Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 1822 (Teil 4 von 6)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Auch eine Stimme über die Aufführung des Freischützen auf dem Großherz. Hoftheater zu Karlsruhe.

Fortsetzung.

Die geschehenen Erscheinungen waren das Einzige, was, wenn er es that, ihm einen quälenden Vorwurf in die Seele legen konnte. Uebrigens hatte Max schon lange immer im Schusse gefehlt, er, der doch sonst ein trefflicher Schütze war. Dieses Fehlen wird als die erste Wirkung höllische Mächte gesezt. Offenbar ist dieses ein zu mächtiges Eingreifen des bösen Prinzips in das Leben der Menschen ohne eigene Schuld. Der Mensch muß einen Schlupfwinkel in seinem Herzen für das Böse offen gelassen haben, wenn es sich darin einnisten soll.

Der Ausdruck: „ihm sey ein stärkerer Waidmann gesezt und dieser Waidmann sey kein geliebtes Mädchen, das er lösen müsse,“ will doch wohl nichts anders sagen, als was später der böhmische Graf Ottokar zum Kuno sagt: "Wer weiß, ob wir beide am Hochzeittage einen rechtschaffenen Schuß gethan hätten!" Liebe machte des so trefflichen Schützen Hand unsicher. Das schiene jene bösgeistigen Einwirkungen, wenn wir es nicht besser wüßten, wieder aufzuheben.

Kaspar ist was man sonst einen eingeschleichten Teufel nennt und der gar nicht auf das Theater gehört. Was ihn bei seinem Wunsche, daß die siebente, verhängnißvolle Kugel Agathen treffen möchte, noch einigermaßen entschuldigt und ihn wieder zu einer moralischen Person macht, ist, daß er es aus Eifersucht wünscht. Diese läßt ihm aber nicht natürlich genug und ist auch nicht die eigentlich Ursache seiner Bosheit. Der Grund seines Böseseyns liegt schon früher in ihm. Dieser Charakter ist daher am unmotivirtesten. Bei so viel Gräßlichem läßt sich gar keine Moralität auf ihn ¦ anwenden. Er liegt eigentlich außer allem sittlichen Gebiete und er muß von der Bühne verstoßen seyn!

Wollte der Dichter den Teufel und die Erscheinungen seiner Macht aufführen, so hätte er auch die Miteinwirkung himmlischer Geister oder der Engel mit ins Spiel ziehen sollen, die nothwendig zu der höheren Romantik gehören und besonders in gegenwärtigem Stücke von der herrlichsten Wirkung hätten seyn müssen. Der Eremit bleibt allzusehr in der Ferne, er macht nur gleichsam eine rhetorische Figur, statt sich in wunderthätigen Handlungen zu zeigen, sogar die weißen Rosen, die seine Hand Agathen dargereicht hatten, verschlangen sich in dem wichtigen Augenblicke, wo das Mädchen statt des Brautkranzes den Todtenkranz fand, nicht von selber durch einen wunderbaren Zauber in eine Krone für ihr Haupt, und was Annchen davon erzählt, die so leicht die Blumen zusammenflicht, ist zu nüchternverständig, als daß es uns recht rühren sollte. Auch was der Eremit bei der Darreichung der weißen Rosen Agathen andeutete bleibt nur in Beziehung auf Agathen wichtig und Max erfährt nicht das Geringste davon. Es ist kein Kampf beider entgegengesezter Mächte sichtbar. Und so läßt das Drama am Ende etwas Trauriges und zugleich Mistönendes im Gemüthe zurück, und daß der Eremit noch im lezten Augenblicke beiden Liebenden die Bedingung macht, noch ein Jahr ehelos zu bleiben, ist nicht die schicklichste Buße für zwei Liebende und macht nicht den besten Eindruck; den[n] es bleibt etwas übrig, dessen Ausgang wir nicht errathen können. Es hätte wenigstens, wie es manchmal von Plautus geschehen, ein Epilog nachfolgen müssen, worin die völlige Entknotung oder Auflösung, wozu der lezte Akt nicht ausgereicht hatte, erzählt werden müssen. Und es scheint das sonst so bedeutungsvolle Brautlied hierin allein keine Bedeutung zu haben, wenn die Brautführerinnen singe[n]:

"Sie hat gesponnen sieben JahrDen goldnen Flachs am Rocken &c.Und als der schmucke Freier kam,War’n sieben Jahr verronnen &c."

Zu den sieben ewiglangen Jahren soll nun noch ein achtes Prüfungsjahr, eine neue Ewigkeit, hinzukommen. Die lezte und höchste Sühne soll auch in den lezten Augenblick fallen. Nichts soll für die Gottheit und Nichts für den Menschen übrig bleiben als die lange dauernde Rührung derer, welche das große Schauspiel vor ihren Augen vorgehen sahen.

Bei der Zurichtung zum Zauber im Dunkel der Wolfsschlucht lassen einzelne Geisterstimmen, weitergebend den Ton, einen Todtengesang hören:

"Milch des Mondes fiel auf’s Kraut.Spinnweb ist mit Blut bethaut.Eh noch wieder Abend graut,Ist sie todt die zarte Braut.Eh’ noch wieder sinkt die Nacht,Ist das Opfer dargebracht!"

Nach diesem Gesange, der so entschieden den Tod des Mädchens verkündigt, bleibt es unbegreiflich, wie das Mädchen am Ende noch leben bleiben kann.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 4 von 6). Die vorigen Teile erschienen in den Beilagen 11, 12 und 13, die beiden weiteren Teile folgen in den Beilagen 21 und 23.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 2, Nr. 16 (11. September 1822)

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.