Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 1822 (Teil 1 von 6)

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Auch eine Stimme über die Aufführung des Freischützen auf dem Großherz. Hoftheater zu Karlsruhe.

Unstreitig gehört diese Oper, sowohl was die Dichtung als die Musik betrifft, zu den erfreulichsten Kunsterscheinungen unserer Zeit. Möchte nur das Reine ganz ohne Flecken erscheinen und sich immer in seiner wahren Verklärung zeigen. Der Stoff ist romantisch und auch romantisch behandelt worden, obgleich mit dem Ausgange der Geschichte, welche sich nicht tragisch genug endigt, und das Dunkelromantische auf einmal in lichte Tageswelt, wie zu verständiger Anschauung, aufgeklärt wird, wir nicht ganz zufrieden seyn können und außerdem noch die Behauptung aufstellen dürfen, daß aller wahrhaft romantische Stoff eigentlich nicht dramatischer Bearbeitung unterworfen werden soll. Wo das Romantische im Drama gebraucht wird, muß es nicht das Hauptingredienz seyn, sondern nur zu einem Hintergrunde dienen – wie z. B. Shakspeare’s Geist im Hamlet, so mächtig er in die Verwickelung des Drama selbst eingreift, doch immer nur wie im dunkeln Hinterg[r]unde ein Gespenst schreitet und Hamlet nach sich winkt, der es fast allein auch nur sieht! Wolle der Dichter nur nicht, was die freie Fantasie entwirft, in die reine Sichtbarkeit eines sonnenbeleuchteten Gegenstandes herunter ziehen oder Schattengestalten zu verkörpern streben! Sollte diese Geschichte auf dem Theater vorgehen, so dürfte sie durchaus nicht Hauptgeschichte bleiben, und das dunkle Walten eines bösen Prinzips gegen das gute wäre um so schauerlicher in der gestaltenverschlingenden Ferne vorgegangen. Der Ausgang hätte durchaus tragisch seyn und das Mädchen, als die Geliebte des Freischützen, dem Untergange geweiht seyn müssen; wie es in der Gespenstergeschichte, woraus der Stoff genommen, wirklich geschehen. Weil nun der Dichter einen Opernstoff bearbeitete, so mußte er sich scheuen, ein tragisches Ende herbeizuführen. Es mußte Agathen am Leben erhalten – wozu er selbst anfangs, nach einem würdigeren Sinne, den Plan nicht angelegt zu haben scheint. Der Stoff war also eigentlich für eine Romanze gemacht, und immer bleibt es mißlich, Romanzen statt der Novellen dramatisch zu gestalten, was Shakspeare selber, der so große Verehrer romantischen Geistes, nie gewagt hat. Sehen wir aber nun von dem Widerstrebenden des Stoffes ab, so liegt andrerseits wieder in der Behandluing so viel Aechtdramatisches, daß wir dem Dichter unsere Bewunderung nicht versagen können, und weil das Ganze durch eine so treffliche, karaktervolle und mächtigergreifende Musik gehoben und getragen wird; so vergessen wir gerne das ¦ Verfehlte und halten uns warm und treu an das Gelungene oder uns übriggebliebene Herrliche, das uns so rührend aus dieser Oper anspricht.

Der Teufel als Karaktermaske mag nicht zu verachten seyn. Nur dürfte es schwer werden für unsere Zeit, wo das Phantom aus der Mode gekommen und kaum noch als Kinderpopanz aufgestellt werden kann, noch kenntlich und tragischwirksam zu machen. Die Pferdefüße und der Schwanz würden ihm wohl schwerlich gelassen werden dürfen, und was sich allenfalls der Maler noch erlaubt, dürfte schwerlich auf der Bühne zu versinnlichen seyn, weil hier die Versinnlichung die lebendige Gestalt selber wird. Der Teufel ist aus der Welt verschwunden, aber das Böse ist geblieben. Sein bezeichnendes muß daher meist im Gesichtsausdrucke liegen und, neben seinem umsichtigen Auflauern, in seiner raschen Geberdung, da er keine Gelegenheit versäumt, sich ein der Unterwelt geweihtes Opfer zu erhaschen. Das jezt wirksamste Karakterzeichen wäre außer der ungewöhnlich hohen kothurntragenden Gestalt und einer passenden weitfaltigen Manteldrappirung eine Larve mit einer großen Nase und eulenartigen Augen, oder auch nur als wächserner Ansatz die große Nase allein. Hier tritt der Teufel nicht nur in Jägerkleidung – die ihm für den Zweck des Gedichtes wohl ansteht – sondern auch in rabenschwarzem Gesicht auf. Da ist die Erkennung schwer selbst bei den höllischen Feuerfunken, die um ihn herumflieben; wir erhalten einen Mohren in Jagdkleidung und eigentlich nur den Schauspieler, der die Rolle des Teufels übernommen hat. Soll der Jägerhabit bleiben, so muß doch der Kothurn und die langnasige Larve angewendet werden, um den schwarzen Höllengeist, dessen Schwärze mehr in seinen bösen Gesinnungen liegt, kenntlich zu machen. Sicher ist es auch, daß der falsche Dämon sich gleich im ersten Augenblicke, wo das Vogelschießen beginnt, zeigen sollte, was noch jezt, unbeschadet des Gedichtes, gleich bei wiederholter Vorstellung eingeführt werden könnte, indem er sich nur einmal auflauernd zeigen dürfte – ist er doch bei jedem größern und kleinern Volksfeste gegenwärtig – weil wir sonst in der ersten Szene nicht erfahren, daß eine romantische Geschichte hier vorgehe, worüber die Zuschauer doch keinen Augenblick in Zweifel gelassen seyn sollten. Was Idylle werden zu wollen scheint, geht auf einmal in ein romantisches Drama über und thut der Empfindung wehe.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Karlsruhe, Großherzogliches Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 1 von 6). Die folgenden Teile folgen in den Beilagen 12, 13, 16, 21 und 23.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 2, Nr. 11 (7. August 1822)

Textkonstitution

  • „herumflieben“sic!

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