so anspreche, und beym ersten Applaus nun erst wissen, dass diess der rechte Ton sey. Herr Forti stellte sein Bild mit recht kühnen Conturen hin, und war so sicher in der Ausführung, dass seine Mienen, Geberden, Gang und besonders sein kräftiger, die Bewegungen seines furchtbaren Inneren so gut mahlender Gesang in schöner Harmonie standen. Wir nehmen hiervon den Moment seines Todes als ganz unästhetisch, aus.

Weber’s empfindungsvolles Gemüth zeigt sich in den lyrischen Mementen der ahnungsvollen Liebe, in ganzer Kraft und versöhnt recht schön das Gefühl mit dem Schrecklichen des Drama’s. Innigkeit und wonnevolle Sehnsucht athmen in seinen Gesängen der Liebe, und geben den Melodien Reitz und Anmuth. Obgleich der Tonsetzer mit Selbstständigkeit seine Gebilde aus sich schöpft, und seine Formen ihre eigene Physiognomie an sich tragen, so treten sie doch nicht etwa durch allzugrosse Willkühr der Individualität aus dem Kreise heraus, welchen man im gesungenen Drama, in den besten Werken vorgezeichnet findet. Es ist also grössten Theils mit Besonnenheit auch für die Erfüllung der Postulate gearbeitet, welche Musik überhaupt, Singkunst und Declamation an den schaffenden Meister stellen, und dem Darstellenden ein möglich dankbares Geschäft zu bereiten.

Eine Hauptforce des ganzen Werks liegt unläugbar im Chor, der von Weber mit grosser Gemüthlichkeit behandelt ist. Höchst naiv, wahrhaft ¦ schön, ist der Chor der Jäger im dritten Act. Bravo Meister! dahin gehört der anmuthsvolle Reitz, die Lieblichkeit der Bewegung in der Gewalt der Singstimmen, der beynahe ganz allein auf der sonoren Kraft des Organs beruht. Wenn die vom Verhängnisse geängsteten Liebenden ihren Schmerz der Sehnsuch in tiefen, gehaltvollen Melodien (die also dem Charakter der Person und der Scene ganz angemessen, und nicht etwa dem Gefühle widerstreben) ausgehaucht, und das Herz des Beschauenden zu schönem Mitgefühl gestimmt haben – dann wirkt so ein froher, aus der Unschuld des Innern herausklingender Ton so wohltätig und erfrischt das Herz so schön zu neuer Spannung und Kraft, als wie ein kühler Hauch vom blauen hüpfenden Meere an einem schwühlen, gewitterschwangeren Tage, die Luft.

Gerade so dicht vor der Katastrophe ist diese heitere, schöne Farbe der Entwickelung des Ganzen äusserst wohlthätig und kann ein Meisterzug genannt werden.

Mit viel humoristischer Kraft ist eben so die Freundinn Agathens gehalten, welche durch ihre anmuthsvolle Fröhlichkeit das Sentimentale der Heldinn des Drama’s immer wieder belebt, und vor dem gänzlichen Ermatten behüthet. Der Tonsetzer ist dem Dichter viel Dank schuldig, dass er diesen Charakter neben die Hauptperson stellt, welche gleichsam als ein Bindungsmittel, die drohende Macht des Verhängnisses mit der Unschuld der Liebenden, vereinigt und versöhnt. Auch sie ist vom Tonsetzer ziemlich gut bedacht, und die Bewegung ihrer Melodien charakteristisch und treu fortgehalten.

Der schwärzeste Schatten ruht auf der Scene in der Wolfsgrube. Die Geschicklichkeit Weber’s hat durch die hier imponirenden zwey Paar Hörner, welche öfter im verminderten Septimen-Accorde eintreten, und einen schaudererregenden Effect machen, weil die Auflösung schön poetisch unterlassen ist – dieses Tonstück sehr charakterisirt. Die monotone Bewegung der unsichtbaren Stimmen tritt gut hervor, und ist originell. – Man sage nur nicht etwa, dass es Mozart in seinem Don Juan nachgebildet sey, denn Mozart hat ja auch nicht das ewige Gesetz erfunden, dass der lang, auf einer Klangstufe ertönende Schall mit chromatischer Begleitung der Harmonie – immer und ewig zu Bezeichnung des Schauerlichen gebraucht | werden wird, weil eben das dem Scheine nach belebte Todte durch so schroffe Conture schreckt. Es ist gleichsam ein hohles, lang uns anstarrendes Gesicht, das von einem immer neu gefärbten Halbdunkel beleuchtet wird.

Geisterstimmen werden nie mit Effect sich melodisch bewegen, weil fast alle Sterblichen übereingekommen sind, dass die Geister der Abgeschiedenen von den Regeln der Singkunst, eine grausenerregende Scala ausgenommen, in ihrer Grabeshülle auszunehmen sind. Auch hier sind wieder italienische Opern ausgenommen, denn in diesem Lande haben auch die Geister der Todten mehr Anstand, Grazie und überhaupt Lebenslustigkeit. Draum ist Weber wegen seiner Behandlung dieser Scene ernstlich zu loben.

Unsere Meinung im Allgemeinen ist: Der Eindruck eines solchen in unserer Zeit gleichsam aus den Wolken fallenden Werks kann gar nicht nach einer ersten Aufführung beurheilt werden – obgleich er im Ganzen doch günstig zu nennen war.

Es ist Anmassung, die auf Ignoranz beruht, wenn man beym ersten Mahl hören das Ganze in seinen tiefen und künstlichen Verzweigungen, beurtheilen zu können behauptet. Wir sind eben auch nicht ungeübt im Unterscheiden von Masse und Form, und doch hält uns die heilige Scheu vor der Kunst zurück, hierüber nach der ersten Aufführung ganz uns auszusprechen. Dass aber der Sieg des Schönen auch hier sich wieder kund that, indem das edle Publicum Wiens, gleich entzündbar für lockenden Sinnenreitz der Töne, wie für den hohen Sinn des ächten Gesanges, schon der Ouverture – die in jeder Rücksicht schön erfunden ist – seinen Beyfall laut zollte.

Während dem Fortgange des Drama’s gab es eben so oft seinen Beyfall zu erkennen, wenn gleich nur einige Gesangstücke – besonders im Chor – enthusiastischen Beyfall erhielten und allgemein anspachen.

Das Neue findet selbst in edlen Naturen oft den Geist des Widerstrebens lebendig, weil auch einige Selbstverläugnung dazu gehört, von sich zu glauben, dass man nicht etwa die Ordnung der Welt für alle anderen erfunden habe – weil es ferner nicht allen bequem ist, aus sich selbst und den schönen, zur anderen Natur gewordenen Gewohnheiten herauszugehen, und den fremden vor uns stehenden neuen Geist zu durchdringen. ¦

Nicht unbedeutend ist die jetzt waltende Herabstimmung der Forderungen an das gesungene Drama, welche doch bey vielen Wurzel gefasst hat, die der Kunst die schimpfliche Ehre anthun, dass sie sie für ein Unterhaltungsmittel erklären. Für solche war das in mancher Hinsicht nichts pour la benne bouche, denn wer in eine tiefe, weite Ferne schauen will, muss gute Augen haben!

Aber das was aus eines Meisters Hand hervorging flösst doch, wenn es auch Anfangs den Charakter des Fremdartigen haben sollte, immer eine gute, geneigte Gesinnung und den Enschluss ein, dass man es noch öfter hören wolle.

Wohlthätigen Einfluss hatte die Kunst auf einige der Darstellenden zum Besten des Ganzen gehabt, durch Mad. Schröder. Dieser war in den entscheidenden Momenten der Handlung sowohl, als in kleinen einzelnen Nüaçirungen der Charakteristik recht oft sichtbar. Die wirksame und geschickte Benutzung der Mittel, welche dem wahren dramatischen Künstler bey seinem Geschäfte zu Gebothe stehen, und seinen darzustellenden Charakter in das zur Beschauung erforderliche Licht der Verklärung stellen, zeigte sich theils bey der talentvollen Tochter der Künstlerinn, theils bey Herrn Rosner.

Es gehört nun einmahl zur deutschen Oper, dass das ganze Bild mehr der Wahrheit sich nähere und in einzelnen Theilen so viel als möglich, nicht nachlässig behandelt sey.

Aus dem bisher Gesagten erhellt aber, dass die Hauptparthien in sehr guten Händen waren, um durch lebendige und geschickte Ausführung den romantischen Gang des Stückes fördern zu helfen. Dlle. Demmer wirkte eben so glücklich zum Gelingen mit durch ihr naives, ahnungsloses Spiel als die schon früher von uns erwähnten Personen. Sie übertraf auch wirklich unsere Erwartung im Gesang.

Wir gehen zu einer ausführlichern Analyse der Oper über.

(Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

lobende Besprechung der EA des „Freischütz“ in Wien inkl. Analyse des Werks; Hervorhebung u.a. der hervorragend komponierten Chöre und der gelungenen Anlage der Rolle des Ännchens

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 5, Nr. 90 (10. November 1821), Sp. 710–714

Textkonstitution

  • „be“unsichere Lesung

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