Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: „Die Piccolomini“ und „Wallensteins Tod“ von Friedrich Schiller, 9. und 10. Juli 1815

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Theater.

Prag. – Den 9. und 10. July: Die Grafen Piccolomini und Wallensteins Tod; das erste in 4, das zweyte in 5 Aufzügen. – Seit langer Zeit hat man nicht mit so gespannter Erwartung einer dramatischen Erscheinung entgegen gesehen, als diesem Werke des zu früh uns entrissenen Dichters, welches hier erst sechzehn Jahre nach seiner ersten Erscheinung auf die Bühne kam. Die Theaterliebhaber Prags fangen auch schon an zu ahnden, daß es in der Kunst etwas Höheres als das Genre der modernen Conversation geben könne; Ifflands Krämerkomödien sind verschollen und man fordert fantasiereichere Gebilde. Maria Stuart und die Jungfrau von Orleans sind mit Beyfall und Theilnahme aufgenommen worden, und es ist ein löblicher Beweis, daß Herr Director Liebich auf den Geist seines Publicums Rücksicht nimmt, indem er ihm auch den Wallenstein darbrachte. Nur wäre zu wünschen gewesen, daß der Erfolg dieser Unternehmung mehr entsprochen und die Wirkung des Ganzen nicht durch so manchen Fehlgriff gestört und vernichtet worden wäre. Denn es blieb leider nicht bey der Weglassung des Lagers, sondern auch die beyden Stücke waren so entsetzlich gestrichen und verstümmelt, daß es ohne Zweifel besser gethan gewesen wäre, sie nach dem Beyspiel des Wiener Theaters an einem Abende zu geben; zumahl da die Piccolomini ohnedieß wenig Interesse und einen Schluß haben, der für das Publicum durchaus als kein Ende gelten kann. Was die Aufführung betrifft, so war für das Äußere vieles gethan; alle Kleider beynahe neu, aber bunt und mit Flitterwerk überladen; die Decorationen ebenfalls großentheils dazu verfertigt, und zwar, wie man erzählt, genau nach den Gebäuden in Pilsen und Eger, worin die Handlung vorgeht. Doch müssen wir uns die Freyheit nehmen, einen Zweifel gegen diese Behauptung zu hegen, da die meisten derselben ganz den Stempel des gezierten, manierirten gothischen Geschmacks tragen, so ungefähr, wie man ihn in den meisten Parks zu finden pflegt; auch erschienen hier wieder große Übelstände, z. B. ein getäfeltes Gemach erscheint zuerst in Pilsen und dann empfängt Thekla in demselben zu Eger die Nachricht von dem Tode des Max Piccolomini. Der kurze Saal im 5. Acte von Wallensteins Tod, wo Buttler die beyden Hauptleute mit dem Tode des Herzogs beauftragt, möchte auch wohl besser nach Rom oder Neapel taugen, als nach Eger u. s. w.

Was die Besetzung der Rollen betrifft, so geschahen leider auch hier theils so entsetzliche Fehlgriffe, theils offenbarte es sich allzu deutlich, daß eine Bühne auch für die höhern Conversationsstücke vortrefflich besetzt seyn kann, ohne sich an ein Werk, wie Wallenstein, wagen zu dürfen.

Herr Liebich gab die Hauptperson, und bewies, daß auch er nicht frey sey von der Erbsünde aller Schauspieler, durchaus mit ¦ dem Umfang und den Grenzen ihrer Kunst unbekannt zu seyn. – Leider liegt diese Rolle außer den Gränzen der seinigen, und es werden ihr von Teutschlands jetzt lebenden Rosciussen wohl höchstens Mattausch und Eßlair gewachsen seyn. Herr Liebich, dessen großes Verdienst wir übrigens dankbar erkennen, wird sich hoffentlich durch diesen Ausspruch nicht gekränkt fühlen, da wir – und viele mit uns – dasselbe Urtheil über den großen Iffland aussprechen mußten, dessen Unsterblichkeit dadurch keinesweges befleckt worden ist. Es fehlte Herrn L. in den ruhigen Scenen an stiller Größe, und in jenen, wo Wallenstein schwärmt und prophetisirt, an Tiefe des Gefühls; dazu kam, daß er die Rolle sehr schlecht memorirt hatte. Die schöne Stelle:

Die Blume ist hinweg aus meinem LebenUnd kalt und farblos seh’ ich’s vor mir liegen.Denn er stand neben mir wie meine Jugend,Er machte mir das Wirkliche zum Traum,Um die gemeine Deutlichkeit der DingeDen goldnen Duft der Morgenröthe webend. –Im Feuer seines liebenden GefühlsErhoben sich, mir selber zum Erstaunen,Des Lebens flach alltägliche Gestalten.– Was ich mir ferner auch erstreben mag,Das Schöne ist doch weg, das kommt nicht wieder;Denn über alles Glück geht doch der Freund,Der’s fühlend erst erschafft, der’s theilend mehrt;

in welcher Schiller gleichsam durch das Erwachen seines rein menschlichen Gefühls den Zuschauer mit dem Helden vor seinem tiefen Fall versöhnen zu wollen scheint, machte gar keine Wirkung. (Daß die Vergleichung mit Heinrich IV. und Seni’s Warnung wegbleiben, schadet übrigens dem theatralischen Effect ebenfalls sehr.) Die Worte:

Gut’ Nacht, Gordon!Ich denke einen langen Schlaf zu thun!

betonte Herr L. so stark, als wußte er schon, daß er den ewigen Schlaf schlummern solle.

Gräfinn Terzky (Mad. Brunetti) steht an Wallensteins Seite als treue Gefährtinn; daher ist es billig, daß sie auch hier gleich nach ihm erwähnt werde. Die verdienstvolle Künstlerinn hatte diese Rolle mit Einsicht studiert; aber die Natur, die sie so reich mit Anmuth und Laune ausstattete, hat ihrem Wesen die Schärfe und Bitterkeit versagt, welche diese zweyte Lady Macbeth bezeichnen. Gräfinn Terzky, deren verderbliche Beredsamkeit ihn fast allein zum Hochverrathe treibt, erschien hier mehr als die Heroine der Zeit, welche aus Liebe für den Herzog und ihren Stamm die Mittel übersieht, durch die er zur Krone muß; und aus diesem Gesichtspunct angesehen, gab sie die letzten Scenen unübertrefflich.

Schon bey den Worten:

Und heute träumte mir, ich suchte dich | In deinem Zimmer auf. – Wie ich hinein trat,So war’s dein Zimmer nicht mehr; die KarthauseZu Gitschin war’s, die du gestiftet hast,Und wo du willst, daß man dich hin begrabe.– – Und ein ander Mahl,Als ich dir eilend nachging, liefst du vor mirDurch einen langen Gang, durch weite Säle,Es wollte gar nicht enden – Thüren schlugenZusammen, krachend – keuchend folgt’ ich, konnteDich nicht erreichen – plötzlich fühlt’ ich michVon hinten angefaßt mit kalter Hand,Du warst’s und küßtest mich, und über unsSchien eine rothe Decke sich zu legen.

legte sie das ganze Gewicht des nahenden Schicksals auf die Herzen der Zuschauer, und mit hinreißender Vollendung sprach sie die letzten Worte:

Sie denken würdiger von mir, als daß sie glaubten,Ich überlebte meines Hauses Fall.Wir fühlten uns nicht zu gering, die HandNach einer Königskrone zu erheben –Es sollte nicht seyn – doch wir denken königlichUnd achten einen freyen, muthgen TodAnständiger als ein entehrtes Leben.

Herr Reinecke (Questenberg), Herr Seewald (Octavio Piccolomini) und Herr Wilhelmi (Buttler) hätten sehr wohl gethan, einen Wechseltausch ihrer Rollen vorzunehmen. Gewiß wäre der letztere am ersten im Stande gewesen, Octavios Hinterlist darzustellen, Herr Seewald die Gravität des kaiserlichen geheimen Raths, und Herr Reinecke die brutale Bosheit des Obersten Buttler. Bey der jetzigen Besetzung war Octavio ein guter, rechtlicher, aber schwacher Mann, dem man es durchaus nicht glauben konnte, daß er im Stande sey, den Herzog zu täuschen; und auch die beyden andern machten eine ganz von der beabsichtigten entgegengesetzte Wirkung. Bey dieser Gelegenheit können wir nicht umhin, die Herren W. und R. zu ersuchen, sich mit dem Vortrage der Verse doch einigermaßen vertraut zu machen; denn es ist gewiß, daß ihre beyderseitige Manier gerade die beyden Pole einer falschen Declamation umfaßt, und während dieser mit einer Kunst ohne Gleichen jeden Rhythmus vernichtet, tactirt jener die Verse auf die unbarmherzigste Weise herab, und wirft auf jeden fünften Fuß ein Centnergewicht! In Wallensteins Tod spielte Herr Reinecke den Gordon sehr brav.

Wenn wir bemerken, daß Herr Polawsky den Illo über allen Begriff elend darstellte, so müssen wir freylich auch gestehen, daß dieser Charakter ganz außer seinem Rollenkreise liegt. Herr Löwe gab im ersten Stücke den Isolani ungefähr so wie Petern in Menschenhaß und Reue, und hatte sich nicht einmahl die Mühe genommen, sich etwas alt zu mahlen. In Wallensteins Tod gab er den schwedischen Hauptmann etwas besser.

Einen sonderbaren Contrast gewährte Max Piccolomini (Herr Bayer) und Thecla (Dlle. Böhler). Jener stellte den jugendlichen Helden mit der größten Würde und dem rein menschlichsten Gefühl dar, und die Worte:

Ich hab’ den Frieden nie geseh’n? – Ich hab’ ihnGesehen, alter Vater; eben komme ich –Jetzt eben davon her – es führte michDer Weg durch Länder, wo der Krieg nicht hinGekommen. – O! das Leben, Vater,Hat Reitze, die wir nie gekannt.– – O schöner Tag! wenn endlich der SoldatIn’s Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit,Zum frohen Zug die Fahnen sich entfalten,Un[d] heimwärts schlägt der sanfte Friedensmarsch.Wenn alle Hüte sich und Helme schmückenMit grünen May’n, dem letzten Raub der Felder!Der Städte Thore gehen auf von selbst,Nicht die Petarde braucht sie mehr zu sprengen, ¦ Von Menschen sind die Wälle rings erfüllt,Von friedlichen, die in die Lüfte grüßen, –

und jene

– – Ein Fremdling tritt er in sein Eigenthum,Das längst verlaßne, ein, mit breiten ÄstenDeckt ihn der Baum bey seiner Wiederkehr,Der sich zur Gerte bog, als er gegangen,Und schamhaft tritt als Jungfrau ihm entgegen,Die er einst an der Amme Brust verließ.O glücklich, wem dann auch sich eine Thür,Sich zarte Arme sanft umschlingend öffnen. –

rissen jedes fühlende Herz in der Begeisterung des Künstlers mit fort. Eben so vortrefflich zeichnete er die warme, jugendliche Anhänglichkeit an den Herzog, die schlichte Geradheit, mit der er sich weigert, in die Plane seines Vaters einzugehen, und die schwärmerische Liebe für Thekla. Bis zum Gelage in Pilsen ein glühender Jüngling, wird er durch die Vertraulichkeit seines Vaters schnell ein Mann, und sagt mit unerschütterlicher Festigkeit zu Wallenstein:

               – Du machst mich heute mündig.Denn bis auf diesen Tag war mir’s erspart,Den Weg mir selbst zu finden und die Richtung.Dir folgt’ ich unbedingt. Auf dich nur braucht’ ichZu seh’n, und war des rechten Pfads gewiß.Zum ersten Mahle heut’ verweisest duMich an mich selbst und zwingst mich, eine WahlZu treffen zwischen dir und meinem Herzen.

Schwer leidet er durch das furchtbare Geschick, das ihn von allem trennt, was er liebt; er legt endlich unentschlossen sein Wohl in Theklas reine Hände, und als ihr Ausspruch geschehen, eilt er verzweifelnd dem Tode entgegen:

               – Es ist nicht wohl gethan,Zum Führer den Verzweifelnden zu wählen.Ihr reißt mich weg von meinem Glück, wohlan!Der Rachegöttinn weih’ ich eure Seelen!Ihr habt gewählt zum eigenen Verderben.Wer mit mir geht, der sey bereit zu sterben!

So glänzend Herr Bayer den Max darstellte, so schülerhaft erschien Thekla an seiner Seite. Dieß feste, auf sich selbst beruhende Wesen, das der Dichter nur gar zu männlich zeichnete, ward von Dlle. Böhler als ein linkisches Landfräulein dargestellt, das zum ersten Mahle unter Menschen erscheint, verlegen den Kopf hin und her wiegt, und nicht weiß, wo es sich und seine Hände lassen soll. Die freye Liebe Thekla’s, welche sich in stolzem Bewußtseyn eigener Kraft über alle Rücksicht und Meinung erhebt, wurde durch die einmahl angenommene Haltung in der That zu dem, wie es die Gräfinn Terzky titulirt: – Wegwerfen, und die inhaltschweren Worte, als diese sie aus den Armen des Geliebten losmacht:

               O nicht doch!Es ist ja kaum ein Augenblick!

bewegten das Publicum zum Lachen. Ihr Benehmen bey der Entdeckung ihres Geschickes zeigte abermahls wieder mehr Verlegenheit als den Abscheu, den Theklas reines Herz über den Verrath fühlt; am besten gelang ihr noch die Scene mit dem schwedischen Officier und dem Fräulein Neubrunn; doch ist sie dem Vortrag des letzten Monologs keineswegs gewachsen. Auch wäre sehr zu wünschen, daß die Direction die Rolle der Neubrunn in Zukunft nicht durch eine Statistinn besetzte, da doch die Bühne noch mehrere Damen besitzt, deren Rang gerade nicht beleidigt würde, wenn sie eine Nebenrolle in einem Schillerschen Werk übernähmen.

Nach dieser Skizze läßt es sich leicht berechnen, welchen Effect die Darstellung des Wallenstein hervorbringen mußte, und wie sie ganz dazu geeignet war, den dramatischen Obscuranten die Waffen in die Hand zu geben, die gegen alles Höhere eifern, und gar sehr erzürnt werden, wenn auf der Bühne Verse ertönen!

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 7, Nr. 91 (1. August 1815), S. 381f.

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