Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Leben ein Traum” von Calderon und “Das Loch in der Thüre” von Stephanie dem Jüngeren, bearbeitet von C. Jents am 29. bzw. 30. November 1819 (Teil 1 von 2)

Back

Show markers in text

Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.

Montags, den 29. Nov. Calderons Leben ein Traum, von Gries. Durch richtige Declamation der dem Original streng nachgebildeten Versmaaße, durchdachtes Eindringen in den Sinn des wahrhaft großen und frommen Dichters, und verständiges Zusammenspiel eine wahrhaft gelungene, ja unsern Mitteln nach, fast vollendet zu nennende Vorstellung. Möchten die, welche in auswärtigen Blättern von unserer Bühne viel Nachtheiliges erzählen, dieses so treu nur in Dresden gegebene Stück hier mit ansehn! Hrn. Julius Darstellung als Sigismund, Mad. Werdy als Rosaura, Herr Werdy als Basil lassen in diesem Einklang zum Dreiklang wenig zu wünschen übrig. In Calderons Traumleben steht auf der meisterhaft durchgeführten Handlung erst noch die hier auf’s höchste gesteigerte Reflerion und dadurch wird das Stück durchaus rhetorisch. Dieß hatte unser Julius sehr wohl erwogen. Die zwei herrlichen Monologe vor dem Gefängniß-Thurm im ersten und dritten Akt wurden von ihm in diesem Sinne so vorgetragen, daß auch die ungeübteren Zuschauer dadurch zum Nachdenken sich aufgeregt fühlten. Die stets bewunderte Scene mit dem Bild gelang durch den richtigsten Dreiklang der Schauspieler Hrn. Kanow, Mad. Werdy und Mad. Schirmer mehr als je vorher. Mad. Werdy als Rosaura repräsentirte, spielte und declamirte mit Würde und ächter Leidenschaftlichkeit. Dem Vernehmen nach hat Hr. Geyer gebeten, die Rolle des Clarin abgeben zu dürfen. In diesem Falle darf die Bitte mehrerer Theaterfreunde, daß beim neuen Einlernen der Rolle die Scenen im dritten und vierten Akt, wo Clarin für den Prinzen angesehen wird und durch einem Pfeil durchbohrt sinkt, hergestellt werden möchte. Ist irgendwo die ganze Rolle des Grazioso um des Contrastes willen unentbehrlich, sein Spiel aber bei allen Anstrich des Komischen selbst nach unserm Geschmack ganz unanstößig, so ist es in diesem fantastischen Gebilde des Lebenstraums. Wir können unsern kleinen Bericht von einer so vorzüglichen Leistung nicht schließen, ohne unserm wahren Leidwesen über die kaum erklärbare Passivität unsers Publikums in einem Stücke, das durch Inhalt und Darstellung so hoch steht, auf’s neue eine Zunge zu geben. Wir hörten bei einer der gelungensten Scenen der Rosaura aus einer Loge, worin nur Fremde sitzen, ein entschiedenes Beifallzeichen hervorrauschen. Uebrigens Todtenstille! Wie betrügen wir uns selbst um die Spitze des Genusses. Denn nicht Iffland allein pflegte zu sagen; ich spiele schlecht, wenn kein Applaus erfolgt. Als in Wien der Kaiserin am 4. Sept. zu ihrem Tage beim Eintritt durch dreimaliges Klat¦schen gehuldigt worden war und nun der Anstand an diesem Abend kein weiteres lautes Zeichen gestattete, sah man viele Begeisterte vom Spiel sich die Ueberrockärmel über die Hände ziehn und so à la Sourdine klatschen.*) Scheint es doch, als wenn noch in einem ganz andern Sinne die Sourdine oft dem ganzen Publikum bei uns durch irgend einen gewaltigen Nekromanten und Zauberer aufgesetzt worden wäre!

Böttiger.

Dienstag, den 30. Nov. Das Loch in der Thüre, Lustspiel in 5 Akten, nach Stephanie dem Jüngern, neubearbeitet von C. Jents.

Der Spaß mit dem Horchen an der Thüre durch ein nach Willkühr zu öffnendes und zuzuschließendes Loch ist sehr alt. Zwar nannte der Vater dieses Stücks, der bekannte Stephanie, sein Produkt ein ursprünglich deutsches Lustspiel, als es, nachdem es fast auf allen deutschen Bühnen mit Erfolg aufgeführt worden war, im Jahre 1781 zugleich in Wien, Berlin und München im Druck erschien. Allein es ist damals schon im Reichardischen Theaterjournal und andern kritischen Blättern dies Vorgeben als ungegründet gerügt worden. Cibber oder Vanbrugh haben nach einem Stück von Lopez de Vega schon zu Ende des 17ten Jahrhunderts ein Stück mit dieser Lochhorcherei bearbeitet. Stephanie, der auf Schrödern den Schauspieler und Schauspieldichter gleich eifersüchtig war und Schrödern oft die Benutzung englischer Originale vorwarf, verfiel hier in denselben Fehler.

Doch mag der Stoff ursprünglich angehören, wem er will, wer ihn recht zu handhaben versteht, ist der Meister. Die Situation ist mehr zur Posse, als zum gehaltenen Lustspiel geeignet und wirklich fabrizirte man später (etwa um’s Jahr 1803) für ein Wiender Vorstadttheater ein lustiges Singspiel daraus, wo sogar die horchende Tante Meta, indem sie von hinten angedrückt mit dem Kopf durch das Loch fährt, eine Arie voll Gift und Galle in’s Zimmer herein schreit. Statt nun dieß Loch durch’s ganze Stück in wechselseitiger Behorchung zur Schürzung und Auflösung des Knotens zu gebrauchen, behandelte Stephanie die Sache nur episodisch und haspelte das Ganze in einer Reihe abgenutzter Liebesanklänge und Mißverständnisse zwischen zwei Liebhabern und zwei Liebhaberinnen nothdürftig in fünf langen Akten ab. Das Stück erhielt sich indeß länger als 10 Jahre, als ein gewöhnliches Paradepferd für gutmüthige Etourdis in der Rolle des Lieutenants Klings und in der Carricatur der alten Jungfer, Base Meta.

(Der Beschluß folgt.)

[Original Footnotes]

  • *) S. Hesperus 1819. Octoberheft S. 249.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Calderons Leben ein Traum” von Gries und “Das Loch in der Thüre” von Stephanie dem Jüngeren, bearbeitet von C. Jents (Teil 1 von 2). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 297 (13. Dezember 1819), f 2v

Text Constitution

  • “Reflerion”sic!
  • “allen”sic!

      XML

      If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.