Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre” von Joseph Schreyvogel (unter dem Pseudonym C. A. West) am 9. November 1819 (Teil 1 von 2)

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Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.

Dienstags, den 9. Nov. Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre, Trauerspiel in 5 Akten, nach Calderon, von C. A. West.

Nur Zufälligkeiten hatten, dem Vernehmen nach, die Wiederholung eines Stücks auf unsrer Bühne verspätet, welches sogleich bei seiner ersten Aufführung am 15. Juni d. J. von allen Kennern gerecht gewürdigt und auch von uns in diesen Blättern ausführlich beurtheilt worden ist. Es wurde nun bei einem gedrängt vollen Hause wieder aufgeführt und so aufgenommen, daß es gewiß ein Liebling unsers gebildeten Theaterpublikums bleiben und bei den Ansprüchen, die seine innere tragische Tiefe und äußere scenische Anordnung auf immer höhere Vollendung in der Darstellung macht, stets in der Gunst gewinnen, ja bei jeder neuen Erscheinung neue Schönheiten enthüllen wird. Es ist ein Zeichen der Ohnmacht unsrer meisten deutschen Bühnen und des durch stetes Auftischen von Rührei und Ragouts aus ausländischer Küche von Grund aus verdorbenen Geschmacks des Zuschauerpublikums in den meisten Theaterplätzen Deutschlands, daß ein solches Stück nicht überall bei vollen Häusern wiederholt wird. Welch ein Genuß, wenn ein Meister die Hauptrolle des Don Gutierre selbst spielt, und wo dazu die rechte Donna Mencia gefunden wird! West verdient also großen Dank, daß er ein Stück, in welchem Calderon durch Erfindung und Durchführung weit über Shakspear’s Othello steht, mit so kluger Berechnung diese Aufführbarkeit gab. Man kann klagen, daß so viel des südlichen Colorits weggewischt wurde. Allein die Sanduhr winkt gebieterisch. Mehr würde ermüden. Man kann wünschen, daß ein gereimte Versmaß in Trochäen fortlaufe, man kann die Anfoderung überall noch höher spannen. Man vergesse aber nur nicht, daß es überall eine Stufenleiter zum Bessern und Besten giebt und daß, wer aus Ungeduld die Mittelstufen überspringt, leicht den Hals bricht. Hätten wir nur erst ein Dutzend Uebertragungen, wie West die Donna Diana und den Gutierre zubereitete! Man denke, wie Shakspeare zuerst auf die deutschen Bühnen gebacht wurde! Wie verstümmelten Bock und später selbst Schröder die Wieland-Eschenburgische Prosa?

Wir können von der dießmaligen Aufführung des Don Gutierre bei uns nur Gutes rühmen. Redlicher Fleiß der Regie und die angestrengteste Bemühung aller Mitspielenden war durchaus unverkennbar. Alles griff rascher in einander. Es ist ein furchbares Nachtstück, dieser blutige Arzt seiner Ehre. Da ist Deutlichkeit der Scenerei, Vertheilung des Helldunkels selbst in der Bühnenbeleuchtung eine wesentliche Aufgabe. Auf alles dieß war bei dieser Vorstellung sehr verständige Rücksicht genommen. Die zwei alles entscheidenden Auftritte sind auf der Gartenterrasse, auf welcher als ¦ auf eine Art von Azotea (so nennen es die Spanier) die Donna nach allgemeienr Sitte auf dem Lande, von ihren Mädchen umgeben, von Guitarrenklang und Liedern eingesungen, im Kühlen des Nachtschlummers genießt. Durch die dießmal getroffene Einrichtung, das Kerzenlicht gegen die Zuschauer zu umschirmen, war ein malerischer Lichtreflex bewirkt, der gerade auf Mencia’s ausdruckvolles Mienenspiel in der Ueberraschungsscene mit dem Prinzen geleitet, bei der übrigen Dunkelheit der Bühne den Effect ungemein verstärkte. Auch war der Altan nach beiden Seiten zu verlängert, wodurch in der Scene, wo Gutierre der Donna durch seine Nachterscheinung ihr Inneres ablauscht, alles viel wahrscheinlicher wurde. Das Schreibekabinet im 4ten Akt ward nun ein Alkoven auf ebenem Boden, wodurch gleichfalls mancher Uebelstand vermieden und, da nun auch darin das Blutgericht an ihr vollzogen wird, zugleich das Sehenlassen der Ermordeten im Schlußakt schicklich vorbereitet wurde. Der Eindruck, den der Anblick der in weißen Tüchern verhüllten Leiche dießmal machte, war höchst tragisch. Er erhält aber seine Vollendung dadurch, daß er bis zum Schluß des Stücks sichtbar bleibt. So wie die von West getroffene Abänderung des Schlusses überhaupt den richtigsten Takt bekundet, so ist insbesondere der Befehl des strengen Königs an den Asmodi des Stücks, den Infanten:

Geh, sie mit ihm zur Erde zu bestatten,Im Grab versöhne die entzweiten Gatten!

eine wahre Buße für diesen fürstlichen Sünder. Dazu gehört aber, daß man die Schlachtopfer beider sehe. Eine zweckmäßige Anordnung würde auch die seyn, daß die nächtliche Gassenscene am Ende durch einige Fackelträger so beleuchtet würde, daß durch ihre Stellungen der blutige Fleck an Gutierres Hausthüre wirklich zur Anschauung gebracht würde, wobei durch den stummen Ausdruck des Entsetzens aller Umstehenden die Wirkung noch mehr gewinnen würde. Man sage nicht, das sey zu grausend. Hoher Aeschylus, mit deinen Eumeniden, was sagst du dazu? – Sehr lobenswürdig war auch die kleine Aenderung, daß wir, indem die Blutthat hinter dem Vorhang verübt wird und Gutierre ausruft: er ist am Werk! nach den durchaus nicht zu missenden Worten: todt alles, was ist Leben, wenn sie stirbt! die sterbende Mencia rufen hören:

Ich sterbe schuldlos, mög’ ihm Gott verzeihen.

Das bloße Aechzen wird nur zu leicht lächerlich. Auch ist Mencia’s Ruf noch in anderer Beziehung sehr eingreifend. Auch in dem Costüme des Gutierre war eine zweckmäßige Aenderung vorgegangen und daß Donna Mencia in der letzten Scene festlicher und mit einem Juwelen-Gürtel erschien, war für die zur Stadt zurückgekehrte vornehme Spanierin recht wohl berechnet.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre” von Joseph Schreyvogel (unter dem Pseudonym C. A. West) am 9. November 1819 (Teil 1 von 2). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 281 (24. November 1819), f 2v

Text Constitution

  • “aus”sic!
  • “Schreibekabinet”sic!

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