Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Sonntag, 2. und Montag, 3. Juli 1815 (Nr. 5)
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Ich würde nicht einen Augenblik ruhig schlafen können, wenn ich dich nicht wenigstens auf dem Papier hier um Verzeihung gebeten hätte, und dadurch wenigstens mich selbst wieder einigermaßen zu beruhigen suchte.
Ich hatte Heute Morgen ganz richtig gehofft, und zwar so glüklich wie möglich denn ich habe deinen lieben Brief innigst an mein Herz gedrükt, und geküßt, weil er so ganz auch mich selbst ausgesprochen hat, dieselben Empfindungen leben auch ganz so in mir wie du sie beschreibst, und ich glaube daß meine lezten Briefe dir das auch schon ohngefähr so ausgesprochen haben werden. Nachdem ich Heute Morgen meinen Brief an dich abgeschikt hatte, fuhr ich nach Nymphenburg, um der Herzogin von Neuburg deren Ankunft ich erfahren hatte, meinen Brief von der Prinzeßin Mariane abzugeben. ich wurde sehr gnädig empfangen, kam um 1 Uhr zurük, und hier fand ich den wahren Empfang von den geliebten Schriftzügen Deiner theuren Hand, vom 25.—26t Juny. Wie gerne hätte ich mich sogleich zur Beantwortung hingesezt, wenn nicht leider Gottes ein großes Sieges Dinér auf mich gewartet hätte*. da habe ich denn wieder recht gefühlt, daß ich nicht mehr unter frohe Menschen tauge, ja daß Ihr Frohsinn mich nur aufs bitterste quält und höchst schwermüthig macht. ich hatte alle Faßung nöthig, um nur nicht auffallend die allgemeine Freude zu stören. dann saß ich im Theater auf Nadeln, und endlich bin ich den so gutgemeinten Strebungen meiner Freunde entschw‡ entwischt, und die stille Nacht umfängt mich, und erlaubt, mich zu meinem Mukkerl zu träumen.
Kannst Du mir verzeihen geliebte Seele daß ich dir abermals durch meinen ersten Brief von hier aus wehe gethan habe? aber hättest du mich sehen können in welchem ungeheuren Schmerzgefühl ich ihn schrieb, und wollte ich zu meiner Vertheidigung Deinen Brief stellenweise abschreiben, du würdest nachsichtig sein und nirgends die unendliche Liebe Deines Carls verkennen.
Wenn ich nicht hoffen könnte daß meine anderen Briefe dich wieder beruhigt hätten, ich würde in verzweiflungsvoller Stimmung sein.
Mein geliebtes Leben, nie will ich dir mehr wehe thun, glaube mir, ich habe mir dieß so fest gegen alle Menschen vorgenommen. ich will mich ganz in mich selbst einspinnen, nur durch meine Arbeiten sollen mich die Menschen fühlen, ich selbst will ihnen entfliehen um ihnen nicht durch meine Persönlichkeit wehe zu thun, ich will mich in dem Gedanken wiegen, ihnen wie ein unsichtbares Wesen nur Freude zu verschaffen, ich will Sie mit meinem Herzblut erquikken, so lange bis alle Fäden reißen und nichts mehr die leere Puppe aufrecht hält.
Ja, ja, ich glaube es wohl daß du dich nur zu meinem Glükke von mir trennen wolltest, schenke mir es nun also, indem ich sehe daß das deine daraus entsprießt. du warst ein Jahr recht unglüklich durch mich. Mir wird dieses Jahr die schönste und theuerste Erinnerung meines Lebens ewig sein. Es ist der höchste Punkt meines Lebens gewesen, ich habe | mich selbst erst kennen gelernt, habe gesehen welche unendliche Macht des Gefühls in mir liegt, daß sie in keinem Verhältniß zu meinen übrigen Kräften steht, und es genug war sie kennen zu lernen, und zugleich zu erfahren, daß für ein solches Gemüth kein Glük auf Erden lebt, und alles Hoffen darauf lächerlicher Wahn ist.
ich bin auch jezt ganz ruhig, ganz abgeschloßen mit mir selbst. ich fühle meine‡ weis meine Bestimmung nach außen, ich werde treu und redlich streben sie zu erfüllen, und somit denn doch am Ende eine Art von Ruhe mit mir hinüber tragen. –
du böser Mukel hast aber auch wieder mehr in meine Worte gelegt als ich wollte. wenn du so etwas bitteres ließt, so denke dir nur dazu mein bestes, gutestes Gesicht, und es wird dir gewiß milder erscheinen.
Wegen meiner Pflege kannst du ganz ruhig sein, ich wurde‡ werde mit einer wahrhaft rührenden Sorgfalt bedient, ja gehätschelt, und wahrlich es ist keine meiner kleinsten unangenehmen Empfindungen, daß ich fühle, wie hart, kalt und trokken ich alle das vergelte, wie ich es so durch gar nichts freundlich herzliches erwiedern kann; oder nur zeigen daß ich es erkenne. Aber die Guten, halten mir auch viel zu Gute. Nun gute Nacht, mein theures geliebtes Leben, es ist mir als müßtest du Heute einen Brief von mir erhalten haben, und beruhigter und zufriedener mit mir sein.
getröstet durch diese Hoffnung gehe ich auf mein stilles Lager. Gute Nacht, gute, gute! hörst Du es noch von der Ekke? gute Nacht. ich küße Dich Millionenmal. [Kußsymbol]
Zum Glükk geht heute früh auch eine Post, und mein Mukkerl bekömt also 2 Tage hinter einander Nachricht von ihrem Carl, und kann wenn Sie ein Tagebuch führt, jeden Tag mit seinem Leben vergleichen. ich werde meine Briefe von nun an wieder Numeriren, und habe sogleich mit diesem angefangen.
also der von Hradek. 1. von München vom 20t 2. vom 26t 3. vom 2t July 4 und Heute 5. von dir habe ich bis jetzt viere erhalten.
Also die lieben Hände arbeiten wieder für mich? ach ich darf dir nicht vorwerfen daß Du Deinen Gram lieb hast, denn ich liebe den meinigen wirklich. Es ist recht hart daß ich mich nicht auf den Augenblik freuen darf, dein Geschenk aus deinen Händen zu empfangen, wie viel wird es mich kosten in Prag zu sein, und nicht immer bey dir. ich werde mir krank vorkommen, da ich immer zu Hause sein werde. Da du mir nichts von Liebich schriebst | so hoffe ich daß er wieder gesund ist, und alles seinen alten Gang geht. Man ruft zum Frühstük, und der Brief muß in die Stadt.
Lebe wohl geliebte ewig theure Lina. sey heiter und froh, und beweise das Deinem Carl in deinen Briefen, aber nimm dich in acht, du weißt daß ich es gleich sehe ob es blos erkünstelt oder wahr ist. Gott schenke dir Gesundheit, und vertraue auf Deinen ewig unveränderlichen Carl.
Editorial
Summary
Privates
Incipit
“Ich würde nicht einen Augenblik ruhig schlafen”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 55Physical Description
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- PSt: a) R 4. MÜNCHEN | 3. JUL. 1815.; b) Chargé
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenance
- Weber-Familiennachlass
Corresponding sources
-
Hans Christoph Worbs, Carl Maria von Weber. Briefe, Frankfurt 1982, S. 64–66 (nur 2. Juli)
-
Muks, S. 140–144 (Nr. 22)
Text Constitution
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“entschw”crossed out
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“fühle meine”crossed out
-
“wurde”crossed out
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“… ”Hinzufügung auf der Adressenseite, offensichtlich nach Faltung in umgekehrter Schriftrichtung: