Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 21. August 1819: “Macbeth” von Schiller (Teil 1 von 2)
Am 21. August. Macbeth, nach Shakspeare, von Schiller. Lady Macbeth Mad. Schröder.
Der Anzeige, die wir zuerst vor zwei Jahren (Abendzeitung 1817, Nr. 219 u. 220) von der Darstellung der Lady Macbeth durch die gefeierte Künstlerin gemacht haben, und welcher dann viel andere in Hamburg u. s. w. gefolgt sind, finden wir dießmal nur wenig anzufügen. Lady Macbeth wird jederzeit zu den Rollen gehören, die wenn sie gleich den Hauptumrissen und Motiven nach kaum vergriffen werden können, doch in Mehr oder Weniger stets eine große Verschiedenheit zulassen. Wir müssen auch heute noch die Ueberzeugung aussprechen, daß Mad. Schröder auch in dieser Rolle den Ruhm behauptet, daß sie der Idee des Dichters selbst durch ihr Spiel am nächsten kommt. Die durch Herrschgier entweibte Verbrecherin, die mit Galle statt Muttermilch säugen und den Säugling von sich schleudern könnte, verträgt die Menschlichkeitsschauer und leise Zuckungen von Gewissensbissen nicht, die uns andere große Künstlerinnen in ihrem Spiel der Lady erblicken ließen. Das mildernde, menschlichere Spiel mag leicht das gefälligere, versöhnendere seyn, aber ist es auch das wahre? – Unsere Künstlerin nimmt an, daß nach der alten Regel niemand auf einmal ein Bösewicht werde. Auch die Lady muß schon schreckliches verübt haben, ehe sie mit Macbeths Brief in der Hand eintritt. So nahm’s auch die Siddons. Dadurch wird gleich ihr Brieflesen bestimmt. So bedarf es also keiner Vorbereitung, keines wiederholten Lesens, keine dem Zuschauer bemerkbare Zuckung, wenn der Teufel des Königmords in sie fährt. Er hat schon seit Jahren in ihr gesessen. Mit der ersten Nachricht, mit dem Worte, womit sie aufspringt: eile! ist auch der Frevel fest beschlossen. Die Lady hat nur noch eine einzige menschliche Anwandlung. Sie scheint ihren Gemahl wirklich zu lieben, während sie ihn doch nur als Werkzeug braucht. Uebrigens erwähnt sie nur einen Menschlichkeitschauer, als ihr im ehrwürdigen Dunkan ihr Vater erschien. Da spricht sie ihn aber nur aus. Die unvergeßliche Bethmann, deren Lady noch jetzt große Kenner der Schröderschen vorziehn, gab diese Schauer öfter im Spiel selbst und zeigte schon nach dem Wendepunkt, wo sie aus dem Schlafzimmer ohne die Dolche kommt, Gewissensbisse. Sie kam also äußerst entstellt und verstört aus dem Cabinet. Zum physischen Entsetzen kam schon Gewissensangst. Mad. Schröder deutet bloß die physische Scheu dadurch an, daß es ihr beim Anblick des Ermordeten, der ja ihrem Vater ähnlich sah, etwas unheimlich geworden ist. Sie hat, was man zu sagen pflegt, lange Hacken darüber bekommen. Sie kommt in beflügelter Eil heraus. – So zeigte die Bethmann auch im Verfolge ihre Angst, bei jedem Geräsche leise zusammenfahrend, beim Zureden, daß man sich so etwas nicht so zu Herzen nehmen müsse, beim Hindeuten ¦ auf die Erholung des Schlafs u. s. w. So wandelte am Ende manchem weichherzigen Zuschauer wohl gar noch eine Art von Erbarmen über die Verbrecherin an. Die Schröder bleibt durchaus schroff und, man erlaube mir das Wort, durchteufelt. Wie lauscht sie, auf die Stuhllehne gestützt, mit verstohlenen Blicken hinschielend, ob der Mitschuldige seine Lection gut sage, als nun der Mord entdeckt ist. Immer mehr senkt sie den Körper zur erdichteten Ohnmacht. Doch fingirt sie diese nur. Bei der Bethmann war es wirkliche Ohnmacht. Durch alle diese Vorbereitungen wurde nun auch im letzten Akte der nachtwandelnde Wahnsinn bei der Bethmann viel ergreifender. Der Dichter hat aber die Schrödersche Lady gewollt. Aber wir ertragen vielleicht nur die Bethmannische. Auch wurde die Künstlerin heute am Schlusse nicht gerufen. Es ist eine schlimme Sache mit diesen Vergleichungen großer Kunstleistungen in derselben Rolle. Man sollte sich den Genuß dadurch nicht verkümmern, am wenigsten aber die Lebende auf Unkosten der auf immer Hinausgegangenen erheben wollen. Mad. Schröder läßt selbst dem Spiele der Bethmann volle Gerechtigkeit wiederfahren und hält es für trefflich berechnet in Tiefe und Zartheit. Nur könnte, versichert sie, niemand ihr die Ueberzeugung rauben, daß sie dem Dichter am treusten zu bleiben sich angelegen seyn lasse. Sie bleibe dabei!
Vorzüglich gefiel uns dießmal ihr Spiel in der 16ten Scene des ersten Akts, als Macbeth wankt und Reue zeigt. Sie hat ihn zuerst recht traulich liebkosend an den Arm genommen. Da wendet sie sich auf einmal grollend von ihm ab. Wolken stehen auf ihren Brauen, der Mund verzieht sich, die Lippen zucken. Wie stachelt sie nun mit Liebe und Hohn zugleich! Welch eine Tonleiter durchläuft sie bei den Worten: so bleich und schlaff und nüchtern! Unnachahmlich das parodirende: „ich möcht’ es wohl, doch ich vermag es nicht!“ worauf das Kleinmüthiger! furchtbar hineinblitzt. Und als sie ihn nun überredet hat, mit welcher höllischen Freudigkeit fällt sie ihm da in den Arm, wie umschlingt und umschnürt sie ihn, um in der Brust das Gräßlichste ihm einzuhauchen. Im dritten Akt, während der Tafelscene, wenn Banko’s Geist erscheint, war ihr Zuspiel der Meisterin ganz würdig. Wie rückt sie dem Zagenden auf dem Leib, wie gewaltig raunt sie ihm das: seyd ihr ein Mann, Sir? in’s Ohr, welches Augen- und Mienenspiel, während sie die Gäste unterhält und doch den in Entsetzen starrenden König nie aus den Augen verliert! Wie gebieterisch entläßt sie die Gäste! Statt sie vorschriftmäßig bis an die Thüre zu begleiten, umschreitet sie, als wolle sie einen Zauberbann aussprechen, die ganze Tafel und wendet sich nun gleich an Macbeth. Dieß macht eine kräftige Wirkung und bereitet die Schlußunterredung mit Macbeth vor. Wahrhaft besänftigend das Wort über den Schlaf und das sehr mild ausgesprochene: „Euch mangelt die Erquickung aller Wesen!“
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Macbeth” von Schiller (Teil 1 von 2)
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 211 (3. September 1819), f 2v