Wilhelm Assmann to Edwin Assmann
Königsberg, Tuesday, June 14, 1881

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Lieber Edwin!

Frau Emma S. schickte mir gestern Deinen Brief an sie zu, welcher mich mit großer Freude, namentlich über die so überaus gütige Aufnahme meines Geschreibsels an dein holdes Bräutchen* und die freudige Aussicht auf Euren lieben Besuch erfüllt hat.

Was den gewünschten Freischützbericht betrifft, so wird es damit etwas dürftig bestellt sein denn:
Es ist schon lange her, …
Wir Alle können uns nicht mehr darauf besinnen!
Dies freut uns um so mehr! …*
Indessen ein Schelm gibt’s besser als er’s kann, also wolan!

Der Freischütz wurde hier in Königsberg von der damaligen Hurayschen Schauspielergesellschaft Anfangs Ende März oder Anfangs April 1822 bei brechend vollem Hause und fanatischem Beifallsjubel zum ersten Mal gegeben den Tag vermag ich nicht mehr anzugeben*. Die Aufführung gelang vortrefflich und wurde fast an jedem Operntage – damals nur zweie in der Woche, | Dienstag und Freitag, (denn alle Schauspieler waren damals zugleich Sänger und mußten geschont werden) Ausnahmsweise Mittwoch bei Benefizen – und fortan unzähligemal wiederholt*. Die wilde Jagd wurde ganz vorzüglich executirt, ausgenommen, daß das eine Mitglied derselben, der Keuler*, verkehrt seinen Weg nahm, ein Umstand, welcher von dem Herrn Schulamtskandidaten Rettig (vulgo „der schwarze Rettig“ genannt) als ganz besonders mystisch erachtet wurde.

Die Besetzung war – so viel ich mich ihrer noch erinnere – folgende:

Der Fürst Hr Wiedemann*
Cuno nescio (non refert)*
Max Clemens Huray, göttlicher Tenor, Spiel: vacat.
Casper La Roche, erster Casper der Welt*. – später: Geisler, Richter pp
Agathe Mad. Weise*, nicht übel, nur zu wolbeleibt, – daher der Witz:
Weise, Leise, leise,
Dicke Weise,
Tritz’ dich auf zum Sternenkreise! (später Frl. Scheiffer*, u. A.) |
Ännchen Agathe Lanz
Das reizendste Ännchen, das ich jemals – und ich sah den Freischütz sehr oft – sah.
Samiel ?? vielleicht Hr Rohloff?*
Der Eremit Hr Fabricius.
Kilian Herr Weise.

Damals erschien Samiel noch in Nacht und Nebel vorbeihuschend, nicht wie jetzt, kindischer Weise, in Feuer mit dem obligaten beiden Nilpferden oder was sonst für Bestien.

Der Eremit, Hr Fabricius, erschien bei einer Aufführung so vollständig inthranirt, daß er nur zwei unarticulierte Töne vorzubringen im Stande war und auf allgemeines Verlangen seinen Abtritt nehmen mußte. Nun, es ging auch ohne ihn! Und nun ist mein Latein zu Ende. Ich habe oft bedauert, daß ich mir nicht Theaterzettel gesammelt. | Szenerie u Decorationen, Wolfsschlucht, Kugelgiessen mit seinen äusserlichen Wirkungen, vortrefflich, alles ging exakt, wurde nicht so überhastet, sozusagen, über’s Knie gebrochen, wie späterhin.

O dieser Freischütz! Welches Entzücken hat er mir gewährt! Er und der Don Juan, sie werden unsterblich bleiben, wie ihre Schöpfer, trotz Richard Wagner!

Und nun, trauter Edwin, lebewol! Sei Du und Dein süsses Bräutchen vieletausend[mal] von mir gegrüßt und möchte [mir] noch vergönnt sein, Euch beide zu umarmen (du erlaubst es doch?)DeinemEuch zärtlich liebenden (liebenden) alten Vater
W. Assmann

Jette vermeldet ihren
tiefgefühlten, gehor-
samsten Gruß!

Editorial

Summary

teilt seine Eindrücke (nach 60 Jahren!) von der ersten Freischütz-Aufführung in Königsberg mit, die von der Hurayschen Schauspielertruppe gegeben wurde; er gibt aus der Erinnerung die Besetzung an mit kuriosen Kommentaren

Incipit

Lieber Edwin! Frau Emma S. schickte mir gestern Deinen Brief an sie zu

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 10

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

Text Constitution

  • “Anfangs”crossed out
  • Endeadded above
  • “Weise”crossed out
  • “Leise,”added above

Commentary

  • “… Geschreibsels an dein holdes Bräutchen”Anna Emma Laura Steimmig (1859–1934), Tochter des Eisengießereibesitzers Karl Eduard Georg Steimmig (1814–1873) und dessen Frau Sophie Amalie, geb. Schnell (1821–1903).
  • “… uns um so mehr! …”Verballhornter Text aus der Singschule aus Lortzings Zar und Zimmermann.
  • “… vermag ich nicht mehr anzugeben”Die Königsberger Erstaufführung fand am 24. Februar 1822 statt; vgl. C. Hiller, Theater-Almanach der Königl. Haupt- und Residenz Stadt Königsberg vom Jahr 1822, Königsberg 1823, S. 66.
  • “… – und fortan unzähligemal wiederholt”Bis zur Abreise der Gesellschaft zu den Sommerspielorten Braunsberg, Insterburg und Gumbinnen gab es Wiederholungen am 25.02. (Mo.), 26.02. (Di.), 3.03. (So.), 4.03. (Mo.), 15.03. (Fr.), 18.03. (Mo.), 24.03. (So.), 27.03. (Mi.), 31.03. (So.), 5.05. (So.), 9.05. (Do.), 6.06. (Do.) und 7.06. (Fr.); vgl. C. Hiller, Theater-Almanach der Königl. Haupt- und Residenz Stadt Königsberg vom Jahr 1822, Königsberg 1823, S. 66–68, 72, 76. Die Opernspieltage waren zu dieser Zeit also keineswegs so festgelegt, wie im Brief geschildert.
  • “… eine Mitglied derselben, der Keuler”Wohl Keiler gemeint.
  • “… Hr Wiedemann”August Wiedemann kam erst 1824 nach Königsberg (und sang dann auch den Ottokar); bei der Erstaufführung sang Hr. Beyer die Partie; vgl. Ernst August Hagen, Geschichte des Theaters in Preußen, vornähmlich der Bühnen in Königsberg und Danzig von ihren ersten Anfängen bis zu den Gastspielen J. Fischer’s und L. Devrient’s, Königsberg 1854, S. 777.
  • “… nescio ( non refert )”Die Partie sang Heinrich Gos(s)ler.
  • “… , erster Casper der Welt”Gemeint Komiker.
  • “… Mad. Weise”In der Erstaufführung sang Emilie Gos(s)ler die Agathe, nach deren Abgang übernahm im Mai/Juni 1822 dann Louise Siemering, geb. Zeis, die Schwester von Christiane Weise, geb. Zeis, die Partie; vgl. den Bericht der AmZ 1822.
  • “… zum Sternenkreise! (später Frl. Scheiffer”Minna Schäffer debütierte am 8. September 1822 in Königsberg als Agathe; vgl. den Bericht in der AmZ 1823.
  • “… ?? vielleicht Hr Rohloff ?”Wilhelm Rohloff war zu der Zeit noch in Danzig engagiert, wo er in der Freischütz-Erstaufführung den Max sang, welche Rolle er auch in seinem Königsberger Engagement (ab 1824) gab. Den Samiel gab in der Königsberger Erstaufführung Wilhelm Ludewig; vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung 1822.

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