Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Sonntag, 27. bis Montag, 28. Juli 1817 (Nr. 72)
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Mein vielgeliebter Muks.
Es ist entsezlich heiß, habe ein bißel comp.* und jezt muß ich zur Erholung mit meiner Lina plaudern und ihr vom gestrigen Tage erzählen. Vorgestern d: 25t Probirten wir die Musik zu dem Annen Tage nochmals. badete pp wie alle Tage, und erhielt einen Brief vom Papa Beer aus Carlsbad*, der mir sehr zuredet nach Berlin zu gehen, und zwar mit vielen recht herzlich gut ausgesprochenen GründenT. Ich glaube dir schon einmal geschrieben zu haben daß er mir ein Prasent mit Zukker und Kaffee gemacht habe, ich wuste aber nicht genau wie viel, und wollte ihn auch nicht um die Adreße fragen, jezt schikt er mir eine Anweisung nach Leipzig an sein Waarenlaager, und schenkt uns zur Hochzeit 104 Pfund Kaffee und 108 ℔ Zukker. das ist ein schönes Präsent, und kommen wir gewiß 2 Jahre damit aus. es hat mir viele Freude gemacht, und wenn er hier durchkömt* werde ich ihm recht herzlich dafür danken. vor der Hand laße ich es aber noch nicht kommen, bis ich weis wie die Sachen stehen. Nachmittags kam der Graf Vizt: zu mir, und wir hatten eine 2 Stunden lange Unterredung. Er ist auch aufs äußerste getrieben, und der ganzen Sache steht eine große Krisis bevor, auch Er will lieber mit seinen 7 Kindern* Brod und Salz eßen, als die Insolenz des Morlachi pp länger dulden, und dringt auf strenge Satisfaktion. ich bin neugierig wie sich das Ganze wenden und enden wird. Gestern d: 26t stand ich um 4 Uhr auf, zog mich an, die H: Mieksch Wilhelmi und Bergmann frühstükten bei mir, und nun gings nach Pillniz. wo der Graf Vizth: die große Aufmerksamkeit gehabt hatte auch hinzukomen. Wie die Prinzen pp beim Früstük saßen, trug Schmidl die Texte an den Tisch, die Thüren giengen auf und unsere Musik fieng anT.
Du kannst nicht glauben welche Freude, Rührung und Ueberraschung dieß hervorbrachte, und mit welcher wirklich unbeschreiblichen Liebenswürdigkeit und Artigkeit sämtliche Hoheiten sich benahmen. der Gesang muste natürlich wiederholt werden, und es fehlte nicht viel da߇ meine Sänger auch mit geschloßhundet* hätten. darauf sangen wir noch andere Sachen, von denen mein Tanzlied, Geiger und Pfeiffer, alle so zur Lustigk‡eit hinriß daß der HofMarschall die Obersthofmeisterin erwischte und mit ihr im Saale herumwalzte, zum großen Jubel Aller. Man vergaß wirklich ganz unter Prinzen zu sein, und des Dankens war kein Ende. Die Prinzeßinnen baten um die Musik, und die junge Braut sagte daß sie diesen Morgen nie vergeßen werde, und er einer der schönsten fro[e]hlichsten ihres Lebens sei. daß nach dir fleißig gefragt wurde kannst du denken, und Alle Hoheiten trugen mir die freundlichsten Grüße an dich auf. Ich muß gestehen daß mir das Herz blutete bei dem Gedanken, diese guten braven Menschen vielleicht verlaßen zu müßen. – Schmidls | Triumph und Wonne stolz Schritte, kannst du dir denken. ich machte nach 10 Uhr – so lange hatte das gedauert – mit ihm eine Visite bei dem Beichtvater des Königs. Bischoff Schneider, ein Geistreicher Mann, der wahrlich die 3 fache Krone tragen könnte, so ein Geistlich fürstliches Ansehen hat er. er empfing mich ungemein schmeichelhaft und beschwor mich Geduld zu haben, und zu bleiben. – –
dann machten wir einen großen SpazierGang in die herrliche Gegend und Mittag gab Schmidl ein großes Traktament. da wurde nach Tisch wieder so viel von den Verhältnißen gesprochen, so viel Pläne gemacht, und die Wege bezeichnet die einzuschlagen wären, daß mir troz der guten Meynung dieser guten Menschen, die alles auch um der Guten Sache willen thun, doch diese Wichtigthuerei der erbärmlichsten Kleinigkeiten, dieses mir unträgliche Protektionswesen, und dieses elende Berüksichten und verläugnen, und schmiegen, und suchen, was alles so ganz außer meiner Handlungsweise, Denkart und Gefühl und Grundsäzzen liegt, daß ich mitten in den Beweisen der größten Achtung und Liebe, und dem Streben mein Wohl zu gründen, doch fast den Entschluß in mir fest werden ließ, ein solches Leben nie zu führen, und in Berlin wenigstens nur allen Künstler Verdruß allein stehend zu ertragen. das gestrige Dinèr, was mir hoch angerechnet wurde, eben so wenigstens baldigstens wieder zu geben, und somit mich alle diesem zu entziehen. Es wäre zu weitläufig dir alles auseinander zu sezzen, wie ich alles anerkenne, zu schäzzen weis, was diese Leute thun und es doch nicht ertragen mag. ich brauche keine Stüzze, als meine Rechtlichkeit, keinen Rükhalt als meine Kunst, keinen Trost und keine Freude als meine Lina. Du kennst einen Theil der hiesigen Welt und wirst mich verstehen. – – Uebrigens waren wir im Ganzen recht lustig, und fuhren auf mein Treiben so zurük daß ich um 10 Uhr in mein Nest kam. Du hast wohl recht mein geliebtes Herz, wenn du sagst daß ich mich sehr unbehaglich in solcher Ungewißheit befinde, und so sehr ich auch suche mich der Gedanken daran zu erwehren, so bin ich es doch nur wenig im Stande, und also dadurch sehr in meinen Arbeiten gestört.
Bald hätte ich vergeßen dir versprochener maßen zu berichten daß deine Gesundheit mit hohem GläserKlange und mit großer Theilnahme getrunken wurde. Nun muß ich mich anziehen einige Berliner* aus Carlsbad zurükkehrend und andere von Berlin kommend, haben mich gestört. Morgen ein mehreres, gieb mir einen guten Buß, und sei heiter, das wünscht immer und einzig dein Carl. |
Liebe gute Lina da wären wir denn wieder einmal drauf und dran, uns eine recht bittere Zeit zu bereiten, die bösen Briefe, die immer nur Abdruk eines Augenblikkes sind, und dem Empfänger diesen Tagelang empfinden laßen. Mein herzliebes Leben, wie sehr hast du dich über meinen Brief betrübt, daß thut mir recht in der Seele wehe. du solltest aber den alten Brumbären wohl kennen, der in einer steten Preße von Verdrüßlichen Dingen sizt, in deinen Briefen seine einzige Freude hat, und dann wohl ein bischen den armen Muks anfährt, wenn der ihm auch noch Stoff zum Trübsinn giebt. Wie sehnsuchtsvoll sehe ich der Zeit entgegen wo kein solches Mißverständniß länger als 5 Minuten dauern kann, wo ich mir ein Bußel hole und sage, es war ja nicht so gemeint, oder du komst und sagst und H. v: Bär ’s er wieder ein Jud? du weißt wohl liebe Mukkin daß mir nichts schmerzlicher sein kann, als dir wehe zu thun, aber wenn du ein bischen billig bist, und rechnest zu‡ wie manchmal alles zusamen komt, so sei denn auch nachsichtig gegen deinen Muks, denke was hat der wieder im Kopf, muß ihm denselben tüchtig waschen daß er’s an seiner Lina ausläßt, muß ihm versichern daß er ein Oz ist, und über ihn lachen, daß er wieder heiter wird – Puntum. ja siehst du alter Schneefuß du wirst noch oft deine Geduld hervorsuchen müßen, und sie an deinem Carl ausüben, und wenn er einmal vielleicht hart und finster war, doch heiter es abschütteln, und ihn nekken, dann kömt er gewiß auch gleich wieder und suchts doppelt freundlich wieder gut zu machen, gehst du aber auch in einen Winkel und schloßhundest, so wird Er erst recht traurig, oder was gar Unrecht aber doch möglich ist, ungeduldig und krittlich, und dann verderben wir uns ein paar schöne Tage. worüber wir uns hinterdrein wieder abschäulich ärgern, dann ists aber zu spät. – ist das nicht ein altes Stutt, was wir schon oft aufgeführt haben? Kann nicht helfen H: v Muks jezt mußt du den G’scheidern machen, und nachgeben nutzt niz – Mein einziger Trost ist daß meine nächsten Briefe den entsezlichen Trübsinn und Wehmuth der aus deinem No: 74 spricht wieder werden verscheucht haben, und ich möchte diesem Flügel geben um ihn zu dir zu führen, oder beßer – mir Flügel, dann wäre gewiß alles gleich im Gleise. Ja wohl sieht alles geschriebene ganz anders und oft viel ernsthafter aus, und so war es mit deiner Erzählung der Hans = Sohnes Geschichte. Aber eine Stelle deines Briefes könnte mich auf lange Zeit sehr unglüklich machen, wenn ich mich ihr so hingeben wollte, und nicht mit der Hoffnung mich aufrichtete daß nur der Unmuth dir diese schrekliche Drohung eingegeben habe. du sagst = auf jeden Fall hast du das Gute gestiftet daß ich mir nicht mehr erlauben werde gar zu offenherzig zu sein – Wenn das wäre, so wäre also mein Jahrelanges Streben dir Offenheit zu geben verlohren – Laß mich darüber ganz weg gehen, ich würde sonst vielleicht wieder ernst werden, und du es wieder mißverstehen. Erzähle ich dir denn nicht auch alle Kleinigkeiten meines Lebens, ist es denn nicht auch mir das süseste? und gehört das Erzählen eines Vorfalles wie der mit Hans zur Offenheit? ich glaube nicht. die Äußerungen über Drs: ja, und dabei möge dich | Gott erhalten, dein Gefühl jedesmal rein und unverschleyert mir auszusprechen. aber mir sei es auch erlaubt dieses zu berichtigen zu suchen, wenn ich glaube daß du nicht ganz richtig siehst. Puntum, du bist und bleibst ein kleines GallTeuferl, denn wenn du jezt deinen Brief lesen könntest, wie du dich nach und nach in ihm erhiztest, und doch so gewiß zurük hieltst, wie Z: B: es ist wohl nicht recht wenn du mich mit meinen Klagen hierüber so ein wenig streng von dir weisest, daß es beinah aussieht als liebest du sie mehr als mich. – Nun! Jezt wenn ich wieder ruhig bin, muß ich lachen wenn ich mir dabei [Dein] preziöses Gesichtel denke, wie es so indignirt ist und doch freundlich und gut aussehen will. gehe gehe, du bist ein Oz, und ich auch sehr oft, und du must nachgeben denn ich bin der Stärkere, bin das Mannsbild, und du wirst schon hören daß er dir sagt, und er soll dein Herr‡ sein*. Ja wenn von Gurkensallat, oder Rettig, oder Kleidern die Rede ist, da bist du gleich mit der RedensArt da, du hast es so befohlen, wenn ich aber befehle, er soll nicht so dumm sein sich unnütz zu quälen, und mich endlich einmal kennen, so thut Err doch was er will. – Nu warte nur, die Haue sollen dir nicht entgehen, habe ich dich nur erst hier, so wird alle Woche so ein Brief geholt, ihm vorgelesen, erklärt, und dann muß er auf Erbsen knien, damit er mir nicht übermüthig wird. So Mamsell wird’s ihr gehen.
Gestern nach Tische ließ mich der Graf rufen, und sagte mir voll Freude daß der König den Minister zu ihm geschikt habe, um ihm zu sagen er höre daß ich Anträge hätte, er wünschte nicht mich zu verliehren und man solle alles thun mich hier zu erhalten. das ist nun freilich recht schön und gut, und freut mich einestheils sehr, aber doch wird mir ein bestimter Entschluß immer schwerer und schwerer in dieser großen LebensLotterie. des hiesigen Verdrußes und der Reibung mit den Italienern sehe ich kein Ende, und wird es mir in Jahr und Tag zu toll, so ist nicht immer so ein Berliner Antrag bei der Hand, und man muß still es tragen. Wenn ich dich nur herhexen könnte, denn die Leute hier sind doch alle partheyisch. Uebrigens muß mich die allgemeine Theilnahme allerdings freuen. den ganzen gestrigen übrigen Tag muste ich mit dem Gehh: Rath Welper vertrödeln, der Heute mein Gast ist. von der Mutter Beer habe ich auch einen gar lieben Brief erhalten, in welchem sie dich gar mütterlich herzlich grüßt.
Nun! bist du denn wieder gut? Brummmoppel? wirst du nicht wieder gleich gekränkt und beleidigt sein? wenn ich einmal ein bißel zanke? nu, gieb mir nur ein gutes Bußel und damit Puntum, und aus. Heute kriege ich nun wohl keinen Brief von dir, denn du wirst noch schmollen. mit meinem Hals geht es so so. schaffe nur deinen Schnupfen weg. Alles Wett was böse ist, und die Mukin quält, doch Halt, da müste ich ja auch wett, denn sie sagt ich sei böse und quäle sie. jagst du mich fort?, Etsch ich geh niß, must mich jezt schon behalten.
Nun Gott segne dich + + +, sei brav, heiter und guten Muths, und glaube fest, daß dich über alles innigst treu liebt dein Carl.
Millionen Bußen. Grüße an Alle.
Editorial
Summary
Tagebuch 25.-26. Juli; berichtet über Unterredung mit Vitzthum; berichtet über rührende Teilnahme bei der Aufführung der Annentags-Kantate; sei nunmehr fest entschlossen, nach Berlin zu gehen, da ihm das Dresdener “Protektionswesen” deutlich zu Bewusstsein gekommen sei; klagt über Ungewissheit in Bezug auf Berlin, die sich nachteilig auf seine Arbeit auswirke; redet ihr wieder einmal ins Gewissen wegen ihres letzten Briefes und teilt ihr mit, dass der König über den Minister kund getan hat, dass er Weber nicht verlieren will; ihn freut das einerseits, aber dennoch wird ihm sein Entschluss für Berlin / Dresden immer schwerer
Incipit
“Es ist entsezlich heiß, habe ein bißel comp.”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
Thematic Commentaries
Text Constitution
-
“ß”“s” overwritten with “ß”
-
“k”“h” overwritten with “k”
-
“zu”crossed out
-
“Herr”vierfach unterstrichen
Commentary
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“… habe ein bißel comp .”Vermutlich Arbeit am Freischütz, im Tagebuch finden sich zwischen dem 12. Juli (Abschluss des Entwurfs von Nr. 6) und dem 31. Juli (Entwurf von Nr. 2) allerdings keine eindeutigen Hinweise.
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“… vom Papa Beer aus Carlsbad”Zu J. H. Beers Kuraufenthalt in Karlsbad ab dem 2. Juli 1817 vgl. den Kommentar zum Brief an J. Gänsbacher vom 17./18. Juli 1817.
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“… lieber mit seinen 7 Kindern”Das Ehepaar Vitzthum hatte acht Kinder: Ludwig (Ernst) (geb. 14. Mai 1794, gest. 4. Juli 1833), Moritz (Heinrich) (geb. 26. November 1795), (Carl) Gustav (geb. 4. Oktober 1797), Thecla (geb. 25. September, gest. 18. November 1880, ab 19. November 1817 verh. Freifrau von Coburg), (Louise) Annette (geb. 7. Mai 1802), Angélique Therese (geb. 7. Februar 1808, gest. 18. Januar 1876) und (Oswald) Lionel (geb. 15. Februar 1809, gest. 30. September 1883); der Sohn (Georg) Rudolph (geb. 27. Januar 1801) war bereits am 3. Juni 1801 verstorben.
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“… meine Sänger auch mit geschloßhundet”Gemeint ist: geweint.
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“… ich mich anziehen einige Berliner”Im Tagebuch ist nur G. A. Welper erwähnt (vgl. auch den Briefteil vom 28. Juli). Mad. Welper war laut Kurliste (1817, Nr. 1080) am 9. Juli 1817 in Karlsbad angereist und im Haus Nr. 142 abgestiegen.
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“… er soll dein Herr sein”1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 16.