Rätsel um Caroline von Weber und Ludwig Börne
2012 wies uns Christoph Schwandt auf einen Brief Ludwig Börnes hin, der bezüglich Caroline von Weber, geb. Brandt, Rätsel aufgab. Börne, der sich im Sommer 1825 zeitgleich mit Carl Maria von Weber im Kurbad Ems aufhielt, schrieb an seine langjährige Freundin Jeanette Wohl am 16. Juli 1825: „Weber ist jetzt hier und logiert in den 4 Türmen. […] Ich bin begierig, ob er seine Frau bei sich hat, meine ehemalige Schwägerin (die Brand).“ Webers Frau war allerdings nicht nach Ems mitgereist, so dass ein persönliches Treffen nicht zustande kam. Für die erwähnte familiäre Verbindung ließen sich weder durch die Börne- noch durch die Weber-Forschung Nachweise erbringen1 – bis jetzt. Nun werfen zwei Briefe Caroline von Webers aus dem Herbst 1843 neues Licht auf die Angelegenheit. Es handelt sich um Schreiben aus jenem Konvolut von Briefen der Komponistenwitwe an das befreundete Berliner Ehepaar Friedrich Wilhelm und Ida Jähns, dessen Originaltexte verschollen sind; erhalten blieb lediglich eine maschinenschriftliche Kopie (D-Dl, Mscr. Dresd. App. 2097). Caroline von Weber datierte die meisten ihrer (bezüglich Orthographie und Interpunktion recht eigenwilligen) Schreiben nicht, über Empfangsvermerke lassen sie sich allerdings chronologisch einordnen. So kam der Brief Nr. 84 des Konvoluts am 30. September 1843 in Berlin an; darin liest man (in der Abschrift auf S. 293): „Am Montag bin ich wieder ins Winterquartier gerückt und habe seit dem, jeden Tag ein Haus voll Besuch gehabt. Vor allen freute mich die Ankunft eines alten Frankfurter Freunden, welcher mir treue Anhänglichkeit durch 30 Jahre bewahrt hat. Es ist der Bruder des bekanntes Dr. Bören [recte: Börne], und Er ist es, welcher Euch diese Zeilen, welche in aller Eile geschrieben, nur ein Lebens, ein Gesundheitszeichen sein sollen mitnimmt.“
Im nachfolgenden Brief Nr. 85 (mit Empfangsvermerk vom 20. Oktober 1843) heißt es, auf dieselbe Person Bezug nehmend (in der Abschrift auf S. 298f.): „Dass unser Frankfurter freund Euch meinen Brief nicht selbst gebracht, mag wohl daher kommen dass er, wie er mir schreibt in Berlin unwohl wurde und nicht ausgehen konnte sonst hette er sich gewiss die Freude gemacht Euch kennen zu lernen. Dieser mein Jugendfreund ist nun auch schuld daran dass Ihr mein Bild noch nicht habt, denn sein altes Herz verlangte so sehr nach dem Conterfey seiner ersten Liebe dass Alex ihm eine Copie im Kleinen versprechen musste. Diese Copie ist nun zwar angefangen aber da Alex wirklich jetzt recht fleissig ist, und den ganzen Tag im Atelier arbeitet kann noch eine Zeit darüber hingehen bis er mein liebes Gesicht auf die Leinwand gezaubert hat und eine noch viel längere bis es ihm vergönnt ist endlich zu Euch zu eilen […].“
Das von Börne im Brief von 1825 erwähnte Verwandtschaftsverhältnis ist also nicht als ein faktisches, sondern lediglich als ein (zumindest von Seiten seines Bruders) erhofftes anzusehen: Einer seiner Brüder hatte eine Liaison mit der jungen Caroline; sie war, wie sie selbst schreibt, seine „erste Liebe“. Der angegebene Zeitpunkt der Freundschaft (vor etwa 30 Jahren) verweist auf Carolines Jahre in Frankfurt am Main (1809–1812), als sie am dortigen Stadttheater als Soubrette engagiert war.
Ludwig Börne (1786–1837, eigentlich Baruch, Namenswechsel 1818) hatte drei Brüder, der jüngste, Salomon Baruch (1792–1806), kommt allerdings aufgrund seines frühen Todes nicht als Jugendfreund Caroline von Webers in Betracht. Es bleiben Simon Jakob Baruch (1782–1856, ab 1848 Börne) und Philipp Jakob Baruch (1789–1852, ebenfalls ab 1848 Börne), wobei die Erwähnung der „ersten Liebe“ für den jüngeren der beiden spricht, zumal Simon seit 1803 mit Zemire, geb. Wertheimer, verheiratet war (geschieden 1819, danach 1827 zweite Eheschließung mit Sophie Ullmann), während Philipp erst 1829 Therese Spiro (1809–1847) heiratete.
Bei dem von Caroline von Weber erwähnten Bildnis handelt es sich um ihr Ölporträt, ausgeführt von ihrem Sohn Alexander von Weber, dessen erste, im April 1843 fertiggestellte Fassung2 im Sommer 1843 auf der Dresdner Akademieausstellung zu sehen war3 und heute als Eigentum des Dresdener Stadtmuseums (Inv.-Nr. 1986/k 257) im Weber-Museum Dresden-Hosterwitz ausgestellt wird. Eine geplante Replik des Bildes für die Familie Jähns kam wohl aufgrund des frühen Todes des Weber-Sohns nicht mehr zustande – Friedrich Wilhelm Jähns erhielt stattdessen eine als Entwurf zum Originalgemälde entstandene Ölskizze (heute in D-B, Weberiana Cl. VIII, H. 1, Anh. 3). Ob die Replik für den Börne-Bruder fertiggestellt und dem Besteller zugesandt wurde, ist unbekannt.
Der beiläufige Hinweis Ludwig Börnes auf seine Schwägerin (in spe) darf also – unter Vorbehalt – als geklärt gelten. Rätselhaft bleibt dagegen weiterhin der Tagebucheintrag Carl Maria von Webers vom 3. März 1811: „neuen Beweis erhalten daß die Weiber nichts taugen, alle – Geschichte zwischen Lina Brandt. und Bothe.“ Besagter Bothe bleibt vorerst ein Unbekannter; eine Verwechslung des Namens Baruch mit Bothe ist wohl auszuschließen. Offenbar hatte Caroline in Frankfurt mehrere Verehrer, immerhin erwähnt Weber in zwei Briefen an seine Braut und spätere Frau (23. Juli 1814, 21. August 1815) einen ehemaligen engen Freund der Aktrice (Vorname: Moritz). Doch nicht jedes persönliche Geheimnis muss enthüllt werden; gönnen wir Caroline von Weber dieses Stück Privatsphäre!
Einzelnachweise
- 1Vgl. u. a. Inge Rippmann, Börne-Index, Historisch-biographische Materialien zu Ludwig Börnes Schriften und Briefen. Ein Beitrag zu Geschichte und Literatur des Vormärz, Berlin 1985, 2. Halbbd., S. 836 (zu 4/754) sowie Frank Ziegler, Vom Theaterkind zur „Hochwohlangeheiratheten“. Neue Funde zu Caroline Brandt und ihrer Familie, in: Weberiana, Heft 22 (2012), S. 97.
- 2Zur Datierung vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde. Als Manuskript gedruckt, Dresden 1906, S. 209f. Einen ersten Hinweis auf das Porträt enthält der Brief Caroline von Webers an F. W. und Ida Jähns vom Oktober 1842 (Empfangsvermerk: 31. Oktober 1842), in dem es heißt: „Alex malt jetzt mein Portrait, und ich glaube es wird recht gut“ (D-Dl, Mscr. Dresd. App. 2097, 78).
- 3Vgl. Verzeichniß der vom 16. Juli 1843 an in der K. Sächs. Akademie der Künste zu Dresden öffentlich ausgestellten Werke der bildenden Kunst, Dresden: C. H. Gärtner, 1843, S. 21, Nr. 239.
Apparat
Überlieferung
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