Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 9. September 1822

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Notitzen.

Schauspiele.

Seit längerer Zeit hat eine im Publicum bestehende Partey es sich zum Zwecke gemacht, die Bemühungen der vereinten Administration des Hoftheaters n. d. Kärnthnerthor und des Theaters an der Wien um teutsche Kunst und um das Vergnügen des Publicums, durch ein schödes, wahrhaft undanständiges Benehmen in den Theatern zu vereiteln. Daß diese Partey nicht nach einer Aufwallung des Augenblickes, sondern nach einem festen Plane, folglich consequent handle, kann den fleißigen Theaterbesuchern nicht entgangen seyn und neuere Beyspiele lassen hierüber keinem Zweifel mehr Raum. Erst vor einigen Tagen wurde der größere und bessere Theil des Publicums im Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore durch solche, der Kunst und ihres Tempels gleich unwürdige Umtriebe höchst indignirt. Künstler, welche Teutschland hoch gefeyert hat, um deren Besitz es uns beneidet und auf welche wir daher stolz seyn dürfen, wurden damahls und auch früher schon einige Mahle mit lauten Zeichen des Unmuthes empfangen, ehe sie noch ein Wort gesprochen, oder gesungen hatten. Ein eben so feindseliges Streben offenbart sich bey allen Aufführungen neuer Stücke im Theater an der Wien, welches sich seit einiger Zeit von seinem tiefen Falle sichtlich erhebt, indem eine bessere Wahl der Stücke und deren präcise Ausführung offenkundig macht, daß der kunstsinnige Eigenthümer den rechten Mann gefunden habe, der unter seiner weisen Oberleitung dieser schönsten Bühne Wiens ihren früheren Glanz und Ruhm wieder zu gewinnen geeignet ist. Begreiflich kann dieß nicht das Werk einiger Wochen seyn. Schnell ist der Umsturz; zeitfordernd, mühsam und kostspielig der Wiederaufbau. Aber wir können unsern verehrten Lesern die Versicherung geben, daß für beyde vereinte Theater mit Umsicht, Consequenz, rastloser Thätigkeit und bedeutendem Kostenaufwande gearbeitet wird. Die Debuts der Mad. Seidler, der Dlles. Sonntag und Sigl &c. haben dargethan, daß die Administration uns den Genuß alles Vorzüglichen verschaffen wolle und könne, was Teutschland dermahlen an bedeutenden Gesangkünstern aufzuweisen hat. Ist es daher gerecht, das schon geschehene Gute verkennen oder herabsetzen zu wollen? Sollten wir nicht lieber Vergangenes und Gegenwärtiges als eine Bürgschaft für die Zukunft annehmen; das früher von uns selbst als gut Anerkannte freundlich begrüßen und dadurch zum Bessern ermuntern? Diese Ansichten theilt das größere Publicum mit uns und sollte sie auch bey jeder Gelegenheit geltend machen, damit die Förderer dieses wichtigen Zweiges des Volksvergnügens in ihren Maßregeln nicht irre werden, sondern mit fröhlicher Zuversicht auf Anerkennung fortfahren, die mannigfaltigen Gebilde der dramatischen Kunst, uns selbst zur Lust und Bildung vorzuführen.

(K. K. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore.)

Die Aufführung des Freyschützen wurde durch die neue Besetzung einiger Hauptrollen in vielfacher Hinsicht interessant. Wir sahen Mad. Seidler als Agathe, Hrn. Jäger als Max und Hrn. Mosewius als Caspar.

Mad. Seidler sang die Parthie brav und mit viel Kunstfertigkeit. Sie entwickelte eine schöne Kraft im Tragen des Tons, besonders im Gebethe und den in einem mehr melankolischen Tone gehaltenen Solosachen. Ihre Höhe zeigte sich rein, wenn auch nicht von glänzender Stärke und Festigkeit. In dem Duette mit Annchen (Dlle. Thekla Demmer) hielt sie den festen Gesang brav gegen die figurirte Stimme des zweyten Soprans, und trug die ¦ Perioden, welche einen besondern Aufschwung erfordern, mit Feuer und Kraft vor. Dennoch verzierte Mad. Seidler das einfache Thema in der Wiederhohlung des Gebethes mit Gesangesblumen, die, wie duftend sie auch waren, doch die unselige Folge haben werden, daß alle künftigen Agathen, auf die Sanction des Tonsetzers pochend, den einfachen Vortrag dieser rührenden Stelle verschmähen und uns statt Webers Composition ihre eigene geben werden; ein Tausch, wobey wir schwerlich gewinnen können. Bloß aus dieser Rücksicht waren uns die kleinen Varianten in dem Gesange der Mad. Seidler anstößig, welche sie übrigens mit so viel Zartheit und Geschmack vortrug, daß wir uns in Betreff ihrer keine tadelnde Bemerkung erlauben können. Den letzten Theil dieser Scene belebte Mad. Seidler durch gemäßigte Kraft und declamatorische Wärme. Im Spiel kann man sie der Sängerinn, welche diese Rolle hier gewöhnlich gibt, der Dlle. Schröder, nicht vorziehen, weil diese wirklich viel mehr Tiefe des Gemüths zu besitzen scheint, was gerade zu dieser sentimentalen Rolle erfordert wird. Aber Gemüthlichkeit läßt sich eben so wenig einlernen, als jugendliche Naivetät durch Studium zu erlangen ist. Deßhalb hatten auch jene Scenen, in welchen die ahnungsvolle Seele Agathens eine dunkle Zukunft zu scheuen scheint, weniger Wahrheit.

Hr. Jäger übertraf seinen Vorgänger im Spiel und Gesang. Unerachtet einige Töne, in denen der Tonsetzer die Tiefe des Tenors zu sehr berührt hat, durch eine höhere Lage verändert waren, stand doch immer der Gesang unversehrt in seinem melodischen Gange. Wir wünschen recht sehr, daß Hr. Jäger in seinem Studium der Charakteristik einer Rolle so fortfahre, nur bitten wir ihn, durch allzu vieles Accentuiren den Gang der Cantilene nicht zu viel aufzuhalten, und nicht dem Tempo Fesseln anzulegen, die einen widerlichen Eindruck machen. Das allzu viele Herausputzen schadet der Schönheit und Wahrheit eines echten dramatischen Werks, das doch wahrhaftig ein großes Recht der Unverletzbarkeit hat. Seelenvoll war übrigens der Gesang dieses schönen Tenors und stand mit seinem überdachten Spiele größten Theils in schöner Harmonie. Die große Scene im zweyten Act gab er vorzüglich schön, und hatte sich des Beyfalls eines außerordentlich zahlreichen Publicums in vollem Maße zu erfreuen.

Hr. Mosewius befriedigte weniger, denn wir haben uns angewöhnt, diese Rolle von Forti besser spielen zu sehen und besser singen zu hören. Sein Ton ist kraftlos in der Tiefe, und in der Höhe doch auch nicht stark. So z. B. war er in der großen Arie zum Schlusse es ersten Acts nicht im Stande, die Worte "Triumph, Triumph," mit der Kraft zu geben, welche ihnen gebührt. Hier ist ja eben Caspars Glanzpunct zu suchen; hier zeigt sich seine ruchlose Seele in ihrer ganzen grauenerregenden Gestalt, und dieser Moment ist von großer Bedeutung für den Totaleindruck des ersten Acts und die daraus erfolgende Spannung auf die zwey letzten. Wenn der hohnlachende Bösewicht uns nicht durch seinen kräftigen Willen imponirt, dann gilt Goethes Ausspruch, den er dem Mephistopheles über einen Teufel, der verzweifelt, in den Mund legt. – Das Trinklied sprach, weil es im Munde des Volks schon das Bürgerrecht erlangt hat, und Jeder mit seiner Melodie und Text vertraut ist, besser an; es gewann dem Sänger einigen Beyfall. Die Scene in der Wolfsschlucht wurde von Hrn. Mosevius zu viel in’s Komische gezogen, denn der Teufel ist nicht so spaßhaft, daß er immer lacht, wenn ihm Etwas gelingt.

Die Vorstellung war im Ganzen genommen gelungen zu nennen, und erregte auf’s Neue die Theilnahme des Publicums an Webers origineller Musik. |

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 14, Nr. 113 (19. September 1822), S. 452

Textkonstitution

  • „ch“unsichere Lesung

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