Hinrich Lichtenstein an Carl Maria von Weber in Dresden
Berlin, Donnerstag, 22. April bis Montag, 26. April 1824

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An

den Königl. Sächsischen Kapellmeister

Herrn C. M. von Weber.

Hochwohlgebohren

zu

Dresden

[von Webers Hand:] erhalten Dr: d: 30t Aprill 1824.
btw: Host: 17t May ———.

Liebster Bruder!

Dem Vertrauen, das Du in meine Umsicht setzest, glaubte ich nicht besser genügen zu können, als wenn ich dem Grafen die mitgetheilten Actenstücke* zu lesen gäbe. Ich legte auch Deinen Brief unter Entschuldigung der Indiscretion, die ich dadurch gegen Dich beginge mit bei und bemerkte (weil ich fürchtete, die angedrohte Publicität* möchte ihm misfallen) dies sei von Deiner Seite wohl so ernst noch nicht gemeint. Das war am Sonnabend. Montag erhielt ich einliegende Antwort, deren dritte Zeile Dir nun erst recht erklärlich sein wird*. Da mir gar nicht verboten wurde, die beigelegten Actenstücke an Dich gelangen zu lassen, so glaubte ich, es sei wohl vielmehr die Meinung, Du solltest sie lesen. Nur um sie Wollank und Hellwig vorher noch zu zeigen, zögerte ich bis heute mit der Absendung und das war ein Glück. Denn eben schickt der Graf und läßt sich mündlich die „bewußten“ Abschriften wieder ausbitten, die ein Paar Stunden später auf der Post waren. Es mag ihm wohl bedenklich vorgekommen sein, vielleicht ist auch Neues eingetreten, das die Sache mildert. Kurz ich konnte nicht anders als auf der Stelle willfahren, will aber doch versuchen den HauptInhalt beider Schreiben aus dem Gedächtnisse wieder zugeben. 1) Brief des Grafs an Spontini d. d. 5t Apr. der stürmische Beifall mit welchem nunmehr Eur. auch in Dresden gegeben worden, veranlaßt mich, diese Oper jetzt auch so bald als möglich hier in Scene zu setzen und ich schicke der General-Musikdirection hier die Partitur zur Ansicht, denn von der Beurtheilung u Prüfung kann bei einem Werk Webers wohl nicht die Rede sein. — Ich bemerke, daß die Oper keine Kosten verursachen wird und der Kasse viel Einnahme verspricht. Chor und OrchesterStimmen besitze ich schon. Die Proben können also gleich anfangen pp

S’s Antwort ist vom 9t Die Partitur haben wir erhalten. Keinem unter | uns konnte es einfallen, die Eur. zu kritisiren. […] Comment avez vous pu croire que nous aurions cette audace? — Inzwischen haben Sie Herr Graf die Paragraphen 5 und 7 der Königl. Instruction förmlich übertreten, indem Sie ohne unsern Antrag eine Partitur kauften und durch das Mitkaufen der Stimmen unsern armen Copisten die Einnahme entzogen, die ihnen zukommt. Die Proben können nicht anfangen indem Sr Maj. mir mündlich befohlen haben, Elisabeth und die gazza ladra sogleich einzustudiren, auch wissen Sie ja, daß wir mit Hrn Spohr wegen der Jessonda engagirt sind. (Dies erklärt Graf Brühl in einer eigenhändigen Anmerkung für eine grobe Unwahrheit). Ich kann daher nichts andres thun, als ihnen die Partitur wiederschicken und werde um mich sogleich außer Verantwortung zu setzen, den ganzen Handel dem Fürsten Wittgenstein vorlegen, der darüber entscheiden mag u. s. w.

Am Dinzstag war ich bei Madame Baer, der Du geschrieben, daß ich die Briefe in Händen habe. Von der erfuhr ich, wie ihr Sp. mündlich erklärt, er habe dem Fürsten Wittgenstein die Eur. für den Geburtstag des Königs (3t Aug.) vorgeschlagen und wenn dies nicht genehmigt würde, solle sie doch im Jul. spätestens Aug. gegeben werden. Er wünsche, daß Du sie selbst einstudirst, wenigstens zu den letzen Proben kommst pp Mehr könne er doch nicht thun. Mad. B. hat mich zu Sonntag Mittag gebeten, damit ich dies aus S’s eignem Munde höre, vielleicht ihm selbst ins Gewissen rede. Ich habe Courage und komme. Bei aller Vorliebe für S. beurtheilt ihn die Frau doch richtig genug und hat sich’s in den Kopf gesetzt sowohl bei ihm, als beim Fürsten Alles für Dich durchzusetzen. Ich lasse sie gewähren, denn verderben wird sie gewiß nichts, indem sie Dir gewiß nichts vergeben wird.

Inzwischen ist die Sache in Aller Leute Mund und sowie S. allgemein getadelt wird, so wendet sich dadurch Alles zum Lobe der Euryanthe. Wie verdrießlich diese Geschichte Dir sein mag, deiner Oper thut sie offenbar den größten Nutzen. Das Publicum rächt es schwer, wenn ihm aus Neid ein Genuß vorenthalten wird. Montag war Olympia bei vollem Hause, es rührte | sich aber keine Hand, als bei den Ballets, worüber die Milder zuletzt ganz verdrießlich geworden sein soll.

Montag
d 26 April
Soweit hatte ich am Donnerstag geschrieben, als ein Paar neue Naturalien-Sendungen und andre Intermezzi hereinbrachen, die ich nicht abwehren konnte. Erst heute komme ich wieder zu Athem und eile, diesen Brief zu endigen. Ich kann kurz sein, da Du inzwischen auch von Beers Briefe erhalten hast. S. verspricht die Eur. noch diesen Sommer zur Aufführung zu bringen, machte dabei Deine Anwesenheit bei den letzten Proben zur Bedingung und wiederholt dabei die Versicherung seiner freundschaftlichen Gesinnungen gegen Dich. — Wenn’s ihm mit dem Allen Ernst ist, so wollen wir’s loben, ists erheuchelt, so solls uns aber auch nicht schaden. Denn ich weiß nun schon aus Deinem Briefe an Wollank, daß Du gar nicht einmal wünschest vor dem Herbst hieher citirt zu werden, der Aufschub kommt immer auf S’s Rechnung und macht unser Publicum nur destobegieriger und geneigter. — Bei dem gestrigen Beerschen Diner zeigte sich Herr S. übrigens auch gegen mich sehr freundlich. Soviel und lange wir aber auch zusammen gesprochen, so schien er es doch zu vermeiden auf solche Dienstsachen zu kommen und ich hatte natürlich keine Ursach dies Gespräch zu suchen, so sehr Mad. B. wünschte, daß ich mich gegen ihn expectoriren möge. Die Sache soll übrigens, wenn man dem Gerede glauben darf, noch zu vielen Discussionen Veranlassung gegeben haben; nach Einigen hat Brühl den Abschied gefordert, nach Andern auch Spontini; darin sind alle einig, daß die Lage der Dinge nicht lange so bleiben könne. Schon machen die Unternehmer des neuen Königsstädtischen Theaters die, wie es mir scheint, ihre Sache sehr am rechten Ende anfassen, sich Hoffnung auf allerhand Vortheile, die ihnen aus diesem Zwiespalt erwachsen müssen. Für die könnte nichts Günstigeres geschehn, als wenn es gelänge den Grafen B. zu entfernen. Die Andern werden es gegen sie nicht halten. — Inzwischen scheint es mir für uns gerathen, daß wir uns noch ruhig verhalten und abwarten, wir können nicht dabei verlieren. Das hiesige Publicum wenigstens sieht die Sache gehässiger an (gegen S.) als sie so schon ist. Man könnte sie nur bekannt machen, um zu zeigen, daß sie so schlimm nicht sei. Indessen kommt Alles nur darauf an, wie S. Dir antwortet und wie er sich weiter zeigt. Das Mittel bleibt immer, dann aber ist der Bruch unheilbar. — Morlachis Ausbleiben (er hat, wie | Mad. Beer mir erzählt, in Venedig vor Aerger die Gelbsucht bekommen) macht mir deinetwegen viel Kummer. Wie beklagen wir Dich armen Mann, daß Du so unablässig im Dienst abgemüdet werden mußt, und wie unverantwortlich ist das, wenn man bedenkt wie viel Besseres damit versäumt wird. Jetzt hättest Du eigentlich die reichste Muße und die beste Laune nöthig, damit Du die Pinto’s fertig machen könntest, um Deiner Meisterschaft, die sich dann in jeder Gattung bewährt haben würde die ganz allgemeine und unwidersprechliche Anerkennung zu verschaffen. Ich bin überzeugt selbst die Eur. gewönne dabei. Um Gotteswillen schone Dich und mache Dir Luft, sobald Du kannst. Tausend Grüße Deiner lieben Frau von mir und Victoire. —

Ewig und unveränderlich Dein Hinrich L

Editorial

Summary

Lichtenstein habe die von Weber erhaltenen Dokumente mit Kommentar an Brühl weitergeleitet; hatte eigentlich die Absicht, zusammen mit Antwort Brühls alle Unterlagen, die dieser ihm habe zukommen lassen, an Weber zu senden, doch habe Brühl sich diese soeben zurückerbeten, gibt den Inhalt daher aus dem Gedächtnis wieder; Bericht über Gespräche und Zusammenkünfte im Hause Beer, wo auch Spontini verkehre; Aufführung der Euryanthe nun doch in Aussicht; Angelegenheit sei in aller Munde, schade vor allem Spontini; Wünsche für baldige Entlastung (Problematik um Abwesenheit Morlacchis)

Incipit

Dem Vertrauen, das Du in meine Umsicht setzest

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Shelf mark: PB 37, (Nr. 50b)

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest
    • PSt: BERLIN | 27. Apr.
    • mit Empfangs- u. Beantwortungsvermerk Webers am Briefkopf

    Corresponding sources

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 372–373
    • Rudorff 1900, S. 148–154

Text Constitution

  • “[…]”deleted text illegible
  • “Montag d 26 Apriladded in the margin
  • “… Morlachis Ausbleiben (er hat, wie”Fortsetzung am linken Rand der Adressenseite in umgekehrter Schriftrichtung

Commentary

  • “… dem Grafen die mitgetheilten Actenstücke”Zu den Webers Brief beiliegenden Kopien vgl. die dortige Quellenbeschreibung.
  • “… ich fürchtete, die angedrohte Publicität”Weber hatte angedeutet, dass er die Korrespondenz mit Spontini bezüglich der Euryanthe-Einstudierung in Berlin ggf. „der Öffentlichkeit übergeben müßte“, was ihm allerdings „sehr fatal“ wäre.
  • “… erst recht erklärlich sein wird”Die 3. Zeile des Brühl-Briefes bezieht sich auf Webers Brief, der nach Brühls Meinung „wenigstens im extract die größte publicitaet“ verdiente.
  • d. d.abbreviation of “de dato”.

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