Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 2. September 1817: Macbeth von Shakespeare (Teil 1 von 2)

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Am 2. September. Im K. Hoftheater. Macbeth, nach Shakespeare von Schiller. Dritte Gastrolle von Mad. Schröder.

Da wo seltne Kunst, ausgezeichnetes Talent in Gastrollen auf der Bühne erscheint, kann ein doppeltes eintreten. Entweder das fremde Kunsttalent, welches in einen hier schon bestehenden Theaterverein eintritt, spannt und erhebt alle Mitspielenden, wirkt als Reizmittel. Dann gewährt eine Erscheinung der Art einen vollendeten Kunstgenuß. Daß war der Fall in Rodogüne. Oder die Mitspielenden dienen nur als Einlassung, Unterlagen der fremden Erscheinung und wenden, durch dieß Gefühl selbst entmuthigt, gleich von vorn herein keinen Fleiß auf die Darstellung. Das giebt immer nur eine sehr einseitige Befriedigung. Mit wenigen Ausnahmen war dieß an diesen Abend bei Macbeth der Fall. Herr Hellwig hatte als Held des Stücks einzelne sehr gelungene Momente. Es ist eine seltene Mischung in diesem Charakter, den niemand genialer entwickelte, als Herder in der Adrastea. Das Weiche gelang hier überall weniger, als das Schroffe, Gewaltige. In der famösen Dolchvision war das erste Entsetzen meisterhaft. Dann aber war zu viel Beweglichkeit, zu unruhiges, zu oft von vorn wiederholtes Haschen nach dem Hirngespenst. Die Vergleichung mit dem wirklichen Dolch mißlang. Auch streift der verscheuchende Gest mit schnellem Auf- und Niederfahren der Hand leicht ans Komische. Aber vortrefflich gab der Künstler die mehrmalige Schauder der Menschlichkeit, meisterhaft in jeder Rücksicht die Steigerungen und Rezidive des Entsetzens vor Banquos Geist beim Gastmahl. Die Theatersprache der Britten nennt sehr bedeutungsvoll das vollkommne Memorirt-Haben überhaupt vollkommen seyn (to be perfect). Und wie viel Zerspaltendes, was nur durch diese Vollkommenheit überwunden werden mag, liegt in der Sorge des Regisseurs, der ein All-Ueberal seyn soll, wenn er zugleich die Hauptrolle spielt. Das bringen nur Wenige in den Anschlag.

Mad. Schröder als Lady Macbeth blieb hinter keiner, auch der gespanntesten Erwartung zurück. Sie ist, die Schlußscene im 5ten Akte ausgenommen, überall eine hoffende, also ihrer Sache stets sichre, durch Herrschgier entweibte Verbrecherin. Dieß giebt ihr eine furchtbare Ruhe, eine schauderhafte Zuversicht des Gelingens, und so spricht sie wohl Dolche, aber sie schwingt sie nicht. Das ist der eigenthümliche Unterschied ihres Spiels in der Lady und in der Cleopatra. Beiden gilt jeder Weg zum Ziel, wenn er nur der kürzeste ist. Doch Cleopatra geht nur aus Rachsucht über Leichen und wirkt viel leidenschaftlicher nach außen zu. Lady Macbeth hingegen imponirt durch die gehaltenste Besonnenheit und durch das, was einst die Schule der Stoiker Ataraxie (imperturbabilité) nannte. Daher die oft wiederkehrende, aber stets anders modifizirte Geberdung des stolzen Herabblickens, des bis zurt Verächt ¦ lichkeit gesteigerten Hohns (doch mehr im Ton, als im Gest) gegen den Schwächling, ihren Mann, den so oft Menschlichkeitsschauer durchbeben, daher dieser zermalmende Ausdruck des Uebergewichts, der nur dadurch entsteht, wenn man sich zu wundern scheint, daß nicht jedermann den blutigsten Frevel für ein Kinderspiel halte. Nun aber das Geheimnißvollste in diesem Spiel. Sie lügt, oder hat wirklich Liebe zu diesen Mann, sie ist seine Ehefrau. Daher das von unsrer Künstlerin trefflich gesprochene: von nun an weiß ich auch, wie Macbeth liebt. Darum kann sie nun wieder in demselben Augenblick, wo sie züngelt und sticht, wie eine Natter, jenes Horazische Anschmiegen an der Brust des Geliebten (circum praecordia ludit), ohne Widerlichkeit für die Zuschauer, anwenden, kann in anlehnender Traulichkeit bis ans Liebkosende streifen und ihn so um so mehr ihr Gift einflößen, einhauchen. Ein sehr kunstreich-verschmolzenes und doch furchtbar wahres Spiel.

Doch darf, was bisher bemerkt wurde, nicht so verstanden werden, als habe es dieser Lady an Feuer und Lebendigkeit im Vortrag und Spiel da gefehlt, wo sie den Menschlich-Fühlenden anstachelt und zum Königsmord treibt. Sie thuts dann mit doppelter Wirkung. Die Rede von ihr, die Macbeth zu der berühmten: gebär mir keine Tochter! veranlaßt, mag zum Beweis dienen, so wie alles vorhergehende. Die, welche noch Erinnerungen in sich vom Spiele der unvergeßlichen Bethmann in dieser Rolle aufbewahren, fanden, daß es unsrer Künstlerin an jenen Schauern der Menschlichkeit fehle, die von der Bethmann in einigen Vorbereitungsscenen mit großem Effect angedeutet wurden. Die Wirkung ist nicht abzuläugnen. Allein Shakspeare dachte sich seine Lady gewiß nicht mit solchen Anwandlungen. Mad. Schröder spielte im Geiste des Dichters, wenn sie in dem Augenblick, wo Macbeth in der Kammer den Königsmord verübt, die Versicherung, sie hätte selbst die That gethan, hätte nicht der alte König, wie er so schlafend lag, sie an ihren Vater erinnert, ohne allen pathetischen Accent vorübergehen ließ. Der gräßlichste Moment, der auch von Opie zu bildlichen Darstellungen in der Shakspear’s Gallerie gewählt wurde, wo sie sich die zwei Dolche geben läßt, wurde mit Schauder-erweckender Tiefe gegeben. Man kann ihr wahrhaft großes Spiel doch auch bis in die kleinsten Motiven verfolgen und es wird überall vollendet erscheinen. So maß sie höchstbedeutend nach einem Aufhauch – so bezeichnete einst Iffland die kürzeste Pause – als sie gleich Anfangs die Worte gesprochen hatte: O nimmer liebt die Sonne diesen Morgen! erst den ganzen Macbeth von den Zehen bis zum Scheitel, dann sein Gesicht, bevor sie es mit dem Buche verglich, worin Gefährliches geschrieben steht, vermied aber dabei, wie überall, die falsche, kleinliche Malerei in der Geberde, den Nothbehelf der Mittelmäßigkeit, wie schon Engel gezeigt hat.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: “Macbeth” nach Shakespeare von Schiller am 2. September 1817

Creation

vor 12. September 1817

Responsibilities

Übertragung
Goldlücke, Annelie

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 219 (12. September 1817), f 2v

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