Aufführungsbesprechung und Rezension Wien, Theater an der Wien: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 5. Juli 1823

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Schauspiele.

(Theater an der Wien.) Carl Maria von Webers Pretiosa – wir wollen sagen, Preciosa, Schauspiel mit Gesang von ¦ Wolf, mit Musik von Carl Maria von Weber, wurden aber durch einen Irrtum in der Rangordnung zu diesem Mißgriff verführt – ist nun auch im Theater an der Wien aufgeführt worden. Beynahe ein Decennium ist verstossen, daß wir dieses Schau|spiel in Wien mit anderer Musik* unter nicht eben günstigen Auspicien aufführen sahen, obgleich ein Individuum von ausgezeichnetem Talent damals die Rolle der Preciosa gab. Es scheint, daß man damahls für dieses Genre eine Art von Idiosyncrasie hatte, und die freundlichr Hälfte oder Zugabe der Musik mit allzu streng fordernden Augen betrachtete.

Man muß gestehen, daß manche erste Aufführung durch die äußerst kritische Stimmung, mit welcher ein Theil des Publikums sie aufzunehmen pflegt, ein ewiges Räthsel bleiben würde, wenn man die wohlwollende Empfänglichkeit damit vergleicht, welche bey ähnlichen, anderen Vorstellungen obwaltet, und den fleißigen Anstrengungen des Darstellenden ein leichtes, angenehmes Spiel bereitet. Jedoch treten auch bisweilen ganz sonderbare, complicirte Ursachen ein, welche in der transparenten Theaterwelt nicht ganz zu übersehen, und vielleicht mit Recht als entscheidend für das Gelingen oder Mißlingen mancher Stücke zu betrachten sind. So hat sich’s immer gezeigt, daß, wenn das Publicum bey neuen Vorstellungen in pieno versammelt ist, und die gespannte Menge jeden Winkel des Hauses ausfüllt, eine weit scharfere Opposition vorhanden ist. Viertausend Augen sehen freylich mehr als tausend, denn abgesehen, daß die viertausend vielleicht von einigen kritischen Chorführern dirigirt werden, welche ganz natürlich auch da sind, wo die Menge der interessanten Neuigkeit wegen hingezogen wird; so muß man noch bedenken, daß bey nicht angefülltem Hause jeder empfindende Zuschauer – und die sind sehr zu unterscheiden von denen, die bloß des Richtens wegen da sind – sich weit weniger genirt, sein Wohlgefallen durch ausgiebigen Applaus an den Tag zu legen. Denn es ist doch ein fatales Ding, wenn man gern applaudieren möchte, und nicht ganz sicher weiß, ob nicht etwa ein tonangebender Deputirter der Gesellschaft des guten Geschmacks zugegen ist, der diese kühnen Äußerungen des Wohlwollens für ein abderitisches „Juche:“ halten könnte. Bey den olympischen Spielen waren Kampfrichter, welche den kämpfenden Parteyen näher saßen, und nach vollbrachter Production coram populo ihre Stimme gaben, sie mochte nun so jung oder so alt seyn, als sie wollte. Was war’s, wenn wir nun endlich auch einmahl klug würden, unsere kritischen Kampfrichter auf die vorderste Bank wiesen, und allda die Urtheile schöpften, wie manche Länder die Entscheidung ihrer Processe bey’m Schöppenstuhle? Könnte nicht dadurch eine Einheit des Geschmacks entstehen, wenn anders die erwähnte vorderste richtende Bank eine solche Einheit oder Einigkeit unter sich verspürte, als sie bis jetzt nicht selten uneinig ist. Wie klug, wie zweckmäßig verfahren darin die Pariser Directoren, welche durch ihre Directeurs d’applaudissement schnell wissen, woran sie mit einem neuen Stücke sind?

Also diesmahl war das Theater an der Wien nicht so voll, deßhalb nicht so kritisch, deßhalb empfänglicher für die Anstrengungen des mit vielem fleiß wirkenden Personals. Von nicht geringem Einflusse war aber auch das Wohlwollen, dessen sich Dlle. Schröder, die hoffnungsvolle Tochter unserer meisterhaften Künstlerinn, bey’m Publikum zu bemeistern gewußt hatte. so schwer die Aufgabe ist, durch Spiel, Gesang und Tanz vor einem Publicum zu wirken, welches in diesen Fächern überall das Beste zu sehen gewohnt ist – so glücklich wand sich die junge, holde Tochter Thaliens aus diesem Labyrinthe. Wer wird denn immer Vergleichungen anstellen, wie einige thaten, welche solche Rollen lieber mit ihren Lieblingen, vielleicht auch mit ihren Töchtern besetzen möchten, und der jungen Schauspielerinn vielleicht vorwerfen, daß sie nicht gerade wie eine Millière tanzte, wie eine Fodor sang, und wie eine Schröder spielte! Wenn man in diesen drey Zwei¦gen ein so reges Streben und ein nicht unbedeutendes Talent erblickt; wenn man ferner wahrnimmt, daß das mimische Talent sich ganz eminent für solche Jugend schon ausspricht, so wird jeder Billigdenkende darin Bürgschaft für zukünftige, große Leistungen ermpfangen. Dlle. Schröder spielte trefflich, sang recht artig, und zeigte eine zwar schwache, aber doch nicht ungebildete Stimme, deren freye Wirkung nur durch zarte Scheu zurück gehalten wurde. Schauspielerinnen büßen die Luft zu singen nicht selten mit dem größten Schmerz und den bittersten Thränen über ihren ersten und letzten Gesang. Aber Dlle. Schröder darf getröstet seyn, denn ihre gute Art sich zu benehmen, sich zu fassen, und der Bangigkeit zu gebiethen, hat schon bewiesen, daß sie in solchen Gelegenheiten nicht mehr unterliegen wird. Ihre Stimme hat bereits einige Festigkeit und verweigert den Klang selbst dann nicht, wenn der Ton nur mit halber Kraft angeschlagen wird. Ihr Spiel griff einige Mahle sehr energisch durch, und hatte immer den Reiz, welchen tief empfundene Darstellungen biethen.

Nächst ihr gebührt der Mad. Müller wohl der Preis, denn die Darstellung eines solchen grellen Charakters (sie gab die Zigeunermutter) innerhalb der Gränzen des nicht outrirten Spiels ist auch aller Ehren werth.

Hr. Rott* als Zigeunerhauptmann verdient bey der Schilderung seines Lebens – die beste Stelle seiner Rolle – ebenfalls unsere herzliche Anerkennung, denn er sprach sie mit viel Wärme und natürlichem Ausdruck, wie sich’s für diese Kraftfigur von schwarzer Farbe gebührte. Wohlthätig wirkte bey dem Spiele der genannten Personen – weil diese mehr in die musikalische Hälfte mit hineingezogen sind – die Musik Webers. Man findet schon den edlen Freyschützen als Embryo hier und da darin als einen Effigaal angesetzt, der später sich so gut ausgewachsen hat: denn manche Melodien können die Familienähnlichkeit nicht läugnen, und wenn sie auch wollten. Die Ouverture wird kräftig bey’m Allegro, weil die eingeschobenen Marschsätze früher allzu oft den Gang unterbrechen. Man kann sich die Freundlichkeit des anwesenden Publicums denken, wenn schon die Ouverture wiederholt werden mußte. Das Orchester wirkte recht brav und sogar die adoptiven Kinder desselben, die türkische Trommel und Triangel, fanden sich bey der Repetition hinein. Der Tonsatz bey’m Tanz hat viel Interessantes und wirkt sehr hübsch durch einige künstlich angelegte steife Formen der Ausweichung, welche Webers freyen, ja sogar humoristischen Geist verkünden. Der Nachtgesang der Zigeuner schallte kräftig durch sein öfter eintretendes Unisono in das unbefangene Ohr der Zuhörer, und die Chorsänger intonierten brav, trotz der liegenden Politur, bey welcher Gelegenheit doch manchem nicht ganz festen Sänger oder Sängerinn der Stimmstock umgeworfen wird. Man muß gestehen, daß das Personale mit Liebe bey dieser Aufführung zu Werke ging, und daß dieses Streben von dem ganzen Publicum mit froher Theilnahme anerkannt wurde.

Wenn die erste Vorstellung nicht stark besucht war, so liegt der Grund davon in der Novitäten des Tages, welche in drey anderen Theatern die Liebhaber anzogen. Natürlich wirkt auch der Umstand, daß das Stück nicht neu, und bey seiner ersten Vorstellung von mehreren Jahren* nicht eben ansprach, nicht ganz vortheilhaft auf das Plenum der Casse. Übrigens wird das Stück weiter fort gegeben.

Noch müssen wir nächträglich des Hrn. Klein, des Hrn. Mayerhofer und des Hrn. Fichtner* erwähnen, welche durch ihre Darstellung befriedigten.

F. A.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Aida Amiryan-Stein

Überlieferung

    Einzelstellenerläuterung

    • „… in Wien mit anderer Musik“Die erste Fassung von Wolffs Preciosa (UA Leipzig 7. Mai 1812) wurde am Theater an der Wien mit Schauspielmusik von Ignaz von Seyfried gegeben (Premiere 19. Oktober 1812).
    • „… Hr. Rott“Moritz Rott (eigentlich Moritz Rosenberg, 1796–1867), seit 1821 am Theater an der Wien, ab 1832 am Berliner Hoftheater.
    • „… ersten Vorstellung von mehreren Jahren“Die erste Fassung von Wolffs Preciosa (UA Leipzig 7. Mai 1812) wurde am Theater an der Wien mit Schauspielmusik von Ignaz von Seyfried gegeben (Premiere 19. Oktober 1812).
    • „… Mayerhofer und des Hrn. Fichtner“Carl (Albrecht) Fichtner (1805–1873), von 1822 bis 1824 am Theater an der Wien, dann bis zur Pensionierung 1865 am Burgtheater in Wien engagiert.

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