Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
Wien, Freitag, 15. und Sonnabend, 16. März 1822 (Nr. 11)

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An

Frau

Carolina von Weber.

gebohrne Brandt.

Hochwohlgebohren

zu

Dresden

Altmarkt No: 9.

Gegen Recepisse.

von Weber. Stadt. 838.

Guten Morgen, geliebtes Leben, hast du gut geschlafen? ich vortrefflich. Der Kizzel im Halse läßt bedeutend nach, und also auch die Gewalt des Hustens. Die Hauptsache ist daß ich nicht spreche. Es wird also Jedermann abgewiesen der zu mir will denke dir also die arme Männe, beim schönsten Wetter eingesperrt. alle Stunden einen breiten Umschlag von Leinsamen über Hals und Brust, jezt eben einen halb Senfmehl um den Hals, etwas Reiz zu machen. Früh Königskerzen Thee, dann immer abwechselnd Schleim aller Art dazwischen Medizin. und Dämpfe einathmen. wahrlich ich bin in einem fort beschäftiget. deßhalb habe ich auch gestern den ganzen Tag nicht an dich geschrieben, und, weil ich auch nichts zu schreiben wußte. Wie gerne wäre ich zu Hause so krank gewesen. Das das Uebel blos örtlich ist, bin ich übrigens gesund, könnte bei der Weibe still hotten, die erzählte mir. Schnuff käm, Ali brächte seine Kinder ppT, das was uns immer das liebste ist, ungestört beisamen sein zu können, wäre damit erreicht, und nun muß ich einsam sizzen, kann auch nichts sonderliches thun, weil es mich doch angreifft, wenn ich spiele oder schreibe. Ja, ja, eine Schattenseite mußte sein, das thut unser Herr Gott nicht anderst, und mag wohl Recht haben. ich habe mir aber auch eine solche Portion Geduld vorgenommen, daß ich gar die Tage nicht zählen will, und meine Abreise lieber so lange unbestimmt laße, bis der Arzt mich frey spricht, als daß ich durch ewige Vereitlung meiner Pläne traurig werde. Nun ich mich so drein ergeben habe, drükt mich nur eine Sorge, aber freylich so daß sie alle andern aufwiegt. nehmlich die Sorge um dich; und deine Ängstlichkeit. Aber ich kann dich nicht genug versichern mein geliebtes Leben wie ruhig du über meinen Zustand sein kannst, und wie ich hoffen darf vielleicht nun gänzlich diesen fatalen Husten — den ich doch nie ganz verlohren hatte, — los zu werden. Ich schmachte nach einer Antwort von dir, und doch hoffe ich noch zu entwischen ehe sie ankommen kann.

Boucher ist auch hier. er hat in Berlin 17 Concerte gegeben*. und wird nun hier seinen Cours anfangen.

Aus Langeweile habe ich die Euryanthe vorgesucht und einigemal durchgelesenT. sie wird also wohl ihre ersten Ideen in Wien zugetheilt bekommen, und zwar wie billig.

Nachmittag.      Nun das Eßen hätte paßabel geschmekt, so viel es der Schnupfen der mir alles zu Stroh macht, erlaubt. Suppe, Rindfleisch und Radieschen, und — Frösche! mit dikken dikken Popsn, habe ich gefreßt, hernach geschlafen, und jezt gehen meine Beschäftigungen wieder von Vorne an. Muß heute die Ohren recht steif halten | denn es wandelt mich eine gewaltige Lust zur Melancholey an. und was kanns helfen? das nimmt mir den Kizzel nicht. hätte es nie geglaubt daß mich noch so der Kizzel sticht. und zwar so dumm.      da ich natürlich nicht ins Theater pp  gehn kann, habe ich andre Freuden. ich wohne in einem Bierhause*. da fängt denn Abends der Freyschütze an mir vorgegeigt zu werden. O Gott! gar schön,! und nicht besonders zärtlich, wobei denn die Leute die Würsteln und den Kalbsbraten mit Rührung genießen.

Heute hat mich auch ein Kaufmann Weiß aus Prag um 10 ƒ geprellt. Er behauptet die 1000 ƒ geliehen zu haben die Liebich ihm wieder bezahlt hätte pp sei jezt in Noth und soweiter. Da bin ich denn ein schwacher Esel und gebe her.      Nun kann ich nicht einmal herum schwenzeln und der Mukkin was aussuchen, das wollte ich mir so auf die lezten Tage laßen, den ich bin noch nicht einmal so recht ruhig über Kohlmarkt und Graben promenirt und habe Maulaffen an jedem Laden feil gehabt wie sichs eigentlich gehört. und dazu werde ich auch wohl nicht mehr komen. nach dem Concert wieder ins Zimmer gepakt, und dann in den Wagen. — ach, Wagerl, was will ich froh sein wenn ich in dir sizze.

d: 16t      Guten Morgen. herzliebe Mukkin. wiederum gut geschlafen. daran fehlt es nicht Gottlob. Husten heute früh auch wieder heftig. und Viktoria der Dr. erlaubt mir Morgen aus zu fahren, und dann etwas auszusteigen und spazieren zu gehen; aber Besuche und dergleichen soll ich nicht machen, wegen dem Reden. Mein Concert ist nun auch auf Dienstag d: 19t bestimmtT, und verderbe ich mich da nicht neuerdings so geht es baldigst darauf heidi pritsch, furt! furt! immer hotto, eine Station um die andere bis zur Mukkin. Den Tag meiner Ankunft kann ich aber noch nicht bestimmen, selbst wenn ich dir in meinem nächsten und hoffentlich lezten Briefe von hieraus den Tag der Abreise gemeldet habe. greifft mich nehmlich die Reise an, so ruhe ich etwas länger in Prag.      Es ist recht traurig daß mein herrlicher Aufenthalt in Wien ein solches Ende nimmt, worüber man fast alles Gute vergißt. wie es denn leider des Menschen Gewohnheit.

Gestern war ein neues Ballet Margaretha Königin von Catanea das sehr gefallen hat*. im Burgtheater zum 1t male das Leben ein Traum. kalt aufgenommen*.      heute singt die berühmte Grassini dramatische Szenen aus den Horatiern und Curiaziern an der Wien*. eine Loge kostet 80 ƒ ein gesperter Siz im Parterre 6 ƒ. das Parterre 4 ƒ pp* da können gegen 12000 ƒ eingenommen werden. ich glaube aber daß das nur das erstemal gehen wird, sie ist alt, und ihre Manier auch. Uebrigens ist es enorm, was in Wien für Summen Geldes in Umlauf sind, und was das Publikum herbeiträgt | wenn ihm nur einigermaßen etwas anziehendes geboten wird.

Gestern habe ich schon den Klavier Auszug der Euryanthe verhandelt* — für 150 Dukaten. so daß sie also mir nun, — wenn sie fertig istNB: — in Wien allein über 1200 Thaler trägt. Gott gebe nur seinen Seegen dazu, daß das Werk meiner würdig werde, und den Freyschützen gehörig überbiete. daß sie mehr gefalle, ist zwar unmöglich, besonders wegen der großen Mannigfaltigkeit im Freysch: denn einen Jäger Chor, Brautlied p p kanns in der Eury: nicht geben. aber daß sie in ihrer Art, gediegen dastehe. ich werde mich nicht übereilen, und habe dieß auch der Direction angekündigt. Wie Gott mir Ideen und Kraft zur Ausführung schenkt. Was freue ich mich auf Hosterwitz, in der herrlichen Natur strömt einem alles von selbst zu. Eine Hauptbedingung ist aber auch, daß du deine Sachen gut machst. Ich bin dießmal ganz guter Dinge, und freudig hoffnungsvoll. Du sagst ja auch daß du dich recht wohl befindest,  und Gottes Gnade und unseres Hedenus Einsicht und Sorgfalt werden schon forthelfen. Potz blitz, ich darf nicht vergeßen mir in Prag Gevattersleute zu bitten*. Der eine Tag wird weg sein, ehe er begonnen hat. Nun gehts zum Eßen. proßt Mahlzeit, Mukkin, du hast wahrscheinlich schon gemampfelt. ade.

Eßen und Schlafen haben gut geschmekt. nun wird Brieferl zugemacht, und spazie[rt es z]u der guten Frau. das bekomt sie den Mittwoch und antwortet mir [nach] Prag, und adreßirt es an Dr: Jungh, Altstädter Ring in [der E]inhorn Apotheke*, weil die Briefe die an Ballab: adress: sind mir noch hieher geschikt werden. Mit Gotteshülfe ist dieß also der vorlezte, und am Mittwoch beschließe ich das Duzzend mit der Nachricht von meinem Concert, und was die Hauptsache ist, — wie sich mein Husten auf das Konzert befindet. woraus wieder der Tag der Abreise hervorgeht. hoffentlich geht mit dem lezten Briefe auch der  Laufzettel auf die Post. Meine Ungeduld läßt sich wirklich nicht beschreiben, und nur du wirst sie begreiffen. Morgen Mittag wenn ich wieder zum 1t male ausfahre bekomt die Mukkin meine No: 10 mit der Nachricht von meinem Husten, und Kastellis und Schwarz Beilagen, Gott gebe dir eine ruhige Stunde des Empfangs damit du dich nicht zu sehr ängstigest.

und nun lebe wohl und ruhig, und gesund. grüße mir alle Freunde bestens, und laße dich nicht, weder von Briefen noch bedenklichen Gesichtern irr machen, sondern glaube dem was dir dein Carl sagt, der dich voll guter Hoffnung in Gedanken an sein treues Herz drükt, und bald dir selbst geben wird viele 10000 gute Bußen.
Gott segne dich + + +. und Mariechen* +. [ohne Unterschrift]

Editorial

Summary

Weber befindet sich nach seiner Krankheit auf dem Weg der Besserung, arbeitet bereits an der Euryanthe; hat einen Vertrag über den Klavierauszug der Euryanthe abgeschlossen; Planungen für die Rückreise über Prag nach Dresden

Incipit

Guten Morgen, geliebtes Leben, hast du gut geschlafen?

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 159

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest und -loch, Textverlust
    • Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber

Text Constitution

  • “… von Weber . Stadt. 838.”Absenderangabe am seitlichen Rand in umgekehrter Schriftrichtung:
  • “s”crossed out
  • adress: sind”added above

Commentary

  • “… in Berlin 17 Concerte gegeben”In der AmZ sind elf Konzertauftritte Bouchers in Berlin angezeigt: 28. April, 9. Mai, 6., 17. und 25. Juni, 8. Juli, 11. September, 5. und 18. Oktober, 2. Dezember 1821, 24. Januar 1822; vgl. AmZ, Jg. 23 (1821), Nr. 20 (16. Mai), Sp. 350, Nr. 25 (20. Juni), Sp. 439, Nr. 29 (18. Juli), Sp. 509–511, Nr. 37 (12. September), Sp. 630, Nr. 42 (17. Oktober), Sp. 712, Nr. 47 (21. November), Sp. 796f., Jg. 24 (1822), Nr. 3 (16. Januar), Sp. 40, Nr. 7 (13. Februar), Sp. 118f. Zum außerordentlichen Erfolg Bouchers in Berlin vgl. auch Zelters Briefe an Goethe in: Briefwechsel zwischen Zelter und Goethe in den Jahren 1799 bis 1832, hg. von Edith Zehm u. a. (Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, Bd. 20), Bd. 20/1, München 1991, S. 657f., 660, 663, 667f., 673, 675, 718.
  • “… ich wohne in einem Bierhause”Im Erdgeschoss des Hauses Grünangergasse 838, Ecke Nikolaigasse 3, in dem Weber einquartiert war, befand sich die Gaststätte „Zum grünen Anker“.
  • “… Catanea das sehr gefallen hat”Premiere in der Hofoper (Kärntnertortheater); vgl. u. a. den Bericht in: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 15, Nr. 35 (21. März 1822), S. 139f.
  • “… ein Traum . kalt aufgenommen”Zur Premiere vgl. u. a. den Bericht in: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 15, Nr. 35 (21. März 1822), S. 137–139. Webers Quartiergeber C. Schwarz spielte eine Nebenrolle (Anführer eines Soldatenhaufens).
  • “… und Curiaziern an der Wien”Vgl. dazu u. a. den Bericht in AmZ, Jg. 24, Nr. 19 (8. Mai 1822), Sp. 304f. Auf dem Theaterzettel sind alle Nummern (darunter auch Kompositionen von M. A. Portogallo, A. Gyrowetz und G. Farinelli einzeln angezeigt; neben der Konzertgeberin wirkten auch Hr. Ruprecht, B. Dermer, A. Haizinger und F. Franchetti mit.
  • “… das Parterre 4 ƒ pp”Webers Angaben entsprechen jenen des Theaterzettels; demnach kostete der Sperrsitz im 2. Parterre und auf der 2. Galerie 4 fl. und die Eintritte für 2. Parterre/2. Galerie, 3. Galerie und 4. Galerie 3, 2 bzw. 1 fl.
  • “… Klavier Auszug der Euryanthe verhandelt”Der Vertrag wurde allerdings erst am 20. März 1822 aufgesetzt.
  • “… in Prag Gevattersleute zu bitten”Philipp Jungh wurde Taufpate für Max Maria von Weber; vgl. den Tagebucheintrag vom 27. April 1822.
  • “… in der E inhorn Apotheke”Haus Zum weißen Einhorn am Altstädter Ring (Nr. 551); eine Apotheke war dort seit dem 18. Jahrhundert nachgewiesen; zu Webers Zeit war Vinzenz Valentin Frey der Besitzer.
  • “… + + +. und Mariechen”Kosename für das ungeborene Kind, Max Maria von Weber wurde am 25. April 1822 geboren.

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