Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Nachtlager in Granada” von Friedrich Kind am 22. Januar 1818 (Teil 1 von 2)

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Am 22. Januar. Zum erstenmale: Das Nachtlager in Granada, Schauspiel in 2 Akten, von Friedrich Kind.

In dem Ehrenspiegel des habsburgischen Fürstenstammes glänzt unter andern ein Abenteuer, welches Carls V. trefflicher Neffe, der nachmalige Kaiser Maximilian II., als Prinzregent in Spanien, während Carln der schmalkadische Krieg in Deutschland zurückhielt, auf einer Jagdpartie in Granada bestand. Einen angeschossenen Eber zu hitzig verfolgend, verirrt er sich zu einer einsamen Schäferhütte, gewinnt die mit einem rohen jungen Hirten dort verheirathete Antonie durch ein Lämmchen, das er aus den Klauen eines Adlers befreit hatte, wird aber von dem Vater der Hirtin und seinen zwei Gehülfen in der Nacht meuchlings überfallen, und rettet sich nur durch die Warnung der Hirtin und die muthigste Unerschrockenheit. Dieses Helden-Abenteuer steht in vielen Chroniken und Geschichtsbüchern. Zuletzt hat es noch der Ritter von Kalchberg (sämmtliche Werke Th. IV. S. 192 ff.) ausführlich erzählt. Aehnliche Räuberscenen und Rettungen durch einen weiblichen Schutzgeist sind schon häufig für die Bühne bearbeitet worden. Es gelang unserm geistreichen Dichter, Fr. Kind, einem so verbrauchten Stoff neue Reize zu verleihen, die Anmuth einer Schäferidylle mit den grausenden Schauern einer Mordnacht zu verweben und so ein Drama zu erschaffen, welches durch ergreifende Situationen, durch biedere Deutschheit in der Gesinnung, und eine ächt dichterische Sprache auf allen Bühnen, wo ihm, wie bei uns, sein Recht wiederfährt, ein kleines Nationalstück werden und gefallen muß. Die Schäferhütte verwandelte der Zauberstab des Phantasus in wüste Schloßtrümmer aus der Maurerzeit, worin einst Abencerrage erschlagen wurde. Das giebt eine sehr romantische Scenerei. Das rettende Mädchen, hier Gabriele genannt, liebt einen Hirten Gomez, wird aber von ihrem mit einer Räuberbande verstickten Oheim Ambrosio an einem, dem Gefängniß entsprungenen, Bösewicht Vasco verlobt. Sie bittet den fremden, unbekannten Jäger um ein Vorwort bei den Prinz Regenten. Das alles bringt weit mehr Mannigfaltigkeit und die reinste Naivetät ins Stück, die sonst schwerlich zu erhalten gewesen wäre. Max bleibt nicht unempfindlich gegen diese kindliche Unschuld. Was Antonie in der Geschichte wirklich thut, ihm auf immer folgen, muthet der nun als Prinz Regent auftretende Erzherzog ¦ zwar im ersten überwallenden Gefühl auch Gabrielen zu, aber ein warnender Freund, der deutsche Graf Otto, der zur Befreiung herbei geeilt war, winkt ihm Entsagung in die Heldenbrust, und so schmückt er die holde Hirtenbraut mit seiner Ehrenkette, das Hirtenpaar und alles Volk sinkt vor ihm auf die Knie und der Schlußvers: „Heil, edler Prinz! Heil, Habsbugs Enkeln, Heil!“ tönt noch, wie Wohllaut, in unsern Ohren.

Wenn wir sagen, daß das reizende, unbefangene naive und doch muthige Hirtenmädchen Gabriele von Mad. Schirmer, der Jäger Max als Held des Stücks von Hrn. Hellwig mit Liebe für das Stück durchgeführt, aber auch die kleinen Rollen, der geliebte Hirte Gomez von Hrn. Kanow, Graf Otto von Hrn. Julius u. s. w. sehr wacker zugespielt wurden, so ist daß bloß gerechte Anerkennung. Es galt dem Werk eines uns allen theuren Dichters und das Werk selbst belohnt durch innern, vielleicht bei wiederholter Aufführung noch mehr hervortretenden Gehalt, die durch wiederholte Proben und durch das Aufgebot aller schmückenden Theaterkünste daran gewandte Sorgfalt. Mad. Schirmer durchdrang den idyllischen Theil des Stücks durch die ihr eigenthümliche naive Grazie ihres Spiels, und zeigte im Erfassen der entscheidenden Momente, wo sie dem aus dem Heiligenschein in treuherzige Jägeroffenheit übergehenden Fremdling gegenüber erst kindliche Freude über den geretteten Hirsch, dann ihre Liebe zum Hirten darlegt, wo die Angst ihren Zuruf auf der Leiter am eisernen Gitter beflügelt, und wo sie dem bestürzten Gomez am Schluß das noch immer uns erklingende: verlier nicht gleich den Muth, mit einem Ton, der nur ihr so gelingt, zuruft, ihre ganze Kunst. Am lebhaftesten wurde vom Publikum die Situation ergriffen, wo sie im ersten Entzücken niederknieend dem wiedergeschenkten Täubchen liebkoset, ein wahres Gemmen-Bild in malerischer Zierlichkeit. Auch verfehlte die Art, wie sie, beim Geständniß ihrer Liebe, aufspringt und verschämt das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, um so weniger ihre Wirkung, da auch nicht die geringste Berechnung in so manierlosem Naturspiel die große Künstlerin verrieth. Hrn. Hellwig gelang der heroische Theil seiner Rolle und wie der Jäger mit deutschem Blut sich den südlichen Naturen gegenüberstellt, ein von dem Dichter fein gezeichneter, aber bei der ersten Vorstellung noch nicht ganz aufgefaßter Contrast, vorzüglich. Man sah, daß der Darsteller das edle Waidwerk zu würdigen verstehe.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Nachtlager in Granada” von Friedrich Kind (Teil 1 von 2), der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 29 (4. Februar 1818), f 2v

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